Majer, Diemut, Frauen - Revolution - Recht. Die großen europäischen Revolutionen in Frankreich, Deutschland und Österreich 1789 bis 1916 und die Rechtsstellung der Frauen, unter Einbezug von England, Russland, der USA und der Schweiz (= Europäische Rechts- und Regionalgeschichte 5). Dike/Nomos, Zürich/Baden-Baden 2008. XXXIII; 479 S. Besprochen von Ilse Reiter.
Nach ihren 14 Vorlesungen zur Rechtsstellung der Frau in der Geschichte („Der lange Weg zur Gleichheit“, 1995) legt Diemut Majer nun eine umfangreiche Studie abermals zur Frauenrechtsgeschichte vor, in der sie eine „Verknüpfung zwischen ereignisgeschichtlichen (Frauen, Revolution) und rechtshistorischen Elementen (Rechtsstellung der Frauen)“ vornimmt (X). Von einer „klassischen“ Revolutionsgeschichte der Frauen distanziert sich Majer ebenso dezidiert wie von einer „klassischen“ Rechtsgeschichte der Frauen, vielmehr beschränkt sie sich darauf, revolutionsgeschichtliche „Befunde“ zur Stellung der Frauen im Ehe- und Familienrecht sowie im Bereich der politischen Rechte darzustellen und mit revolutionsgeschichtlichen Ereignissen zu verbinden.
Nach einem Vorwort, in dem sie aus Sicht der weiblichen Wissenschafterin und damit verbunden auch eigenen Diskriminierungserfahrungen einzelne Aspekte des Genderdiskurses der letzten 30 Jahre thematisiert, wendet sie sich den europäischen Revolutionen und ihren unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Frauen zu, wobei sie primär die Revolutionen in Frankreich 1789 und 1848, die entsprechenden Ereignisse des Jahres 1848 in Deutschland und Österreich sowie die deutschen von 1918/19 behandelt.
Majer eröffnet den Reigen mit der französischen Revolution von 1789, wobei sie zunächst auf die bekannten politischen Aktivitäten der Frauen im Revolutionsverlauf im Allgemeinen und die einzelner Protagonistinnen eingeht. Ein besonderes Augenmerk legt sie auf die Clubs und den Ausschluss der Frauen aus den politischen Debatten in der Nationalversammlung. Nach einem kurzen Blick auf die Frauen im kulturellen Leben, in welchem Kontext sie auch die - freilich nicht erst, wie Majer meint, seit dem „Zeitalter der Hexenverfolgung“ (45) aus politischen Gründen praktizierte - Sexualisierung von Frauen anspricht, sowie auf die Frauenbildung zieht sie das unumstrittene Fazit, dass die französische Revolution im politischen Bereich für die Frauen überhaupt keinen positiven, in Bildungsfragen nur einen bescheidenen Erfolg nach sich zog. In weiterer Folge beschreibt Majer nach einem Überblick über die Rechtsstellung der Frau im Ancien régime, wobei sie auch die querelle des femmes anspricht, die Änderungen des Ehe- und Familienrechts durch das Droit intermédiaire, das in der Tat nun zugunsten der Frauen wirkte. Nicht nur wurden nämlich Ehe und Familie unter staatliche Kontrolle gestellt, sondern es kam auch zur weitgehenden Verwirklichung der personenrechtlichen Gleichheit und zur Befreiung der Frau von männlicher Tyrannei und kirchlicher Bevormundung durch die Ermöglichung der Ehescheidung. Die auf die Revolution folgende emanzipatorische Kehrtwende zeigt Majer dann anhand der antirevolutionären Regelungen des Code civil, der ja, wie bereit Marianne Weber herausarbeitete, eindeutige Züge des mittelalterlichen Patriarchalismus trug.
In nächsten Abschnitt analysiert Majer die Revolution von 1848 und ihre Nachwirkungen. Wie sie zeigt, war in dieser Revolution für die Anliegen der Frauen „kein Raum“, wenngleich diese, zum Teil geprägt durch die Saint-Simonisten der 1830er Jahre, für gleiche Chancen und Rechte sowie ein neues, nicht nur durch Ehe und Mutterschaft allein geprägtes Frauenbild kämpften. Die Revolution war letztlich nach Majer von einer „Zurückweisung der Frauenemanzipation durch die Rechts- und Gesellschaftsordnung wie auch durch den oppositionellen Sozialismus“ (85) gekennzeichnet, wobei sie die angesprochene „Frauenfeindlichkeit“ der Sozialisten (83) allerdings nicht weiter ausführt. Die folgenden Abschnitte sind den revolutionären Spuren im Bildungswesen für Frauen, dem Spannungsverhältnis von sozialer Wertschätzung und rechtlicher Unmündigkeit von Frauen sowie der Pariser Commune 1871 gewidmet.
Der zweite Hauptteil beschäftigt sich mit den Revolutionen in Deutschland. Diesen leitetet die Verfasserin mit einer Skizzierung der Ursprünge des traditionellen Frauenbildes ein und thematisiert dabei, ausgehend vom aristotelischen Eingeschlechtlichkeitsmodell die Entwicklung zur Geschlechterdichotomie, wie sie sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert herausentwickelte und im bürgerlichen Zeitalter verfestigte (wobei allerdings nicht klar wird, warum dies gerade im Deutschland-Teil abgehandelt wird). Im Anschluss daran analysiert Majer das Frauenbild in und nach der Revolution von 1848 sowie die Verfestigung der Geschlechtsstereotype und damit die Verengung des Frauenbildes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie führt die Argumente der Rechtswissenschaft für das traditionelle Frauenbild ebenso vor wie die Forderungen von Frauen nach Bürgerrechten und die Rolle der Sexualwissenschaft in der Perpetuierung konventioneller Rollenbilder am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.
In einem weiteren Abschnitt untersucht Majer die revolutionsspezifischen Einflüsse auf das Preußische Allgemeine Landrecht (ALR), das sie gleichzeitig selbst in gewisser Weise als eine Revolution „von oben“ bezeichnet. Zur Erklärung des Kompromisses der Kodifikation hinsichtlich der Stellung der Frau zwischen traditioneller Geschlechterhierarchie und naturrechtlichen Postulaten greift sie zum einen auf die Geschlechtsvormundschaft des gemeinen Rechts zurück, zum anderen stellt sie konkret die Rechtsstellung der Frau nach dem ALR dar, unter dessen obrigkeitlicher Fürsorge die Frauen nach Majer „weit besser“ lebten, als nach dem Code civil. Im Anschluss daran untersucht sie die Rolle der Frauen in der Revolution von 1848, die von einem hohen Maß an Beteiligung und Begeisterung gekennzeichnet erscheint. Ein besonderes Augenmerk legt sie dabei auf das Wirken von Louise Otto-Peters.
Auch für Deutschland zeigt Majer, dass diesem Frauen-Engagement nur teilweise Respekt gezollt wurde, während die Kritik an der „Emanzipation“ bei weitem überwog. Die Revolution blieb dementsprechend für die Frauen auch „ohne Einfluss auf die geltende Normenlandschaft“, ja in weiterer Folge kam es sogar zu frauenfeindlichen Verschärfungen des Zivil- und Vereinsrechts, womit einschlägigen Freiheitsideen Einhalt geboten werden sollte.
Im Anschluss daran untersucht Majer, inwiefern revolutionsspezifische Zusammenhänge in der Frauenbewegung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts feststellbar sind, was sie sowohl im Bereich der sozialen und beruflichen Zielssetzungen derselben als auch hinsichtlich der rechtspolitischen Ziele (Wahlrecht) gegeben sieht. Hinsichtlich der konkreten Rechtsstellung der Frauen in dieser Zeit diagnostiziert die Autorin vor allem eine Fortschreibung des konservativen Ehe- und Familienrechts auch im Bürgerlichen Gesetzbuch und verneint revolutionsspezifische Einflüsse auf die Frauenstimmrechtsbewegung. Den Abschluss des Deutschland-Teils bildet eine Analyse der frauenspezifischen Aspekte der Räterepublik 1918 und der bekannten „märchenhaften“ (263) Folgen der Revolution 1918/19 für die Rechtsstellung der Frauen, insbesondere betreffend das Ehe- und Familienrecht sowie den Zugang zu Ämtern und Berufen.
Im Österreich-Teil untersucht Majer anhand der Entstehungsgeschichte des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches bzw. der Schriften Martinis und Zeillers (bedauerlicherweise zum Teil unter Vernachlässigung einschlägiger österreichischer Literatur zu einzelnen angesprochenen Fragen) dessen revolutionsspezifische Kontexte und stellt sodann die konkrete Rechtsstellung der Frau dar. Befremdlich ist, dass Majer in ihrem – im Vergleich zu Deutschland unproportional knappen - Ausblick auf die Entwicklung der Frauenbewegung im 19. und 20. Jahrhundert weder die von der Frauenbewegung hauptsächlich getragene Reformdiskussion betreffend das Ehe- und Familienrecht des ABGB erwähnt noch die tatsächlichen Verbesserungen der Rechtsstellung der Frauen durch die Teilnovellen des ABGB. Unklar bleibt daher auch in der Zusammenschau, worin Majer die „echte Liberalisierung“ des ABGB erblickt, die sie dem Scheitern der BGB-Modernisierungversuche in Deutschland zu dieser Zeit gegenüberstellt (241).
Nicht nachvollziehbar ist für Rezensentin beim Ausblick auf die Rechtsstellung der österreichischen Frauen im 20. Jahrhundert die unreflektierte Einstufung der österreichischen Ereignisse von 1918/19 als bloßen „allgemeinen Umbruch“ (288) und daraus resultierend die Nichtbehandlung der rechtlichen Folgen dieses Umbruchs. Denn wenngleich die Vorgänge in Österreich 1918/19 nicht hinsichtlich aller Kriterien einer Revolution im engeren Sinn entsprachen, so stellten sie doch zumindest unzweifelhaft eine juristische Revolution dar, wie dies auch Hans Kelsen und Adolf Merkl hinsichtlich der revolutionären Staatsgründung hervorgehoben hatten. Überdies zogen die österreichischen Vorgänge 1918/19 ähnliche Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Frau nach sich wie in Deutschland, so etwa die Einführung des Frauenwahlrechts und die Neuformulierung des Gleichheitssatzes in der Bundesverfassung 1920. Eine nähere Beschäftigung mit dieser Epoche, z. B. anhand des Artikels Norbert Lesers „Gab es 1918 eine österreichische Revolution?“ in dem von ihm und Wilhelm Brauneder 1990 herausgegebenen Sammelband „Staatsgründungen 1918“ wäre nach Ansicht der Rezensentin angezeigt gewesen und hätte dann auch zu einer Darstellung der veränderten Rechtsstellung der Frauen in der frühen österreichischen Republik führen müssen.
In weiteren Abschnitten streift Majer dann auch die Verhältnisse in der Schweiz, in England, in den USA und in Russland, die zwar nicht alle von Revolutionen direkt betroffen, aber zumindest von diesen beeinflusst waren.
In ihrem Resümee verortet Majer die Beteiligung und Bedeutung der Frauen in Revolutionen primär auf dem „linken“ Flügel der Revolutionen, die in der Regel neben sozialen Verbesserungen auch politische Mitbestimmung einforderten. Im Unterschied dazu engagierten sich wenige Frauen im bürgerlichen Spektrum der Revolutionäre, wollten diese doch zwar Freiheits- und Gleichheitsrechte, nicht aber einen Sturz der bestehenden Gesellschaftsordnung. Beide Flügel der revolutionären Bewegung versuchten aber, Frauen politisch auszugrenzen, insbesondere durch Vereinsverbote, und im Sinne des Sekundärpatriarchialismus entsprechend den Geschlechterstereotypen auf den häuslichen Bereich zu beschränken. Nichtsdestotrotz, so Majers These, seien politische Mitbestimmung und Verbesserungen der Frauenrechte „nie isoliert“, sondern nur im Zusammenhang mit großen historischen Ereignissen wie Revolutionen und Kriegen erzielt worden. Dazu habe auch beigetragen, dass die Frauenbewegung im 19. Jahrhundert in zahlreiche Gruppierungen aufgespalten war und die einzelnen Flügel nicht ausreichend kooperierten. Schließlich hatten die Frauen nach Majer stets zu wenige Verbündete, um eine rechtspolitische Wende bewirken zu können.
Abgerundet wird die Publikation durch eine Dokumentation, wobei die Auswahl der abgedruckten Dokumente ohne jedwede Begründung Frankreich-zentriert und daher angesichts der anderen inhaltlichen Schwerpunkte wenig befriedigend erscheint. Aufgelockert ist die Studie durch eine Fülle von bildlichen Darstellungen. Ein Abbildungs-, Abkürzungs- und Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister komplettieren den Band in technischer Hinsicht.
Ingesamt bietet die vorliegende Publikation eine großteils gelungene Zusammenfassung des frauenrechtlichen Forschungsstandes der untersuchten Gebiete und Zeiträume unter revolutionsspezifischem Blickwinkel. Als angenehm lesbares Grundlagenwerk wird sie daher sicherlich ein breites LeserInnenpublikum ansprechen.
Wien Ilse Reiter