Schorn-Schütte, Luise, Geschichte Europas in der Frühen Neuzeit. Studienhandbuch 1500-1789 (= UTB 8414 L). Schöningh, Paderborn 2009. 407 S., 192 Abb. Tab., Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

An Studienhandbücher geht man in der Erwartung heran, dass sie in der Lage sind, auf verhältnismäßig knappem Raum einen bestimmten Zeitabschnitt in den wesentlichen Zügen und auf dem aktuellen Stand der Forschung so darzustellen, dass auch ein Leser ohne besonderes Vorwissen diesen Entwicklungen zu folgen vermag. So will auch die Autorin – Lehrstuhlinhaberin für Neuere Allgemeine Geschichte in Frankfurt am Main und Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) – ihr Buch verstanden wissen, wobei sie „keine mundgerechte Vorbereitung auf irgendwelche Abschlussprüfungen“ (S. 11) anbietet. Es geht ihr vielmehr um ein ergebnisoffenes Hinterfragen von wissenschaftlichen Positionen, ob etwa die Frühe Neuzeit mit Recht nach Paul Münch als „Inkubationszeit der Moderne“ betrachtet oder aber vielmehr betont in ihrer Eigenständigkeit gesehen werden müsse; zu diesem Zweck soll die vorliegende Überblicksdarstellung immer wieder Fakten und Interpretationen miteinander verbinden.

 

Der thematische Bogen, den Luise Schorn-Schütte dabei zu spannen hat, führt naturgemäß über ein weites Feld. Nach einführenden Betrachtungen zur Berechtigung der Anwendung des Epochenbegriffs auf den in Frage stehenden Zeitraum von der Reformation bis zur Französischen Revolution wendet sie sich im Kapitel „Prozesse und Strukturen“ zunächst dem Modell des Hauses zu, das – angelehnt an die Tradition des antiken oikos – zum Vorbild frühneuzeitlicher Herrschaftsmuster werden sollte. Über die Haushaltsformen und die Wirtschaftsordnungen geht der Weg der Darstellung zum gesellschaftlichen Wandel und den Veränderungen in der klassischen ständischen Gesellschaft: Adel, Geistlichkeit, Bürger, Bauern, schließlich auch das Militär, Arme und Außenseiter werden in ihrem spezifischen Umfeld betrachtet und analysiert. Der dritte Abschnitt ist der Frage der Herrschaftsformen und der Herrschaftslegitimationen (Stichworte: Republik, Monarchie, Mischverfassungen, Absolutismus) gewidmet, ein vierter bringt unter dem Titel „Traditionsbrüche und Wertewandel: Frühneuzeitliche Rechtfertigungsnarrative“ Entwicklungen wie die Reformation, die Aufklärung und den revolutionären Umbruch in Nordamerika und Frankreich zur Sprache. Breit ist das Spektrum der Gesichtspunkte, die anschließend „Die frühneuzeitliche Gesellschaft in ihren Grenzen“ ausleuchten: die Lebensphasen des Menschen von der Kindheit bis zum Alter, Bildung und Kommunikation, aber auch die Fragen nach konfessionellen und regionalen Identitäten sowie die Gestaltung der politischen Beziehungen nach außen. Das sechste Kapitel richtet sein Augenmerk auf das – global gesehen – wohl  folgenreichste Phänomen der frühen Neuzeit, den als „Europäisierung der Welt“ charakterisierten Kolonialismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen: auf die „Beherrschungskolonien“ der Spanier, Portugiesen und Niederländer, dann auf die englischen und französischen Siedlungskolonien. In einem abschließenden Ausblick identifiziert die Autorin fünf Schlüsselthemen der gegenwärtigen Forschung. Zwei – das Verhältnis zwischen Religion und Politik und die Beziehung zwischen Tradition und Moderne – sind lange im Gespräch, bei den verbleibenden drei handelt es sich um jüngere Ansätze. Der Komplex „Repräsentationen sozialer Ordnungen“ erforscht die menschlichen Ausdrucksformen, wie Sprache, Handlungen und Symbole, mit deren Hilfe sich die Individuen Orientierung in ihrem jeweiligen Lebensumfeld verschaffen. Aus der Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdbildern sei so etwa über zeitgenössische Kolonialdebatten die Idee einer uneingeschränkten, weltweiten Gültigkeit von Menschenrechten durch die Schule von Salamanca generiert und artikuliert worden. Das Forschungsfeld der „Mikropolitik“ wiederum befasst sich mit der Deutung der politischen Dimension von Verwandtschaft, Freundschaft und Patronage, seinerzeit legitime Verfahren und Normen, die in anachronistischer Rückschau lange missverständlich als Korruption interpretiert worden sind. Ein weiteres unverzichtbares Vehikel zum Verständnis der Epoche sei die Beschäftigung mit der politischen Kommunikation. Die zeitspezifische Prägung von Begrifflichkeiten erfordere eine Entzifferung dieser Sprachmuster mit Hilfe einer genauen Untersuchung begrenzter Konflikte und enger Zeitabschnitte. Ein Musterfall sei die von protestantischen Theologen und Juristen initiierte Debatte über das Herrscheramt und die Legitimation eines Widerstandsrechts, deren unterschiedliche Argumentationslinien über gemeinsame Strukturen des Denkens zu  einer einheitlichen politischen Sprache zusammengeführt werden konnten.

 

So theoretisch und kopflastig diese letzten Überlegungen erscheinen mögen, sie sind nicht repräsentativ für den gesamten Text des Bandes, der im Allgemeinen in einer zwar akademischen, aber doch weitgehend verständlichen, einem Studierenden zumutbaren Diktion an den Leser herantritt. Darüber hinaus wird dem Nutzer eine Fülle unterstützenden Materials zur Verfügung gestellt, was die Anschaulichkeit der Aussagen zusätzlich unterstreicht. Allein 192 Abbildungen, darunter sehr viele Karten, sorgen trotz des Verzichts auf Farbe für einen gefälligen optischen Eindruck. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang aber, dass einige der Skizzen viel zu klein geraten sind; was bei der Wiedergabe von Porträts kaum ins Gewicht fällt, führt hier in manchen Fällen zur völligen Unbrauchbarkeit. Auch die doppelseitige Karte auf dem Vorsatzblatt sorgt für einige Irritation, sind doch Ungarn, Kroatien, Siebenbürgen und Mähren durch ihre Schraffierung als Mitglieder der Kalmarer Union (!) ausgewiesen, ein Malheur, das vermutlich dem Umdruck von Farbe auf Schwarzweiß anzulasten ist. Vorbildlich gestaltet ist hingegen der reichhaltige Anhang. Neben einem geographischen Register, einem Personenregister und einem Sachregister mit gesonderten Hinweisen auf die Abbildungen und auf Einträge im mehrseitigen Glossar (von Alteuropa bis Zwei-Reiche-Lehre) enthält er auch dynastische Stammtafeln für Dänemark, Schweden, Preußen, Frankreich, Polen, Spanien, das Heilige Römische Reich und England-Schottland. Die Bibliographie ist auf dem Stand der Zeit und verzichtet weitgehend auf das Zitieren der älteren Forschung; ausführlich zu Ehren kommen im Kontext der Konfessionalisierung so etwa Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling, wohingegen der Pionier auf diesem Gebiet, Ernst Walter Zeeden, im Literaturverzeichnis gar nicht erst aufscheint.

 

Auch inhaltlich ist an der vorliegenden Arbeit wenig auszusetzen; ob der eine oder andere Aspekt mehr hervorgehoben werden oder stärker zurücktreten sollte, ist letztendlich auch eine Frage der persönlichen Präferenz. Gender-Puristen werden ein eigenes, dem Thema „Frau“ gewidmetes Kapitel vergeblich suchen, was im Hinblick auf den Umstand, dass dieses Buch von einer Autorin verfasst worden ist, vielleicht doch ein wenig verwundert. Doch auch die knappen, präzisen Ausführungen zum Thema Hexen (S. 94f.) lassen deutlich erkennen, dass sie keineswegs gewillt ist, wissenschaftliche Seriosität zugunsten feministischen Kleingelds zu opfern. Für Rechtshistoriker finden sich immer wieder interessante Sequenzen. Ergiebig ist vor allem das achtzehnseitige Kapitel über die Herrschaftslegitimationen von Machiavellis „Il principe“ (1532) bis hin zu Montesquieus „De l’esprit des lois“ (1748); im Abschnitt über die Haushaltsformen wiederum stößt der Leser auf einige Bemerkungen zum frühen säkularen Eherecht. Im Gesamten hält der Rezensent das reflektierte, strukturbezogene Referieren von Forschungspositionen für den größten Vorzug des Bandes. Wer sich nicht an Nebensächlichkeiten reiben und auf einem gehobenen Niveau viel über die Geschichte Europas – nicht nur in der Frühen Neuzeit – verstehend erfahren will, tut mit dem Studienhandbuch Luise Schorn-Schüttes in jedem Fall einen guten Griff.

 

Kapfenberg                                                     Werner Augustinovic