Rüthers, Bernd, Das Ungerechte an der Gerechtigkeit. Fehldeutungen eines Begriffs. 3. Aufl. Mohr (Siebeck), Tübingen 2009. XV, 183 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Bernd Rüthers (*12. Juli 1930 Dortmund) ist ein weltweit bekannter Arbeitsrechtler, Rechtsphilosoph und Methodenlehrer, der in den langen erfolgreichen Jahren seiner Tätigkeiten in Berlin und Konstanz bisher 39 Monographien und mehr als 370 Aufsätze verfasst hat. Seine von Hans Brox, dem kürzlich verstorbenen, didaktisch erfolgreichsten rechtswissenschaftlichen Autor des 20. Jahrhunderts betreute Habilitationsschrift über die unbegrenzte Auslegung ist 2005 in sechster Auflage erschienen und ist längst zu einem Klassiker geworden. Über die neuere Rechtsgeschichte hat Bernd Rüthers auch den Weg zur Zeitschrift für Rechtsgeschichte gefunden, in der er seit Jahren für Werte und gegen Unwerte eintritt.

 

Im Jahre 1991 hat er sich erstmals mit dem Ungerechten an der Gerechtigkeit ausdrücklich auseinandergesetzt. Seine eindringlichen Überlegungen zu Fehldeutungen eines Begriffs sind auf großes Interesse gestoßen. Dementsprechend war wenig später eine zweite Auflage erforderlich, in der die Fehldeutungen als Defizite erklärt wurden, woran der Verfasser auch in der nunmehr erfreulicherweise vorgelegten dritten Auflage festhalten konnte.

 

Vorangestellt sind ihr vier ausgewählte Zitate, mit denen der Verfasser rudimentär die Gerechtigkeit der Gegenwart umreißt. Danach hatte Bärbel Bohley 1991 Gerechtigkeit erwartet, aber den Rechtsstaat erhalten. Willi Geiger hatte es 1982 als illusionär bezeichnet, unter den in der Bundesrepublik Deutschland obwaltenden Verhältnissen von den Gerichten Gerechtigkeit zu fordern, und nach Herbert Rosendorfer (2005) hat Justiz mit Gerechtigkeit so viel zu tun wie die Landeskirchenverwaltung mit dem lieben Gott.

 

Im Ergebnis sieht der Verfasser das Vertrauen in Recht und Gerechtigkeit weltweit auf einem Tiefpunkt angelangt. Deshalb hält er, wenn Gerechtigkeit das Fundament aller staatlichen Ordnung sein und bleiben soll, eine neue Besinnung auf ihre erreichbaren Grundbedingungen für unerlässlich. Angesichts des Bedeutungsverlusts von Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte und juristischer Methodenlehre in der deutschen Juristenausbildung ist ihm darum ein grundsätzliches Plädoyer für Recht und Gerechtigkeit in Geschichte und Gegenwart ein selbverständliches dringliches allgemeines Anliegen.

 

In dessen klarer und überzeugender Verfolgung setzt er sich in sieben Kapiteln mit Gerechtigkeit, Wahrheit und Wertbildern, mit Reformation, Recht und Staat, mit Gesetzessprache und Systemgerechtigkeit, mit Gesetzesauslegung, Interpretation und Verantwortung, mit Richterrecht und Rechtssicherheit, mit Verfassungsrecht und mit der bilanzierenden Frage, was von der Gerechtigkeit bleibt, auseinander. Da nach seiner einleuchtenden Erkenntnis Gerechtigkeit ein historisch-politisch wandelbares Wunschbild ist, muss ihr Inhalt jeweils neu bestimmt werden. Dafür sind Vordenker und Vorbilder wie Bernd Rüthers von ganz besonderer Bedeutung, weswegen das Werk wie alle am Ende zusammengefassten Schriften des Verfassers zum Thema Gerechtigkeit jedem Leser uneingeschränkt ans Herz gelegt werden können.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler