Möschter, Angela, Juden im venezianischen Treviso (1389-1509) (= Forschungen zur Geschichte der Juden, Abteilung A Abhandlungen 19). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2008. 476 S., 3 Taf., prosopogr. Katalog. Besprochen von J. Friedrich Battenberg.
Vorliegende bei Alfred Haverkamp am historischen Fachbereich der Universität Trier entstandene Dissertation beschäftigt sich mit der größten und bedeutendsten jüdischen Gemeinde Oberitaliens, deren Ansehen so groß war, dass benachbarte Gemeinden sie sogar als Superiores Hebreorum, als die Höheren, die Vorsteher unter den Juden, bezeichneten. Der Minhag – also die rechtlichen Gewohnheiten – der Gemeinde Treviso war für große Teile des nördlichen Italien maßgebend. Obwohl einige Beiträge zu Einzelaspekten des älteren venezianischen Treviso vorlagen, gab es bisher keine zusammenfassende monographische Darstellung. Quellen liegen offenbar reichhaltig vor, allein in Treviso aus der Kapitularbibliothek, dem Staatsarchiv und der Kommunalbibliothek. Welch reichhaltiger Fundus etwa die Akten des Podestà in der erstgenannten Bibliothek, aber auch die anderen Archive zu bieten, haben, hat die Autorin gleich einleitend deutlich gemacht. Natürlich kann auch sie keine umfassende Geschichte der mittelalterlichen Geschichte des Veneto liefern, zumal auch wesentliche Quellen, zumal der Minhag, noch der Edition warten. Ihr Ziel ist es vor allem, die älteren Siedlungsgeschichte der Gemeinde von dem Zeitpunkt an, in dem sie sich dauerhafter konstituierte, nachzugehen, und zwar bis zum Zeitpunkt der Vertreibung der Juden aus der Stadt. Nicht alles ist für den Rechts- und Verfassungshistoriker von Interesse, so dass auch die folgenden Ausführungen im Hinblick auf die in dieser Arbeit dargebotenen Informationen selektiv verfahren müssen.
In einem ersten Abschnitt informiert die Autorin über die Geschichte der Stadt Treviso selbst im zeitlichen Rahmen von 1389 bis 1509. Dies ist für den deutschen Leser vor allem deshalb wichtig, weil hier wenig an Vorwissen vorausgesetzt werden kann und italienische Arbeiten dazu kaum zugänglich sind. Man erfährt hier topographische Grundlagen, Informationen zu städtischer Wirtschaft und Gesellschaft, zu den Herrschaftsverhältnissen und der territorialen Administration Venedigs auf der terra ferma. Auch die Stifte, Klöster und Orden ebenso wie die Hospitalien werden vorgestellt und schließlich der Alltag der Feste und Feierlichkeiten. Damit hat die Autorin eine gute Grundlage dafür geschaffen, um im nächsten Abschnitt unter dem Titel „Juden in Treviso von 1389 bis 1509“ über die Siedlungsgeschichte im Einzelnen zu informieren. Ausführlich nimmt sie zur Größe der Gemeinde – im 15. Jahrhundert um die 150 Personen umfassend – Stellung, beschäftigt sich aber auch mit den Zuwanderungen vor allem aus dem Norden – die Immigration von aus der Reichsstadt Nürnberg vertriebenen Juden untersucht sie beispielhaft. Auch wenn die Darstellung sich manchmal etwas in Einzelheiten verliert, kann man sich am Ende doch ein recht gutes Bild, auch von den sozialen Differenzierungen in der Gemeinde, machen.
Wichtiger für den Rechtshistoriker erscheint der vierte Abschnitt der Darstellung, in der sich die Autorin der jüdischen Gemeinde mit ihrem christlichen Umfeld zuwendet. Sie informiert dabei über die Institutionen der Gemeinde, darunter den jüdischen Friedhof, die Synagoge, die Mikwe und Herbergen. Etwas versteckt unter „Weitere Gemeindeeinrichtungen“ und „Formen der Repräsentation“ geht die Autorin auch auf gemeindliche Ämter und Berufe ein, interessiert sich dabei aber mehr für die wirtschaftlichen Akteure, die Bankiers, die freilich gegenüber der christlichen Gemeinde als Vertreter und Fürsprecher auftraten. In einem weiteren Kapitel geht die Autorin nochmals ausführlicher auf die Tätigkeitsfelder der Juden in Treviso ein, untersucht vorhandene Netzwerke und informiert über Händler und Fabrikanten in der Gemeinde. Eher sozialgeschichtlich interessante Details breitet sie in einem weiteren Kapitel über das Zusammenleben zwischen Juden und Christen in der Stadt aus, das sich überwiegend als eine friedliche, wenngleich nicht konfliktfreie Koexistenz erwies (die ausführliche Darlegung der Inquisitionsprozesse gegen den Juden Benedictus Calimanai von 1439/40 und gegen den Juden Frizel von 1449 wegen Diebstahls machen dies deutlich). Aber auch Äußerungen von Judenfeindschaft sind immer wieder feststellbar, wie etwa in einem Inquisitionsprozess von 1453, der ausführlich analysiert wird. Höhepunkte der Feindschaft waren die Brandlegung der Synagoge 1492 und schließlich die Vertreibung 1492.
Mehr den wirtschaftsgeschichtlichen Aspekte der jüdischen Gemeinde Treviso wendet sich ein Kapitel unter dem Titel „Städtische Verträge und jüdische Geldleihe“ zu. Hierbei geht es auch um die Form der sog. condotte, die sich mit Geleits- oder Schutzbriefen des deutschen Rechtsgebrauchs vergleichen lassen. Obwohl die jüdische Geldleihe zu Beginn des 15. Jahrhunderts große Bedeutung hatte, kam es durch die Verbote des Kreditgeschäfts durch die christliche Obrigkeit seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in gleicher Weise wie in anderen Gemeinden wie Verona, Pauda und Vicenza zu erheblichen Einschränkungen. Auch machte sich hier der wachsende Einfluss der Bettelmönche bemerkbar, für welche die kirchenrechtlich untersagte Zinsnahme zum Hebel wurde, gegen das jüdische Darlehensgeschäft zu agitieren.
Als eine Art Fallstudie erweist sich das exkursmäßig eingebaute sechste Kapitel, das unter dem Gesichtspunkt der venezianischen Herrschaft die Jahre von 1438 bis 1442 nochmals gesondert herausgreift. Hier befasst sich die Autorin mit den Organisationsformen der christlichen Stadtgemeinde unter venezianischer Herrschaft, besonders dem collegium nobilium, dem collegium iudicum und dem collegium notariorum. Im Ergebnis erweist sich, zumindest für diese beispielhaft herausgestellten Jahre, dass dem venezianischen Podestà eine eher marginale Rolle zukam, dass für die christliche Gemeinde ein eigenständiger Freiraum bestand und der Podestà der Stadt als deren eigentlicher Repräsentant und deren höchste politische Autorität erschien. Dies hatte auch für die ‚Judenpolitik’ der Stadt Bedeutung – auch wenn hier noch abschließende Klärungen ausstehen.
In einem Schlusskapitel „Ergebnisse und Perspektiven“ geht die Autorin nochmals – unter teils redundanter Wiederholung des vorher Gesagten – auf die wichtigsten Aspekte und Besonderheiten der jüdischen Gemeinde in Treviso ein. Sie qualifiziert nochmals die verschiedenen begrifflichen Erscheinungsformen der Gemeinde als einer organisierten Gemeinschaft, geht aber vor allem auf die condotta als der maßgebenden Existenzgrundlage namentlich der jüdischen Bankiers ein. Anders als die nördlich der Alpen üblichen Schutz- und Geleitbriefe waren die condotte offenbar als pacta konzipiert und nicht einseitig von den jeweiligen Schutzherren verliehen. Ob damit das Aushandeln der Vertragsbedingungen eine günstigere Rechtsposition für die betroffenen Juden zur Folge hatte, müsste noch näher untersucht werden.
Mehr ein Drittel des gewichtigen Bandes nehmen ein prosopographischer Katalog der in den Quellen nachgewiesenen Juden aus Treviso (einschließlich eines Stammbaums), eine Edition von 37 Urkunden (in lateinischer Sprache), Verzeichnisse der ungedruckten und gedruckten Quellen sowie der Forschungsliteratur und schließlich ein Orts- und Personenregister ein – letzteres nur unter den Stichworten „Treviso“ und „Venedig“ auch Institutionen und Sachen enthaltend. Durch das Register, aber auch durch das detaillierte Inhaltsverzeichnis, kann auch der rechts- und verfassungshistorisch orientierte Leser einen einigermaßen sicheren Zugriff auf die Informationen des Bandes nehmen. Insgesamt sieht man der Arbeit an, dass die aus den Quellen gewonnenen Informationen zwar recht geordnet dem Leser präsentiert werden. Die Gelegenheit, diese Informationen zu einem zusammenhängenden Bild einzelner Institutionen (wie etwa der Schutzverträge, der Zinspraxis, der Vorsteherkollegien, überhaupt der rechtlichen Gewohnheiten innerhalb der Gemeinde) zusammen zu fassen, wurde nur in Ansätzen genutzt. Vor allem hätte sich ein Vergleich mit anderen aschkenasischen Gemeinden, auch des Heiligen Römischen Reiches außerhalb des Veneto, angeboten, um die Besonderheiten in Treviso noch deutlicher herauszuarbeiten. All dies ändert aber nichts an dem positiven Eindruck. Zumindest die Kenntnis der Geschichte der Juden Oberitaliens konnte deutlich erweitert werden, und durch die anhangsweise edierten Quellen ist auch dem Rechts- und Verfassungshistoriker ausreichend Grundlagenmaterial an die Hand gegeben worden, um weitere Kenntnis über die normative Situation und die Verfassungswirklichkeit zu gewinnen. Unter diesen Umständen wird man gerne über einzelne Ungeschicklichkeiten hinwegsehen können.
Darmstadt J. Friedrich Battenberg