Reyels, Lili, Die Entstehung des ersten Vertrages von Lomé im deutsch-französischen Spannungsfeld 1973-1975 (= Nomos Universitätsschriften Geschichte 18). Nomos, Baden-Baden 2008). 207 S. Besprochen von Dieter Kugelmann.

 

Die Geschichte der Europäischen Integration ist ein Wachstumsbereich der historischen Literatur. Im Schnittfeld von Politik und Recht, von innerstaatlichen Vorgängen und Geschehnissen auf europäischer Ebene können hochinteressante historische Prozesse identifiziert und wissenschaftlich erschlossen werden. Die zeitgeschichtliche Dissertation von Reyels nimmt sich die Entstehung des Vertrages der Europäischen Wirtschaftgemeinschaft mit den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP-Staaten) als Referenz, um die europapolitischen Bedingungen vor dem Hintergrund der beiden Mitgliedstaaten Frankreich und Deutschland herauszuarbeiten und ihre Auswirkungen auf den Verhandlungsprozess des Lomé-Vertrages zu erörtern.

 

Der Verfasserin gelingt es, die politischen Rahmenbedingungen für die Verhandlungen über den Vertrag von Lomé herauszuarbeiten. Für die Bundesrepublik Deutschland standen europapolitische Aspekte im Vordergrund, während Frankreich von vornherein eine gezielte Entwicklungs- und Afrikapolitik verfolgte. Dies spiegelte sich in der organisatorischen Zuordnung, die in Deutschland beim Auswärtigen Amt lag, nicht beim Kanzleramt und schon gar nicht beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Personell ergaben sich Vorteile aus der Verflechtung des Personals der französischen Administration und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Konsequenter Weise konnte Frankreich im Lomé-Vertrag das Stabex-System durchsetzen, das unter Rückgriff auf den Gemeinschaftshaushalt der Exporterlösstabilisierung diente und insoweit den freien Markt beschränkte. Die Einigkeit der Mitgliedstaaten war die entscheidende Voraussetzung für das Handeln der EWG. Der Abschluss des Vertrages von Lomé mit den AKP-Staaten war ein außenpolitischer Erfolg der EWG in einer Zeit der inneren Stagnation, die erst mit der Zusammenarbeit von Helmut Schmidt und Giscard d´Éstaing auf wirtschaftspolitischem Gebiet aufgelöst wurde. Reyels wertet neben den Originaldokumenten auch Interviews mit Zeitzeugen aus. Auch wenn hinsichtlich der Objektivität dieser Informationen gelegentlich noch etwas mehr als die von der Verfasserin angewandte Vorsicht angebracht ist, gelangt sie doch zu interessanten Einblicken. Die Arbeit überzeugt durch die gelungene Verknüpfung der unterschiedlichen Ebenen und ist damit ein wichtiger Beitrag zur europageschichtlichen Forschung.

 

Münster                                                          Dieter Kugelmann