The Old Library of
the Supreme Court of the
Der anzuzeigende Band vereinigt eine Reihe englischsprachiger Beiträge, welche ihre Ausgangsbasis jeweils in den Beständen der Bibliothek des Obersten Gerichtshofs der Niederlande, des Hogen Raads zu Den Haag, haben. Die heutige Bibliothek dieses Höchstgerichts ist aus der 1795 erfolgten Vereinigung der damaligen Buchbestände der höheren Gerichte von Holland und Seeland (Hof und Großer Rat) hervorgegangen, wovon später eine größere Zahl von handschriftlichen Manuskripten und nichtjuristischen Bänden an das niederländische Nationalarchiv abgestellt wurde.
Das vorliegende Buch befasst sich zum einen mit der Geschichte und
Provenienz dieser Buchbestände (Joost Pikkemaat, The old library now.
Jurisprudential Tendencies Reflected in a Collection of Books: 11-20), in
welchen sich die reiche Rechtskultur der historischen Niederlande widerspiegelt,
die seit dem 17. Jahrhundert auf ein Gebiet ausstrahlte, das damals den gesamten
heutigen Be-Ne-Lux-Raum umspannte. Dem Buch beigefügt ist eine CD-ROM mit zwei Katalogen
der historischen Bestände der Bibliothek. Mit den zahlreichen Abbildungen von kunstvollen
Titelblättern und Titelkupfern dient der vorliegende Band auch als Spiegelbild einer
bemerkenswerten Bibliothek (Tom
de Smidt, An elderly, noble lady. The old books collection in the library of
the Supreme Court of the Netherlands: 39-68), welche in Bezug auf ihre
historischen Bestände ohne weiters mit mancher Universitätsbibliothek
konkurrieren kann.
Neben buchgeschichtlichen Aspekten behandelt der
vorliegende Band in einer Reihe von Beiträgen aber auch rechtshistorische
Fragen, welche sich mit diesen Buchbeständen auseinandersetzen; und zwar zum
einen allgemein, aus wissenschafts- und wirkungsgeschichtlicher Perspektive (Alain
Wijffels, Legal books and Legal Practice: 21-38), sowie andererseits in speziellen
Fallstudien, welche veranschaulichen, wie diese Literatur in der zeitgenössischen
Praxis zur Lösung von Rechtsproblemen herangezogen worden ist – und zwar aus
der Sicht von gegenwärtig am Obersten Gerichtshof der Niederlande aktiv tätigen
Richtern: Peter Kop beschäftigt sich in seiner Untersuchung (The duty of judges
in Holland and West-Friesland to pass judgement solely according to the content
of the laws: 69-82) mit der Analyse einer populärjuristischen Abhandlung des
Amsterdamer Advokaten Bernhardus Albertus van Houten über die Pflichten der
Richter in West-Friesland, welche 1794 in den Niederlanden entstanden ist und sich
mit der damals aktuell diskutierten Frage der Notwendigkeit und Reichweite der
Geltung von Kodifikationen auseinandersetzte; als van Houten seine Broschüre
veröffentliche, war sie freilich bald inaktuell geworden: 1795 vollzog sich der
Übergang der Republik der Vereinigten Niederlande zum Staatenbund der
Batavischen Republik, sodass für Einheitsgesetze – zunächst jedenfalls – kein
Bedarf mehr bestand.
Ton Pos (The Hoge Raad of Holland and Zeeland in
the 18th century and chattel mortgages, transfer of ownership as security for a
debt: 83-103) betrachtet die Funktion des (Mobiliar-)Pfandrechts als Instrument
der Schuldsicherung aus der Perspektive von Kaufleuten und Juristen des
ausgehenden 18. Jahrhunderts. Ausgangspunkt seiner Analyse sind kritische
Bemerkungen von Cornelius van Bynkershoek, des damaligen Präsidenten des Großen
Rates, über die formalen Bedingungen, unter denen er solche Konstruktionen als wirksam
erachtete. Pos konzentriert seine Untersuchung insbesondere auch auf die Frage,
inwieweit die Bestände der Bibliothek des Großen Rates bei der Beurteilung
dieser Frage in dessen Rechtsprechung einen Niederschlag gefunden hat.
Dan Asser schließlich setzt sich mit der Reichweite
des gemeinrechtlichen Rechtsschutzes von Frauen bei der Annahme von Wechseln
auseinander (Complex and difficult questions. Two decisions of the Hoge Raad
van Holland, Zeeland en West-Friesland on the protection of women accepting
bills of exchange: 105-116). Er skizziert zunächst die Entwicklung des Wechsels
als Handels- und Finanzierungsinstrument im Spannungsfeld von mittelalterlichem
Rechtsleben und neuzeitlichem ius commune sowie seine Integration in die
niederländische Rechtskultur durch den Usus modernus. Auch Asser zieht bei
seiner Abhandlung insbesondere in Betracht, inwiefern die den Richtern bei den
höheren niederländischen Gerichten zur Verfügung stehenden Bibliotheksbestände
einen Niederschlag in ihren Entscheidungen gefunden haben. Anhand von zwei
Fallbeispielen wird auch augenfällig, welche komplexen und schwierigen
Rechtsfragen sie in Wechselprozessen zu klären hatten.
Es ist der vorliegenden Beitragssammlung zu wünschen,
dass sie – ungeachtet der englischsprachigen Fassung – mit ihrer anregenden interdiszplinären
Mélange zahlreiche Leser aus den Kreisen der an der Geschichte des Buch- und
Bibliothekswesens sowie an der Wissenschafts-, Wirkungs- und Dogmengeschichte des
Privatrechts im deutschen Rechtskreis Interessierten gewinnen kann. Mit seiner
gediegenen Aufmachung sowie dem kunstvoll gestalteten Einband und den
zahlreichen Abbildungen aus den historischen Bibliotheksbeständen könnte das
Buch aber wahrscheinlich bloß bibliophil geneigte Interessenten ansprechen!
Wien Christian
Neschwara