Möller, Horst/Wengst, Udo, 60 Jahre Institut für Zeitgeschichte München - Berlin. Geschichte, Veröffentlichungen, Personalien. Oldenbourg, München 2009. 204 S., 8 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Das Institut für Zeitgeschichte (IfZ), gegründet 1949 in München, nicht zufällig in dem Jahr, in dem die Bundesrepublik aus der Taufe gehoben worden ist, feiert einen runden Geburtstag. Es ist Usus, solche Jubiläen in Form einer Festschrift zu würdigen; die Autoren des Buches, ihres Zeichens heute Direktor bzw. Stellvertretender Direktor des IfZ, bekennen sich unter Berufung auf die umfangreiche Veröffentlichung zum „Fünfziger“ vor zehn Jahren nun zu einer kleineren, aktualisierenden Publikation.

 

Gut die Hälfte des Umfanges der Festgabe nimmt eine bilanzierende Darstellung der 60-jährigen Geschichte des Instituts aus der Feder Horst Möllers ein (91 Seiten). Er führt Dokumentation, Beratung, Begutachtung, Forschung und die historisch-politische Bildung als die wesentlichen Tätigkeitsfelder der Einrichtung an, die in ihrer aktuellen Rechtsform von einer Stiftung bürgerlichen Rechts getragen und deren ordentlicher Wirtschaftsplan je zur Hälfte vom Bund und den Ländern finanziert wird. Im Stiftungsrat obliegt der geschäftsführende Vorsitz für die Länder dem Freistaat Bayern, befindet sich doch die Zentrale der Forschungsstätte in der Münchener Leonrodstraße; Außenstellen wurden mittlerweile in Berlin-Lichterfelde, im Auswärtigen Amt und am Obersalzberg etabliert.

 

Am Anfang war die Tätigkeit des IfZ, das bis 1952 den bezeichnenden Namen „Deutsches Institut für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit“ trug, von der Aufgabe geprägt, gerichtlich verwertbare Gutachten für die zahlreichen Verfahren gegen Funktionäre und Täter des NS-Regimes zu erstellen. Diese Konstellation sei maßgeblich für die methodische Ausrichtung gewesen, denn „die Prozesse zwangen zu einer nüchternen Rekonstruktion historischer Vorgänge, institutioneller Zusammenhänge und personeller Verantwortlichkeiten“ (S. 12), womit ein Abgleiten in eine ungenaue, moralisch-emotional geprägte Aufarbeitung der Vergangenheit verhindert wurde. Des Weiteren musste durch strengste wissenschaftliche Maßstäbe – etwa auf dem Gebiet der Quellensammlung und der Edition – von vornherein der Eindruck vermieden werden, dass – nach einem Diktum Gerhard Ritters aus dem Jahr 1951 – „das Institut  … als offiziöses Propagandainstrument der heutigen Regierungen und der hinter ihnen stehenden Amerikaner betrachtet“ werden könnte (S. 49). In diesem Zusammenhang stellt das Projekt einer historisch-kritischen Ausgabe von Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ nach Auslaufen des Urheberschutzes 70 Jahre nach dem Tod des Autors im Jahr 2015 nur ein aktuelles Beispiel dar. Darüber hinaus beschränkt sich die Arbeit des IfZ heute aber längst nicht mehr auf die NS-Ära; so sei man etwa „das einzige geschichtswissenschaftliche Forschungsinstitut in Deutschland, das einen ausgesprochenen Schwerpunkt in der Geschichte der internationalen Beziehungen besitzt“ (S. 97).

 

Ein besonderes Anliegen Horst Möllers ist es, der Mär entgegenzuwirken, die nationalsozialistische Vergangenheit sei in der Bundesrepublik Deutschland systematisch „unter den Teppich gekehrt“ worden. Mehrfach wendet er sich mit überzeugenden Argumenten gegen diesen bisweilen von verschiedenen Seiten erhobenen, von ihm als „von Ignoranz oder Böswilligkeit zeugend“ (S. 60) charakterisierten Vorwurf. So belegten „ein Blick in die Publikationsliste … ebenso wie die damaligen Institutsplanungen und ihre eingehende Diskussion in seinen Gremien … wie falsch (oder böswillig) die Behauptung ist, in den 1950er Jahren seien Themen wie Judenverfolgung, Konzentrationslager, Widerstand, Emigration, Besatzungspolitik, Wehrmacht und Nationalsozialismus, soziale Basis und Finanzierung der NSDAP, ideologische Voraussetzungen des Nationalsozialismus u. a. m. nicht behandelt worden“ (S. 44). Auch das „angebliche Informationsdefizit über diese Verbrechen“ (der deutschen Besatzungspolitik, W. A.) sei vor dem Hintergrund zahlreicher wegweisender Studien, wie etwa jener zum „ideologischen Technokraten“, einem Funktionärstypus mit oftmals juristischer oder anderer akademischer Ausbildung, der die kriminelle Effizienz des NS-Regimes in unvorstellbarer Weise gesteigert habe, schlichtweg „eine Chimäre“ (S. 70). Und schließlich heißt es an anderer Stelle: „1949 bis 1989 wurden 37.000 Ermittlungsverfahren gegen ca. 160.000 Personen dokumentiert – schon diese Zahl ist ein Zeichen, wie abwegig die Einschätzung ist, man habe sich früher mit den NS-Massenverbrechen nicht beschäftigt, ja sie offiziell verdrängt“ (S. 94).

 

Schade nur, dass der Eindruck dieses nützlichen und zweckmäßigen Textes wieder einmal durch die heute offenbar nicht mehr vermeidbaren Lektorats- oder Druckfehler etwas getrübt wird; mehrfach werden die Namen von verdienten Forschern verunstaltet: „Hermann Gramis Buch“ (richtig: Gramls, S. 44), „Helmut Heihers … Darstellung“ (richtig: Heibers, S. 58), „Mandred Kittel“ (richtig: Manfred, S. 78).

 

Hellmuth Auerbach, Hermann Weiß und Udo Wengst  zeichnen für die Institutschronik verantwortlich (48 Seiten). Eine umfassende Auflistung der Institutsveröffentlichungen  bildet den dritten Teil des Bandes (41 Seiten), dem abschließend noch Personalienverzeichnisse der Leitungsgremien und der Mitarbeiter nachfolgen (13 Seiten). Darüber hinaus präsentieren vier Blätter in Schwarzweiß und auf Hochglanzpapier acht fotografische Darstellungen von Mitarbeitern des Instituts in Gesellschaft inländischer und ausländischer Honoratioren. Die Aufnahmen stammen – dem Aktualitätsanspruch genügend - aus der jüngsten Vergangenheit ab 2003 und sollen wohl die gesellschaftspolitische Bedeutung der Einrichtung unterstreichen. Direktor Möller ist auf sieben der acht Abbildungen zu sehen.

 

Den nützlichsten und wertvollsten Teil dieser Festschrift bildet augenscheinlich der dritte Abschnitt, also das breit angelegte Verzeichnis sämtlicher Publikationen des IfZ bis einschließlich 2008, die als materielle Manifestationen der  Forschungsarbeit so einem breiten Publikum erschlossen werden. Da viele der Veröffentlichungen nicht nur historische Kategorien, sondern auch rechtliche Materien und Schwerpunkte berühren, lohnt es sich, das Wichtigste im Überblick zu referieren.

 

Seit 1953 erscheinen die namhaften „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“ (VfZ) mit der beiliegenden „Bibliographie zur Zeitgeschichte“ als Periodikum des Instituts. Eine eigene „Schriftenreihe“ der Vierteljahrshefte umfasst 97 Bände und zahlreiche Sondernummern. Hans Robinsohn hat sich in Band 35 mit der Rechtsprechung in sogenannten „Rassenschandefällen“ zwischen 1936 und 1943 befasst, Hermann Wentker in Band 74 die Tätigkeit der Volksrichter in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR dokumentiert.

 

Jeweils „zur Zeitgeschichte“ wurden darüber hinaus bisher veröffentlicht: „Studien“ (78 Bde.), „Quellen und Darstellungen“ (73 Bde.) - darunter Lothar Gruchmanns Standardwerk zur „Justiz im Dritten Reich 1933-1940“ (Bd. 28) und Arbeiten zur Umgestaltung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens- und Richterrechts (Hermann Weinkauff), zum öffentlichen Recht (Rudolf Echterhölter)) und zum Volksgerichtshof (Walter Wagner) im nationalsozialistischen Staat (jeweils Bd. 16) - , „Biographische Quellen“ (25 Bde.) und „Texte und Materialien“ (16 Bde.). Als zweiter Band der „Texte und Materialien“ ist die 1985 von Hinrich Rüping zusammengestellte „Bibliographie zum Strafrecht im Nationalsozialismus. Literatur zum Straf-, Strafverfahrens- und Strafvollzugsrecht mit ihren Grundlagen und einem Anhang: Verzeichnis der öffentlichen Entscheidungen der Sondergerichte“ besonders hervorzuheben.

 

In eigenen Reihen konnten ferner eine  „Deutsche Geschichte seit dem Ersten Weltkrieg“ (3 Bde.), „Bayern in der NS-Zeit“ (6 Bde.), ein „Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933“ (3 Bde.), die „Bibliographie zur Zeitgeschichte 1953-1995“ (5 Bde.) und „Darstellungen und Quellen zur Geschichte von Auschwitz“ (4 Bde.) publiziert werden. Eine erhebliche Zahl von Einzelveröffentlichungen und zwei umfangreiche Taschenbuchreihen, die „dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts“ und eine „Deutsche Geschichte der neuesten Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart“, sind zusätzlich zu erwähnen.

 

Daneben zeugen große Editionsprojekte wie die „Akten zur Vorgeschichte der BRD 1945-1949“ (5 Bde.), die „Akten zur Auswärtigen Politik der BRD“ für die Jahre 1949 bis 1978 und „Die BRD und Frankreich: Dokumente 1949-1963“ (4 Bde.) von einer lebendigen Grundlagenforschung. Neben den „Tagebücher(n) von Joseph Goebbels“ (Teil I: 9 Bde. – ohne Zählung der Teilbände - ; Teil II: 15 Bde.; Teil III: 3 Registerbände) sind zwei Mikrofiche-Editionen bemerkenswert: die „Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP“ (ca. 200.000 Seiten auf 491 Mikrofiches) und die Edition „Widerstand als „Hochverrat“ 1933-1945. Die Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht“ (ein Erschließungsband wurde als Band 7 der „Texte und Materialien“ erstellt), interessant nicht nur, aber vor allem auch für Juristen. Das gilt in gleichem Maß für den „Der Hitler-Prozess 1924“ betitelten, von Lothar Gruchmann und Reinhard Weber betreuten Ergänzungsband zur sechsbändigen Sammlung „Hitler, Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933“. Vom jüngsten Editionsvorhaben des IfZ, „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945“, ist bereits ein erster Band erschienen, der die Vorgänge im Deutschen Reich zwischen 1933 und 1937 erfasst.

 

Kapfenberg                                                                Werner Augustinovic