Medieval Petitions: Grace and Grievance, hg. v. Ormrod,
William Mark/Dodd, Gwilym/Musson, Anthony. Boydell & Brewer,
Woodbridge/Suffolk 2009. X, 254 S.
Seit
ca. 1272 war es in England üblich, mit Petitionen in Schriftform einen Gefallen
oder eine Gnade vom Herrscher zu erbitten. Über 17000 dieser Bittschriften, die
bis Anfang des 15. Jahrhunderts fast ausschließlich in Anglo-Normannisch, seit
den 1440er Jahren vornehmlich in Mittelenglisch abgefasst wurden, sind heute
noch im englischen Nationalarchiv (TNA) unter der Signatur SC 8 überliefert. Durch
ein vom Arts and Humanities Research Council finanziertes Projekt unter
Federführung William Mark Ormrods wurde nicht nur ein detailliertes Findbuch
erstellt, sondern auch die Digitalisierung dieser Quellen vorgenommen, die zur
Zeit noch kostenlos online einzusehen und herunterzuladen sind
(http://www.nationalarchives.gov.uk/documentsonline). Der vorliegende Band, der
sich hauptsächlich mit dem späten 13. bis späten 15. Jahrhundert befasst, ist
das Ergebnis zweier 2006 in London im Rahmen dieses Projekts abgehaltener
Konferenzen.
In
seiner „Introduction: Medieval Petitions in Context“ (S. 1-11) gibt William
Mark Ormrod einen kurzen Überblick über das Projekt und eine
Zusammenfassung der folgenden Aufsätze. Gwilym Dodd (Parliamentary
Petitions? The Origins and Provenance of the ’Ancient Petitions’ (SC 8) in the
National Archives, S. 12-46) erläutert die Entstehungsgeschichte der artifiziellen,
modernen SC 8-Klasse. Im 19. Jahrhundert wurden Petitionen aus verschiedenen mittelalterlichen
Beständen genommen und in einer neuen Klasse (Special Collections)
zusammengefasst. Daher kann heutzutage nicht immer klar ermittelt werden, welche
Petitionen beim Parlament eingereicht wurden, doch argumentiert Dodd überzeugend,
dass die meisten der in den SC 8 zusammengefassten Petitionen im Zusammenhang
mit einem Parlament entstanden. Serena Connolly gibt einen Überblick
über „Petitioning in the Ancient World“ (S. 47-63), während sich Barbara
Bombi (Petitioning between England and Avignon in the First Half of the
Fourteenth Century, S. 64-81) differenziert bei der von der englischen Kanzlei
an den Papst geschickten Korrespondenz zwischen littere gratulatorie, littere
recommendatorie, littere deprecatorie und littere exhortatorie,
und erkennt in den littere deprecatorie die größten Ähnlichkeiten mit den
englischen Petitionen an den König. Der Erfolg der diplomatischen Korrespondenz
hing unter anderem von einer gemeinsamen bürokratischen, nur von Experten
beherrschten Sprache ab und einem Netzwerk inoffizieller Kontakte. Mit den an
den Papst adressierten, erfolgreichen Petitionen befasst sich Patrick
Zutschi (Petitions to the Pope in the Fourteenth Century, S. 82-98). Er gliedert
die Bittschriften in sechs Typen, beschreibt, warum sie verfasst und wie sie
gestaltet wurden, geht auf die Überlieferungsgeschichte ein und erörtert ihren
Quellenwert. Paul Brand (Understanding Early Petitions: An Analysis of
the Content of Petitions to Parliament in the Reign of Edward I, S. 99-119) hingegen
ordnet die von ihm untersuchten über 750 Petitionen in sieben Kategorien und
erläutert, warum der Weg über (seit 1272 vorwiegend schriftliche) Petitionen jeweils
gewählt wurde. Guihem Pépin (Petitions from Gascony: Testimonies of a
Special Relationship, S. 120-134) betont, dass sich der Kronrat (king’s
council) mit dem größtem Teil der aus der Gascogne stammenden Petitionen
beschäftigte, was sie von den englischen Petitionen abhebt, die überwiegend parlamentarische
Provenienz hatten. William
Mark Ormrod (Murmur, Clamour
and Noise: Voicing Complaint and Remedy in Petitions to the English Crown, c.
1300-c. 1460,
S. 135-155) wendet sich den in den schriftlichen Petitionen und den Dorsalvermerken
enthaltenen akustische Metaphern zu, die aus der Tradition der mündlich
vorgetragenen Bitten herübergerettet wurden. Er sieht insbesondere den Hinweis
auf „clamour“ (Aufschrei) als rhetorisches Mittel, eine Gemeinschaft zu
suggerieren und so den Anschein zu erwecken, das Anliegen des Bittstellers
würde von vielen geteilt. Anthony Musson (Queenship, Lordship and
Petitioning in Late Medieval England, S. 156-172) hebt die aktive und passive
Rolle der Königin und anderer Magnate im Petitionswesen hervor und den besonderen
Status, den sie vor und nach der Absetzung Eduards II. hatte. Der Beitrag von Simon
J. Harris (Taking Your Chances: Petitioning in the Last Years of Edward II
and the First Years of Edward III, S. 173-192) zeigt, dass die Zahl der Bittschriften
in Krisenjahren in die Höhe schoss und dass ein Unterschied zwischen den Jahren
1322-26 und 1327-30 zu erkennen ist. Den Einfluss politischer Veränderungen auf
die Wortwahl von Petitionen beschreibt Shelagh A. Sneddon (Words and
Realities: The Language and Dating of Petitions, 1326-7, S. 193-205) in bezug
auf die Phase zwischen der Absetzung Eduards II. und der Thronbesteigung
Eduards III. David Crook wendet sich einer speziellen Petition zu (A
Petition from the Prisoners in Nottingham Gaol, c. 1330, S. 206-221), die
vermutlich von Sir Hugh de Eland initiiert wurde, dessen kriminelle Karriere
beleuchtet wird. Die Petition (SC 8/65/3213), eine Liste der Gefangenen im
Nottinghamer Gefängnis (Just 1/686, rots. 73-86d) und zwei Dokumente, aus denen
die Vergehen Hugh de Elands hervorgehen (Just 1/686, rot. 82d, SC 8/7/301),
werden im Anhang ediert. Die Originale sind auf
http://www.nationalarchives.gov.uk/documentsonline bzw. in Kürze auf
www.aalt.law.uh.edu einzusehen. Gwilym Dodd (Thomas Paunfield, the ’heye
Court of rightwisness’ and the Language of Petitioning in the Fifteenth
Century, S. 222-241) beschäftigt sich mit einer langen, in Englisch verfassten Petition,
die auch in einer gekürzten französischen Fassung vorliegt, die unterschiedliche
Funktionen hatten. Ein Index rundet diesen Band ab, der einen guten Überblick
über die reichhaltigen Informationen bietet, die in den Petitionen stecken.
Fürth Susanne Jenks