Miederhoff, Thorsten, Man erspare es mir, mein Juristenherz auszuschütten. Dr. iur. Kurt Tucholsky (1890-1935). Sein juristischer Werdegang und seine Auseinandersetzung mit der Weimarer Strafrechtsreformdebatte am Beispiel der Rechtsprechung durch Laienrichter (= Rechtshistorische Reihe Bd. 369), Lang, Frankfurt am Main 2008, 301 S. Besprochen von Lieselotte Jelowik.

 

Mit dem Namen Kurt Tucholsky verbindet sich gemeinhin der Gedanke an den streitbaren Publizisten und politischen Schriftsteller der Weimarer Republik, vielleicht, je nach literarischer Neigung, an den Verfasser der heiter-romantischen Liebesgeschichten „Rheinsberg“ und „Schloß Gripsholm“. Dass Tucholsky von Haus aus Jurist war, dürfte hingegen weit weniger oder gar nicht bekannt sein, ein Phänomen, das er mit manch anderem Schriftsteller- und Dichterjuristen teilt. Immerhin waren „seit dem 18. Jahrhundert ... überdurchschnittlich viele deutschsprachige Autoren studierte Juristen“ (S. 36), die ihren Ruf allein ihrem literarischen Schaffen verdanken. Die Möglichkeit, Tucholsky als Juristen wahrzunehmen, wird zudem dadurch erschwert, dass er „weder einen klassischen juristischen Beruf ausübte noch sonst als Jurist in Erscheinung trat“ (S. 18).

 

Es ist das erklärte Ziel des Verfassers, „das Interesse der Juristen an Leben und Werk des Juristen Tucholsky (zu) wecken“ (S. 23). Dieser selbstgewählten Beschränkung der Ziel- und Wirkungsrichtung hätte es freilich nicht bedurft: Auch Literaturfreunde und politisch interessierte Leser dürften von den Ergebnissen der Untersuchung profitieren.

 

Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung einer rechtswissenschaftlichen Dissertation, die von Christian Hattenhauer (Münster) betreut und im Sommer 2007 verteidigt wurde. Im ersten Kapitel geht Miederhoff dem juristischen Werdegang Tucholskys nach („Vom Studenten zum Doktor der Rechte ...“, S. 25ff.). Die Wahl des Studienfachs scheint durch dessen bürgerliche Herkunft und die zeitgemäße Beliebtheit des Jurastudiums gleichermaßen bestimmt worden zu sein. Tucholsky absolvierte von 1909 bis 1912 an der Berliner Universität ein reguläres juristisches Studium einschließlich eines Auslandssemesters in Genf. Entgegen anderslautenden, durch seine schon damals lebhafte schriftstellerische Betätigung genährten Behauptungen (S. 54ff.) hat er das Studium durchaus ernst genommen, zumindest, so Miederhoff, „lässt sich die These vom desinteressierten und oberflächlichen Jurastudenten [Tucholsky] nicht belegen“ (S. 56). In der Zahl der von Tucholsky pro Semester belegten Vorlesungen, in dem Besuch von Gerichtsverhandlungen und in seinem, wohl unter dem Eindruck des Unterrichts bei Franz von Liszt geweckten Interesse am Strafrecht sieht Miederhoff hinreichende Beweise für die Ernsthaftigkeit, mit der Tucholsky sein Studium betrieb. Die Entscheidung, sich durch den Besuch eines privaten Repetitors auf die Prüfung vorzubereiten, unterstreicht seinen Willen zum erfolgreichen Studienabschluß. Die Teilnahme an diesem Repetitorium sollte für Tucholsky schon insofern nicht folgenlos bleiben, als er den hier praktizierten juristischen Übungen die Namen der imaginären Prozessparteien bzw. Straftäter „Peter Panter“ und „Theobald Tiger“ als zwei seiner späteren Pseudonyme entlehnte.

 

Dass Tucholsky sich dem abschließenden Staatsexamen entzog, mochte mit der von ihm befürchteten Strenge der kammergerichtlichen Prüfungskommission zusammenhängen, wie Miederhoff vermutet. Faktisch bedeutete dies den Verzicht auf eine juristische Laufbahn. Mit Eifer bemühte er sich dagegen um die Erlangung der juristischen Doktorwürde der Universität Jena, die ihm aufgrund einer Dissertation über ein anerkannt schwieriges Thema aus dem Hypothekenrecht und nach Überwindung einiger Hürden schließlich im Februar 1915 verliehen wurde. Wer wollte Tucholsky unterstellen, dass es ihm im Ergebnis seines Studiums vor allem oder gar allein darauf angekommen war, obgleich die Vermutung nicht völlig abwegig scheint.

 

Mag „das Studium der Rechte ... sich scheinbar wie ein Fremdkörper in Tucholskys Biographie aus(nehmen)“, wie Miederhoff resümiert (S. 145), für seine schriftstellerische und journalistische Tätigkeit, die sich zu einem wesentlichen Teil als Justizkritik darstellte, war die juristische Ausbildung unverkennbar prägend. Diesem Problemkreis geht Miederhoff im zweiten Kapitel nach („Schriftsteller und Journalist mit ‚Juristenherz’ – Tucholskys Auseinandersetzung mit der Laienbeteiligung am Strafprozess“, S. 149ff.).

 

In dem von Tucholsky hinterlassenen Schrifttum hat Miederhoff 171 Texte mit Rechts- und Justizbezug aus dem Zeitraum von 1911 bis 1932 mit deutlichem Schwerpunkt in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre ermittelt, über deren Analyse sich seine „Annäherung an den Juristen Tucholsky“ vollzieht (S. 152).

 

Die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen, sei es privat oder als Berichterstatter, brachte Tucholsky schon früh mit der Justiz in Kontakt. Seine anfänglich von Achtung und hohen Erwartungen an die Richterschaft geprägte Haltung zur Justiz wandelte sich unter dem Eindruck einiger zum Teil spektakulärer Schwurgerichtsprozesse zu Beginn der zwanziger Jahre, die sein Vertrauen in die Justiz zutiefst erschütterten. Hier hatten auch seine Äußerungen über die Laienbeteiligung am Strafprozess ihren Ausgangspunkt. Seine Justizkritik, die sich vor allem an offenbaren Fehlurteilen in schwurgerichtlichen Verfahren (z. B. im „Fall Harden“) entzündete, richtete sich zwar in erster Linie gegen die Berufsrichter, verschonte aber auch die Laienrichter nicht. Ihnen lastete er einen erheblichen Anteil am Zustandekommen ungerechter Urteile an. Insofern war seine Haltung zur Laienbeteiligung am Strafprozess durchaus ambivalent. „Seine Kritik an Schöffen und Geschworenen galt ... weniger den Laienrichtern schlechthin, sondern war Teil seiner Auseinandersetzung mit der bestehenden Form der Laienbeteiligung“ (S. 172). Tucholsky trat zwar nicht mit eigenen Reformvorschlägen hervor, seine Position erschließt sich jedoch unschwer aus seinem justizkritischen journalistischen Schrifttum, wie Miederhoff vor dem Hintergrund der rechtlichen Regelung der Laienbeteiligung im Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 und deren tiefgreifender Umgestaltung durch die Emminger-Verordnung von 1924 überzeugend darlegt.

 

Tucholskys Äußerungen zur Ausgestaltung der Laiengerichtsbarkeit bewegten sich vornehmlich auf zwei Problemfeldern. Reformbedürftig erschien ihm die Auswahl der Laienrichter („der Arbeiter fehlt fast immer“, S. 153, 184) ebenso wie ihre prozessuale Stellung im Verhältnis zu den Berufsrichtern. Vor allem gegen die Gefahr der Beeinflussung der Laien- durch die Berufsrichter, die im Zuge der Neuregelung von 1924 signifikant gestiegen war, schien ihm Abhilfe nötig, denn ihre seitdem vorgeschriebene gemeinsame Beratung hatte „die Geschworenen in Tucholskys Augen zu Statisten degradiert“ (S. 217). Einen Ausweg sah er in der Wiedereinführung der Schwurgerichte, wie sie bis 1924 bestanden hatten. Während seine Kritik an den Berufsrichtern sich in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre zuspitzte, nahm er gegenüber den Laienrichtern, die er vordem als kleinbürgerlich, obrigkeitsgläubig und servil kritisiert hatte, nunmehr eine eher „versöhnliche Haltung“ ein (S. 241). Miederhoff sieht in der offenbar von der Freirechtsbewegung beeinflussten Position Tucholskys ein „Plädoyer für eine am Gerechtigkeitsgefühl orientierte Rechtsprechung“ (S. 227) unter Bedingungen, die „wenig Hoffnung auf Veränderungen in der Justiz“ zuließen (S. 226). Wenn er an anderer Stelle meint, Tucholsky sei es darum gegangen, „die Justiz im umfassenden Sinn zu demokratisieren und zu modernisieren“, wozu die Wiedereinführung der alten Schwurgerichte „ein wesentlicher Schritt“ sein sollte (S. 224), so entbehrt diese Interpretation freilich unter den Verhältnissen der Weimarer Republik jeder Logik und Substanz, zumal Tucholsky sich der Aussichtslosigkeit solcher Intention bewusst gewesen sein dürfte. Sein Bemühen zielte vielmehr auf die Stärkung der Rolle der Laienrichter durch Schulung und Belehrung, für die er sich mit seinen publizistischen Mitteln auch selbst engagierte.

 

Die Arbeit beruht neben archivalischen Studien vor allem auf der umfassenden und gründlichen Auswertung der umfangreichen Literatur von und über Tucholsky. Die kritische Auseinandersetzung mit den Positionen der zahlreichen Biographen und Kritiker Tucholskys zieht sich durch die gesamte Arbeit und ist einer ihrer unbestreitbaren Vorzüge.

 

Im Anhang gibt Miederhoff eine Übersicht über die von Tucholsky während seines Studiums belegten juristischen Vorlesungen (Teil I), dokumentiert dessen juristischen Werdegang  anhand  von Studien- und Promotionsunterlagen aus den Universitätsarchiven Berlin und Jena (Teil II), und stellt die Fundstellen von Tucholsky-Texten mit Rechts- und Justizbezug synoptisch dar (Teil III).

 

Alles in allem handelt es sich um eine Arbeit, die geeignet ist, den „Tucholskygeist“ (Hans Wrobel in: Zeitschrift für Rechtspolitik 1985, S. 319), nicht nur unter Juristen, lebendig zu erhalten.

 

Halle (Saale)                                       Lieselotte Jelowik