Schwartz, Philipp, Das lettländische Zivilgesetzbuch
vom 28. Januar 1937 und seine Entstehungsgeschichte. Shaker, Aachen 2008. 334
S. Besprochen von Herbert Küpper.
Das lettische Zivilgesetzbuch von
1937 ist nicht nur ein zentrales Monument der neuzeitlichen baltischen
Rechtsentwicklung, sondern zugleich auch eine der großen römisch-rechtlichen
Kodifikationen des 20. Jahrhunderts. Und es ist ganz nebenbei auch wieder das
geltende Recht Lettlands, auch wenn seit seiner etappenweisen
Wiederinkraftsetzung nach der lettischen Unabhängigkeit vieles modernisiert und
fortentwickelt worden ist. Ein derartiges wichtiges Werk europäischer
Rechtskultur verdient eine fundierte historische Aufarbeitung.
Wertvolle Forschungen zur Entstehung
des lettischen Zivilgesetzbuchs wurden auch und vor allem in deutscher Sprache
seit den 1950er Jahren veröffentlicht. Hier ist besonders Dietrich Loeber zu nennen, dessen
Vater an der Ausarbeitung des Kodex aktiv beteiligt gewesen war. Solange die
sowjetische Okkupation währte, konnten derartige Arbeiten nur auf das bis vor
1940 zurückreichende Gedächtnis der Autoren und wenige nach Westen gelangte
Archivalien gestützt werden.
Hier setzt die Arbeit von Schwartz an. Er wertete die
Archive in Riga und anderswo aus und fand noch zahlreiche Materialien, obwohl viele
Bestände durch Krieg, Fremdherrschaft und ideologisch motiviertes Desinteresse
verloren gegangen sind. Auch das lettische Schrifttum der Zwischenkriegszeit
und die heutigen Arbeiten zum Zivilgesetzbuch zog er für das vorliegende Werk
heran. Dass dadurch eine „kompilatorische Kompilation“ (S. 8) entstanden sein
mag, nimmt der Autor gerne in Kauf – fehlt es doch auch in Lettland an einer
umfassenden, mehr als punktuellen Bearbeitung der Entstehungsgeschichte des Zivilgesetzbuchs.
Eine Zusammenführung und Neubewertung des vorhandenen Wissensstandes tut also
dringend Not.
Und diese Arbeit leistet das
vorliegende Werk. Es beginnt mit dem 19. Jahrhundert und schildert die
Rechtsentwicklung in den Ostseeprovinzen. Eine zentrale Rolle nimmt dabei
naturgemäß das Baltische Privatrecht ein, das dem Zivilgesetzbuch als Grundlage
– allerdings bei weitem nicht als einzige – gedient hat. Die Rechtsentwicklung
wird eingebettet in die Sozialentwicklung, vor allem in die Entwicklung der
lettischen Nationalbewegung, dargestellt.
Das zweite, „Entstehungsgeschichte
der nationalen lettischen Zivilrechtsgesetzgebung“ titulierte Kapitel widmet
sich der Zeit ab 1918. Im Mittelpunkt stehen die Debatten um die Schaffung
eines lettischen Zivilrechts und die zu diesem Zweck eingeleiteten
Kodifikationsbemühungen. Auch der Entwicklung des vor Erlass des Zivilgesetzbuchs
geltenden Zivilrechts schenkt Schwartz
die gebührende Aufmerksamkeit. Auf diese Weise entsteht ein Bild von der
Wechselwirkung zwischen Vorhandenem und Neuerungsideen.
Ein weiteres umfangreiches Kapitel
setzt sich mit dem Inhalt des Zivilgesetzbuchs in der 1937 verabschiedeten
Urfassung auseinander. Schwartz
beschreibt die wesentlichen Inhalte, zeigt unter Bezugnahme auf die
Konzeptionen und Motive ihre historischen und dogmatischen Aspekte auf und
vergleicht sie insbesondere mit den Teilen des Baltischen Privatrechts, die den
Formulierungen im Zivilgesetzbuch 1937 in verstärktem Maße Pate gestanden
haben, d. h. mit dem Dritten Teil des Baltischen Privatrechts. Diese Technik
macht die Einbettung des Zivilgesetzbuchs in die baltische Rechtsentwicklung
ebenso deutlich wie seinen innovativen Gehalt.
Geboten distanziert fällt im vierten
Kapitel die dogmatische und rechtspolitische Beurteilung aus. Das Zivilgesetzbuch
beendete 1937 den lokalen und sozialen Rechtspartikularismus, indem es ein im
ganzen Land und für alle Stände einheitlich geltendes Normensystem schuf, und
bedeutete auch für die lettische Rechtssprache einen nicht zu unterschätzenden
Fortschritt. Dem standen technische Schwächen wie eine allzu starke Kasuistik
und ein politisch gewolltes Modernitätsdefizit gegenüber, da das Zivilgesetzbuch
inhaltlich in vielen Punkten an überkommenen Regeln des Baltischen Privatrechts
festhielt, diese nur zusammenhängender und sprachlich gelungener formulierte.
Für weiter gehende Forschungen ist
der Quellenapparat am Ende unverzichtbar. Er arbeitet die Bestände lettischer
Archive ebenso auf wie einen Teil des – zur Zeit unzugänglichen – Privatarchivs
von D. Loeber. Es bleibt zu
hoffen, dass das Grundlagenwerk von Schwartz
weitere Forschungen inspiriert, die dazu beitragen, dass diese
europäische Zivilrechtskodifikation aus ihrem bisherigen wissenschaftlichen
Schattendasein heraustreten kann.
München Herbert
Küpper