Moldt, Dirk, Deutsche Stadtrechte im mittelalterlichen Siebenbürgen - Korporationsrechte - Sachsenspiegelrecht - Bergrecht (= Studia Transylvanica 37). Böhlau, Köln 2008. IX, 259 S., 2 Kart. Besprochen von Adrian Schmidt-Recla.
Dirk Moldt, Historiker in Berlin, untersucht die Wurzeln des (deutschen) Rechts in Siebenbürgen, das in seinen verschiedenen Ausformungen bis in das 16. Jahrhundert hinein nachgezeichnet wird. Der Autor legt eine mehreren Gegenständen zugewandte Studie vor, die sich in elf teilweise recht eigenständigen Kapiteln nicht nur der Verfassungsgeschichte Ungarns, dem in Siebenbürgen rezipierten Sachsenspiegelrecht und dem (Magdeburgischen) Stadtrecht, sondern auch Aspekten des siebenbürgischen Zunftwesens, dem in Siebenbürgen ebenfalls rezipierten mährischen Bergrecht, einzelnen Städtebünden und dem Recht der Siebenbürger Deutschen zuwendet, mit der Rezeption römischen Rechts bei den Siebenbürger Sachsen endet und mit den erforderlichen Registern komplettiert ist. Es handelt sich hauptsächlich um eine sammelnde Skizze des gesamten in Siebenbürgen im Mittelalter greifbaren normativen Rechts.
In den geografisch gegliederten ersten sieben Kapiteln behandelt Moldt das Ofener Stadtrecht und das ungarische Stadtrechtssystem, den „Hermannstädter Rechtskreis“ ebenso wie das „Bistritzer“ und das „Burzenland“, „Winz und Burgberg“, „Klausenburg“ und die „Gräfen“. Hier werden die einzelnen rechts- und verfassungshistorischen Entwicklungsschritte dargelegt und die jeweils einschlägigen Normativsammlungen vorgestellt. Das alles bietet einen detailreichen Überblick über das in den einzelnen Teilen Siebenbürgens greifbare territorial und lokal aufgezeichnete mittelalterliche Recht und ist insofern eine unbestreitbare Bereicherung für die rechtshistorische Forschung, wenn auch an den meisten Stellen Erkenntnisse festgehalten werden, die so oder etwas anders auch in der vorhandenen älteren oder jüngeren Literatur (etwa bei Bónis, Gönczi oder Szabó) nachgelesen werden können.
Die Arbeit an den einzelnen Rechten ist jedoch insofern definitiv eigenwillig, als Moldt immer wieder auf Parallelen der behandelten Siebenbürger Quellen zum Sachsenspiegel, zum Schwabenspiegel und zum Magdeburger Stadtrecht hinweist, ohne vorab zu diesen Primärquellen Stellung genommen zu haben, was wenig befriedigt: Erst am Ende des Buches, auf den Seiten 209-214, klärt der Autor den Leser über seine Ansichten zum Rechtscharakter von Sachsenspiegel und Magdeburger Stadtrecht auf. Bis dahin sind die Verweise aus dem ius recipiens in das ius receptum für Leser, die sich mit den mittelalterlichen Rechtsbüchern und Stadtrechten weniger auskennen, nur schwer zu decodieren. Die Vergleichsnormen zu den Siebenbürger Rechtsvorschriften werden darüber hinaus (mit nur wenigen Hinweisen auf andere Editionen) vor allem aus einer siebenbürgischen Sammelhandschrift aus dem heutigen Sibiu (Hermannstadt), dem Codex Altemberger zitiert, der 1885 von Gustav Lindner ediert worden und in mehreren Nachdrucken vorhanden ist, von der Forschung aber kaum noch wahrgenommen wird und auf den erneut hinzuweisen sicher ein Verdienst ist. Eckhardts, Schmidt-Wiegands und jüngst Lücks textkritische Editionen zum Sachsenspiegel fehlen als Textbasis aber völlig, ebenso wie die neue Schwabenspiegel-Edition von Derschka; auch Friedrich Ebels Editionen zum Magdeburger Recht fehlen (wie auch die älteren von Laband). Oppitz und Homeyer wurden offensichtlich ebenfalls nicht konsultiert. Das macht die Erörterungen zwar vielleicht noch nicht fehlerhaft, aber auch nicht in jeder Hinsicht überzeugend.
Die hinsichtlich des Land- und des Stadtrechts eben angesprochene Methodik wendet Moldt auch beim Bergrecht (gegliedert in Metall- und Salzbergbau) an. Auch hier geht der Autor von den siebenbürgischen Quellen aus und stellt beim Metallbergrecht insbesondere die „Rodenauer Handfeste“ und das Offenburger Bergrecht und beim Salzbergrecht die Rechte von Dés (Desch), Désakna (Salzburg), Torda (Thorenburg), Szék (Seck), Kolozs (Kloosmarkt) und Teke (Tekendorf) vor. Hier bietet sich viel Fundmaterial für weitere rechtshistorische Forschungen – insbesondere für die Fragestellung, ob ein bestimmtes wirtschaftliches Monopol (Erz oder Salz) neben einem typischen Bergrecht etwa auch ein typisches Stadtrecht hervorzubringen in der Lage war. Auch hier arbeitet Moldt im wesentlichen mit dem Lindnerschen Codex Altemberger. Es schließt sich ein Vergleich mit italienischen Bergrechten für den Metallbergbau (Trient, Massa Marittima) an. Bezugsgröße ist hier immer wieder das Bergrecht der mährischen Silberstadt Jihlava (Iglau), das freilich wieder nicht selbständig behandelt wird und so etwas undeutlich im Hintergrund steht. Das erzgebirgische Bergrecht von Freiberg – das zahlreiche Überschneidungen und Interdependenzen mit dem und zum Iglauer Bergrecht aufweist – als eventuelle Bezugsgröße (für Metallbergbauorte) fehlt ganz.
Heraushebenswert sind für die mittelalterliche Landrechtsgeschichte einige eher en passant eingestreute Bemerkungen des Autors über den Sachsenspiegel und das sogenannte „deutsche Recht im Osten“, dessen Bezeichnung auch durch Latinisierung (etwa Ius Saxonico-Maideburgense in Oriente) nicht weniger problematisch wird. Moldt meint, der in nach Vertreibung, Tötung und/oder Assimilierung der Slawen ethnisch gesäubertem (hierüber ließe sich diskutieren) Neusiedelgebiet für Siedler aus allen deutschen Gebieten (Sachsen, Franken, Lothringer, Flamen) entstandene Sachsenspiegel sei weniger Abbild von sächsischen Gewohnheiten, als vielmehr der Versuch, den unterschiedlichen Siedlern und ihren Nachkommen in Anhalt eine gemeinsame Identität und eine verbindliche Rechtsordnung zu geben. Eike von Repgow sei es nicht nur um die Aufzählung von Rechtsgewohnheiten gegangen, er sei Erfinder „rechtspolitischer Konstruktionen“ und „bahnbrechender Reformer“ gewesen und sein Werk sei weitaus mehr als nur aufgeschriebenes sächsisches Gewohnheitsrecht (S. 210). Obwohl die These nicht ganz neu ist, sondern von Karl Kroeschell angedeutet, von Gerhard Köbler begründet und neuerdings speziell für die Volksrechte und die Rechtsbücher von Peter Landau und Eva Schumann ausgebaut worden ist, hat sie es doch schwer, sich durchzusetzen. Moldt geht aber noch wesentlich weiter: Die Aussage, der Sachsenspiegel sei ein rechtliches Programm für eine gemischtethnische Neusiedlerbevölkerung gewesen, entzieht dem „sächsischen Recht“ eine gemeinhin vermutete „germanisch-deutsche“ Grundlage. „Deutsches oder sächsisch-magdeburgisches Recht“ im Osten, so Moldt, bezeichnet weniger ein ethnogenetisch determiniertes Recht, als vielmehr eine Idee, ein Vorbild oder eine Grundlage für lokales Konfliktmanagement. Es habe keine deutsche Bevölkerung benötigt, um als ius Theutonicorum bezeichnet zu werden. Für den „Hermannstädter Rechtskreis“ regelte „sächsisch-magdeburgisches Recht“ die Beziehungen eines durch Schwureinung konstituierten, vom Landesherrn politisch, ökonomisch und juristisch privilegierten, sich selbst verwaltenden und nach vollkommener Autonomie strebenden Personenverbandes, dessen Individuen innerhalb einer bestimmten Wik lebten (S. 52). Darüber sollte nachgedacht werden. Zustimmung verdient der Autor, wenn er schlussfolgert, dass das mittelalterliche Volksrecht, das Landrecht der Rechtsbücher und das mittelalterliche Stadtrecht „temporäre und nuancierte Erscheinungsformen eines permanenten Konfliktmanagements“ gewesen sei, dessen Entwicklung von den Menschen abhing, die das Recht praktizierten (S. 229).
Leipzig Adrian Schmidt-Recla