Pohlig, Matthias/Lotz-Heumann, Ute/Isaiasz, Vera u. a., Säkularisierungen in der frühen Neuzeit. Methodische Probleme und empirische Fallstudien (= Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 41). Duncker & Humblot, Berlin 2008. 411 S., Tab., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das vorliegende Buch ist ein Gemeinschaftswerk sechser Verfasserinnen und Verfasser auf der Suche nach einer einheitlichen Konzeptionalisierung und Methode im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 640 (Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel, Projekt Religiöse und säkulare Repräsentationen im frühneuzeitlichen Europa, erste Förderphase, Leitung Heinz Schilling). Dass dies zu immer größeren konzentrischen Kreisen um den Begriff der Säkularisierung führen würde, war nach Angabe der Autoren am Anfang nicht abzusehen. Angestrebt ist im Ergebnis jedenfalls zum einen eine kritische Einführung in die historische und außerhistorische Säkularisierungsforschung mit einer gewissen Zuspitzung auf methodische Probleme empirischer historischer Säkularisierungsforschung und zum anderen eine Sammlung von Fallstudien zur Fragestellung.

 

Dabei unterscheiden die Verfasser bereits in der Einleitung im Gegensatz zu anderen zwischen Säkularisierung und Säkularisation. Säkularisation ist ihnen die Enteignung von Kirchengut und die Beendigung kirchlicher Herrschaft (z. B. im Gefolge der Reformation oder des Reichsdeputationshautschlusses von 1803). Demgegenüber verstehen sie unter Säkularisierung die breitere, ideengeschichtliche, kulturgeschichtliche, sozialgeschichtliche und politikgeschichtliche Entwicklung einer zunehmenden Umorientierung von christlichen zu säkularen Gesellschaften.

 

In der Einleitung problematisieren die Verfasser auf Grund gemeinsamer Diskussion Säkularisierung, Religion und Repräsentation. Danach bieten sie auf knapp 100 Seiten eine kurze Geschichte der Säkularisierungsthese aus Religionssoziologie, Philosophie, Germanistik, Wissenschaftsgeschichte, Kunstgeschichte und Geschichtswissenschaft (Humanismus, Reformation, konfessionelles Zeitalter, Pietismus, Aufklärung, zweites konfessionelles Zeitalter). Von hieraus fassen sie den Begriff der Säkularisierung und seine Komplementärbegriffe und Gegenbegriffe.

 

Auf dem Weg von der Theorie zur Empirie stellen sie die Frage: wie erforscht man Säkularisierung?. Als Methode bejahen sie die Miniaturisierung. Dementsprechend stellen sie sechs Fallbeispiele als Miniaturisierungen vor, betreffend die Sakralität der französischen Könige im 17. Jahrhundert (Ruth Schilling), den Wandel konfessioneller Repräsentation im frühneuzeitlichen Zürich (Heike Bock), den Kirchenbau des Luthertums (Vera Isaiasz), frühneuzeitliche Schulbücher (Stefan Ehrenpreis), Badeorte, lutherische Wunderquellen und katholische Wallfahrten (Ute Lotz-Heumann) und die Säkularisierung des Weltendes um 1700 (Matthias Pohlig).

 

Im Ergebnis gelangen sie zu der Erkenntnis, dass die Säkularisierung sowohl für die Selbstdefinition der europäischen Moderne wie auch als geschichtswissenschaftliche Bezeichnung für einen umfassenden neuzeitlichen Weltbildwandel eine zentrale Rolle spielt. Sie finden dabei ihre Eingangsvermutung, dass Religion alle Sektoren der frühneuzeitlichen Gesellschaft durchzog, bestätigt. Insgesamt erscheint es ihnen plausibel und forschungsstrategisch erfolgversprechend, den Säkularisierungsbegriff als Prozesskategorie der Frühneuzeitforschung für die Untersuchung unterschiedlicher Säkularisierungspfade in die Vormoderne beizubehalten, ihn aber stärker als bisher zu operationalisieren, ehe ein europäisches Modell von Säkularisierung konstruiert und für einen interzivilisatorischen Vergleich herangezogen wird, so dass auch hinsichtlich der Säkularisierung noch viel zu tun bleibt.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler