Schleusener, Jan, Eigentumspolitik im NS-Staat. Der staatliche Umgang mit Handlungs- und Verfügungsrechten über privates Eigentum 1933-1939. Lang, Frankfurt am Main 2009. 313 S. Besprochen von Arno Buschmann.
Diese am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Humboldt-Universität Berlin entstandene und von der Philosophischen Fakultät I angenommene philosophische Dissertation ist einem Thema gewidmet, das die zeitgeschichtliche Forschung zwar bisher schon unter verschiedenen Aspekten beschäftigt, aber noch nicht im Zusammenhang behandelt hat, nämlich die nationalsozialistische Eigentumspolitik, oder anders ausgedrückt, die Einwirkung der nationalsozialistischen Weltanschauung und der von dieser bestimmten Politik auf die überlieferte Eigentumsordnung. Untersuchungsziel des Verfassers ist der staatliche Umgang mit den Handlungs- und Verfügungsrechten über privates Eigentum in der Zeit von 1933 bis 1939. Die Beschränkung auf diesen Zeitraum begründet er mit dem Hinweis, dass ab dem Beginn des Zweiten Weltkriegs das Kriegsrecht den Umgang mit dem privaten Eigentum überlagert habe und daher das Wesen der nationalsozialistischen Eigentumspolitik in den Hintergrund habe treten lassen. Theoretische Basis für die Untersuchung des Verfassers ist die in den USA entwickelte und inzwischen auch in Deutschland von der Sozial- und Wirtschaftshistorie rezipierte Property-Rights-Theorie, die zwar nicht vollständig übernommen, aber doch als Ausgangspunkt zugrunde gelegt wird. Diese Theorie, die auf Arbeiten der Historischen Schule der Nationalökonomie des 19. Jahrhunderts zurückgeht, beruht auf dem Gedanken, dass es nicht darauf ankomme, das Eigentum als solches zu betrachten, sondern insgesamt die Handlungs- und Verfügungsrechte, die in Bezug auf das Eigentum bestehen und ausgetauscht werden, weil diese den Rahmen für jede wirtschaftliche Aktivität darstellen und die Grundlage für die Berechnung der Transaktionskosten und damit einer Neudefinition der Verfügungsrechte liefern.
Ausgehend von diesem Ansatz schildert der Verfasser zunächst die Herausbildung des, wie er es nennt, bürgerlich-freiheitlichen Eigentumsbegriffs bis zum Jahre 1933, im Anschluss daran die kontroversiellen eigentumspolitischen Vorstellungen innerhalb der NSDAP und danach die partielle Umgestaltung der überlieferten Eigentumsordnung durch die nationalsozialistische Gesetzgebung, in deren Mittelpunkt für ihn die Frage nach einer Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Individuum durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber im Sinne der Volksgemeinschaftsideologie steht. Als zentralen Punkt für die Antwort auf diese Frage sieht er die Entschädigungsregelungen bei Entzug von privaten Verfügungsrechten durch die Staatsgewalt an, d. h. die Frage, in welchem Umfang bei Eingriffen der Staatsgewalt in die Rechte des Individuums diese zugunsten der Gemeinschaft eingeschränkt oder gar gänzlich „kassiert“ wurden und inwieweit und wenn ja, in welcher Form vom Gesetzgeber für diese Eingriffe Entschädigungsleistungen vorgesehen wurden. In ihnen spiegelt sich für den Verfasser die Eigentumsauffassung und damit die Stoßrichtung der nationalsozialistischen Eigentumspolitik. Als Beispiele nennt er das Gesetz über die Beschränkung der Nachbarrechte, das Schutzbereichsgesetz, das Reichsautobahngesetz und das Landbeschaffungsgesetz. Ausführlich behandelt er in diesem Zusammenhang auch die nach intensiven Auseinandersetzungen letztendlich gescheiterten Bemühungen des nationalsozialistischen Gesetzgebers um ein einheitliches Reichsenteignungsgesetz. Der eigentliche Kern der nationalsozialistischen Eigentumspolitik ist für den Verfasser jedoch die von der völkischen Ideologie von „Blut und Boden“ geprägte Vorstellung der ländlichen Eigentumsordnung, von der er meint, dass diese eine der wenigen konzeptionell geschlossenen Bereiche der nationalsozialistischen Eigentumspolitik gewesen sei. Folgerichtig befasst er sich daher eingehend mit der Entstehung und Praxis des Reichserbhofgesetzes, wobei er sich bei der Untersuchung der praktischen Umsetzung neben der Praxis des Reichserbhofgerichts bei der regionalen Praxis vor allem auf die Aktenüberlieferung des Landeserbhofgerichts Celle stützt. Den letzten Teil seiner Arbeit widmet der Verfasser der antisemitischen Eigentumspolitik des Nationalsozialismus. Zu Recht stellt er fest, dass die nationalsozialistischen Machthaber aus Gründen außenpolitischer Opportunität darauf verzichtet haben, ein antisemitisch motiviertes Enteignungsgesetz zu Lasten der jüdischen Bevölkerung zu erlassen, was sie jedoch nicht daran gehindert hätte, der jüdischen Bevölkerung die wirtschaftlichen Basis zu entziehen und deren privates Eigentum systematisch zu enteignen. Der Verfasser ist der Meinung, dass dies die Vorstufe zur sog. „Endlösung“, d. h. der industriell organisierten physischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, gewesen sei. Zutreffend weist er in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es als ein spezifisches Merkmal der nationalsozialistischen Enteignungspolitik angesehen werden müsse, die methodisch angelegte „Expropriierung“ semantisch zu verschleiern, statt von Enteignung von „Arisierung“ oder von „Entjudung“ zu sprechen, wobei allerdings schon die letztere Formulierung an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt, ohne jedoch die physische Vernichtung als politische Zielvorstellung erkennen zu lassen. Eingehend wird vom Verfasser auch die Eliminierung der jüdischen Wirtschafttreibenden aus dem Wirtschaftsleben beschrieben. Als regionales Beispiel greift der Verfasser den Bezirk Westfalen-Süd heraus, dessen Aktenüberlieferung er sorgfältig auswertet und deren Fakteninhalt er als signifikant und zugleich exemplarisch für das Vorgehen von regionaler politischer Führung wie regionaler Behörden in dem vom Verfasser untersuchten Zeitraum betrachtet.
Als Fazit seiner Untersuchungen meint der Verfasser feststellen zu können, dass die überlieferte Eigentumsordnung durch die nationalsozialistische Herrschaft stärker in Frage gestellt worden sei, als man dies bisher erkannt habe. Zwar habe es keinen Systemwechsel gegeben, doch habe die nationalsozialistische Eigentumspolitik mit Hilfe von zahlreichen Sonderbestimmungen zum Teil massiv in die private Nutzung des Eigentums eingegriffen, was im Ergebnis zu einer Spaltung zwischen der klassischen Form der Enteignung durch Gesetz auf der einen Seite und den politisch indizierten Sonderbestimmungen auf der anderen Seite geführt und im Ergebnis die „Ausdünnung“ des überlieferten Eigentums zur Folge gehabt habe. Tatsächlich kann von einer revolutionären Veränderung der Eigentumsordnung durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber keine Rede sein, obwohl die dezidiert sozialistischen Elemente des politischen Programms der NSDAP eine solche Veränderung hätten erwarten lassen. Zwar sind eine Fülle von Eingriffen in das private Eigentum durch den nationalsozialistischen Gesetz- wie den Verordnungsgeber unübersehbar - was übrigens schon von zeitgenössischen juristischen Autoren bemerkt und zum Teil gerügt wurde -, doch haben diese Eingriffe nicht dazu geführt, die überlieferte Eigentumsordnung aus den Angeln zu heben, noch ist eine solche Absicht erkennbar. Sämtliche Eingriffe waren in der Tat, wie der Verfasser zutreffend ausführt, Resultate konkreter politischer Vorhaben und Vorgaben, nicht hingegen sichtbarer Ausdruck eines allgemeinen eigentumspolitischen Veränderungswillens. Insofern kann der Kernthese des Verfassers bezüglich der Eigentumspolitik des Nationalsozialismus aus Sicht des Rechtshistorikers ohne weiteres zugestimmt werden.
Problematisch hingegen erscheint der methodische Ansatz des Verfassers mit der Anwendung der aus dem angelsächsischen Wissenschaftsbereich stammenden Property-Right-Methode. Abgesehen von der Tatsache, dass mit dieser Methode eine der deutschen Rechtsordnung und deren Geschichte nicht adäquate Begrifflichkeit und Eigentumstheorie in die Untersuchung der nationalsozialistischen Eigentumspolitik eingeführt wird, ist die Anwendung dieser Methode für eine zutreffende Darstellung der Materie geradezu schädlich, weil sie die vorhandene klare Systematik der deutschen Eigentumsordnung verlässt, von der das Privatrecht auch in der Zeit des Nationalsozialismus geprägt war und die den Maßnahmen des nationalsozialistischen Gesetzgebers überall zugrunde lag. Indessen vermag dieser Einwand die Leistung des Verfassers nicht wesentlich zu schmälern, namentlich sein Bemühen um eine sorgfältige Diktion und vor allem um die gründliche Aufarbeitung des vorhandenen Archivmaterials der vom Verfasser untersuchten Bestände, im Grunde auch nicht die von ihm erzielten Ergebnisse, zu denen der Verfasser auch ohne die Anwendung der für die deutsche Rechtsentwicklung systemwidrigen Property-Right-Methode gelangt wäre. Die Rechtshistorie verdankt dem Verfasser jedenfalls die sorgfältige Behandlung eines Gegenstandes, der für das Verständnis der nationalsozialistischen Rechtspolitik von eminenter Bedeutung ist.
Salzburg Arno Buschmann