Mund, Wiebke, Das preußische Ehescheidungsrecht in der Judikatur des Berliner Obertribunals von 1835-1879 (= Schriften zur preußischen Rechtsgeschichte 5). Lang, Frankfurt am Main 2008. 192 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Werner Schubert betreute Kieler Dissertation der Verfasserin. Sie gliedert sich in sechs Kapitel. Sie befasst sich mit den Fragen, wie die Rechtsprechung Ehescheidungen behandelte, ob sie die tatsächlichen Ursachen einer Ehescheidung erkannte und ob sie einen Blick für das reale Scheidungsverhalten hatte, im Wege einer Analyse der Rechtsprechung zum preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794.

 

Nach kurzer Beschreibung des Gegenstands der Untersuchung stellt die Verfasserin das Ehescheidungsrecht nach den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts auf wenigen Seiten dar. Danach befasst sie sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung der unteren Bevölkerungsschichten Preußens zwischen 1830 und 1879 als Ursache für die hohe Zahl von Ehescheidungen, ohne dass sie eigene rechtstatsächliche Ermittlungen anstellt oder überzeugend darlegt. Im Anschluss daran verfolgt sie Gesetzgebungsvorhaben zum Ehescheidungsrecht zwischen 1825 und 1850 sowie zwischen 1850 und 1879.

 

Schwerpunkt der Arbeit ist die Auswertung der Rechtsprechung des preußischen Obertribunals zur Ehescheidung. Dabei unterscheidet die Verfasserin acht Abschnitte. Sie betreffen nacheinander Ehebruch/verdächtigen Umgang, bösliche Verlassung, Versagung der ehelichen Pflicht, Schimpfreden, unüberwindliche Abneigung, Provokation, Eheschließung unter Erlaubnisvorbehalt nach geschiedener Ehe und Beibehaltung des Namens und Ranges des Geschiedenen, während für die anschließende knappe Betrachtung der Rechtsprechung des Reichsgerichts nach den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts ab 1879 zwischen Ehebruch, Raserei, Gefährdung von Amt, Ehre usw., unüberwindlicher Abneigung, Veranlassung und Einwendung der Verzeihung unterschieden wird.

 

Insgesamt werden 29 auffindbare Urteile erfasst. Auf ihrer Grundlage gelangt die Verfasserin zu der Erkenntnis, dass das Obertribunal seinen Entscheidungen die Ansichten des Gesetzgebers über das Ehescheidungsrecht zugrundelegte und dabei verschärfend vorging und in mehr als der Hälfte der Fälle eine Ehescheidung eher zu verhindern versuchte. Soziologische Ursachen, die das Ehescheidungsbegehr (!) ausgelöst haben kön-nten (!) wurden nach den Feststellungen der Verfasserin in die Entscheidungsbegründungen nicht einbezogen.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler