Mächtel, Florian, Das Patentrecht im Krieg (= Geistiges
Eigentum und Wettbewerbsrecht 25). Mohr (Siebeck), Tübingen 2009. IV, 413 S.
Besprochen von Irmtraut Götz von Olenhusen/Albrecht Götz von Olenhusen.
Erfindungen und technischen Entwicklungen
haben die beiden Weltkriege geprägt. Sie waren nicht nur Materialschlachten, sondern
auch „Erfindungskriege“ (Ernst Röthlisberger). Die Forschungen der führenden
deutschen Industrie haben z. B. den Masseneinsatz chemischer Kampfstoffe im
Gaskrieg ermöglicht. Giftige Chlorgase, dann die tödlichen K-Stoffe des sog.
Senfgases (Lost) wurden zu einem auf allen Seiten ungeachtet der Haager
Landkriegsordnung eingesetzten Kampfmittel. In ähnlicher Weise bestimmten
militärische Erwägungen des Kriegsverlaufs die Entwicklung von Tankfahrzeugen.
Die Bedeutung der technologischen Entwicklung für Ablauf und Ende des Ersten Weltkrieges
– und damit zugleich des Patentwesens - ist in der historischen Wissenschaft
allerdings schon durchaus untersucht worden, mag auch, wie der Verfasser zu Recht
anmerkt (S.10f.) dem Patentrecht selbst GötzvonOlenhusenMächteldaspatentrecht20090813
Nr. 12843 ZRG GA 127 (2010) 69
rechtshistorisch
oder historisch bisher geringe oder kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden sein.[1]
Die
bahnbrechende, wahrlich eine Lücke schließende Studie des Verfassers greift die
Konflikte zwischen staatlichen und privaten Interessen unter zentralen Perspektiven
auf; das im Krieg zu einem wesentlichen Institut erstarkende Geheimpatent wird
in seiner Bedeutung erst vergleichsweise spät erkannt. Die Bekämpfung der
„Patentspionage“ stand unter militärischen Vorzeichen. Die sog. Kriegspatente
konnten auf eine längere Tradition staatlichen Geheimpatentwesens zurückblicken
und daran anknüpfen. Wie in Deutschland benötigte die Erkenntnis, dass
Innovationen und Rechtsgewährungen geheimzuhalten seien, allerdings auch im
Ausland eine erstaunlich lange Zeit. Die schließlich erlassene „Bundesrats-Verordnung
über den Ausschluss der Öffentlichkeit für Patente und Gebrauchsmuster“ überdauerte
das Kriegsende. Allein in Deutschland wurde die Geheimhaltung privater Patente
gestattet. Das Patentrecht bot einerseits ökonomische, für die Kriegswirtschaft
wichtige Anreize, das Prinzip der Öffentlichkeit des Erfindungsgedankens widersprach
andererseits kriegswirtschaftlichen und militärischen Interessen.
Fast alle
Staaten schützten sich gegen Patentspionage. Das Kriegspatent wird zum
Gütesiegel für wichtige Erfindungen. Mit dem Versailler Vertrag fristen die
privaten Geheimpatente dann wieder das Schattendasein der Vorkriegszeit.
Die
Patententeignung hätte man als ein wirksames Mittel der Kriegswirtschaft
vermuten können. Doch war dies offenbar gar nicht notwendig. Denn die Erfinder
befanden sich ohnehin in staatlichen Institutionen, der Staat erwarb zu meist originäre
Rechte, oder es bedurfte kaum rechtlicher Zwangsmittel, um mehr oder weniger
„friedliche“ Einigungen herbeizuführen. Wenn Patentamt, Reichsamt des Innern
und Reichsjustizamt als „Garanten des geistigen Eigentums“ für 1914-1918
bezeichnet werden (S. 173), so gilt dies für die militärischen Instanzen gewiss
in weitaus geringerem Maße. Auch wenn sich die Details staatlicher Zugriffe heute
nicht immer leicht rekonstruieren lassen (S. 137ff.), so steht doch fest, dass
bei prinzipieller Aufrechterhaltung des Systems gewerblicher Schutzrechte
etwaige Konfliktfälle unter militärischen Bedingungen so oder so ihre zumeist
„einvernehmliche“ Klärung fanden.
Der Frage
nach der „Lösung“ der internationalen Konfliktbereiche wird in der Arbeit unter
der Überschrift „Vergeltung und Fürsorge“ ambivalent beantwortet. Die Pariser
Verbandsübereinkunft, die zwei- und mehrseitigen Verträge, die Unionen und
Weltverträge bilden Rechtsgrundlagen, die angesichts des Patentrechts als
(auch) wirtschaftlichem Kampfmittel sich schnell relativierten. Das Reich hatte
allerdings international vom Patentwesen profitiert, weil es im Ausland mehr
deutsche Patente gab als ausländische in Deutschland, so dass der
Handlungsspielraum für Kampfmaßnahmen international äußerst beschränkt war. Die
deutsche Parole von der Unverletzlichkeit des Privateigentums im Kriege war
eher eine Verbrämung der ökonomischen Interessenlage und hatte mit Moral und
Völkerrecht wenig zu tun. Die Maßnahmen in England und namentlich in den USA
liefen auf Kriegszwangslizenzen und auf „Patentraub“ hinaus. Grundlage in den
USA bildeten vor allem der „Trading with the Enemy Act“. In England hatte man
z. B. schon 1914 die Patente auf das bedeutendste Medikament „Salvarsan“, von
Paul Ehrlich entwickelt, außer Kraft gesetzt. Die Lage sollte, vor allem durch
Übertragung deutscher Patente auf Zwangsverwalter, noch eskalieren. In den USA
wurden deutsche Patente dann nach Kriegseintritt 1917 in großem Stil zum Nutzen
der amerikanischen chemischen Industrie enteignet. Auf deutscher Seite ist die
Enteignung von sechs kanadischen Patenten des Rundfunkpioniers R. A. Fessenden
ein Beispiel (S. 133ff.).
Mit dem
Versailler Vertrag setzte sich der „Krieg im Frieden“ fort. Zwangslizenzen,
Suspendierungen und Aufhebung von Patenten wirkten zugunsten der Siegermächte
weiter. Obwohl die USA den Versailler Vertrag nie ratifizierten, wurden durch
den „Nolan-Act“ die bisherigen Maßnahmen faktisch weitgehend legalisiert. Erst
1928 kam der Wirtschaftskrieg zu einem für deutsche Patente unbefriedigenden
Abschluss.
Für die
Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs, den der Verfasser kürzer untersucht, ist
zunächst die euphemistisch als „Neuordnung“ bezeichnete „Arisierung“ des
gewerblichen Rechtsschutzes und der Patentrechtswissenschaft von Bedeutung. Auf
diesem Gebiet waren auch die Verluste durch die Emigration von Gelehrten und
Patentanwälten immens.[2] Das
Patentrecht selbst wird schnell Teil der NS-Erfinderpolitik.[3] Im
großen Umfang gab es nun Geheimpatente für Private und für das Reich. Der
Offenbarungsgrundsatz entfiel nahezu ganz. Ein prinzipieller Systemwechsel
stellten die Zwangslizenzen dar. In der Realität waren sie allerdings von
geringerer Bedeutung. Der Verfasser zeigt auf, dass das Patentgesetz von 1936
nicht als Beleg für eine deutliche Ausweitung des staatlichen Einflusses auf
das Patentwesen angesehen werden kann. Die Zwangslizenz scheint im Zweiten
Weltkrieg als Instrument der Konfliktlösung zwischen privaten und öffentlichen
Interessen geringere Bedeutung gehabt zu haben. Das Verhältnis von Wirtschaft
und Staat hat sich im übrigen wie auch im Ersten Weltkrieg durch Kooperation
und nicht durch Konfrontation ausgezeichnet. Das Reich hat von dem Instrument
der Patententeignung nicht in nennenswertem Umfange Gebrauch gemacht. Der Staat
sei nicht Gewinner der nationalsozialistischen Patentreformen, die großen Unternehmen
wie Siemens und IG-Farben nicht die Verlierer gewesen, die das Risiko der
Patententeignung getragen hätten. Das Patentgesetz erweist sich damit als
typisch für die NS-Wirtschaftsgesetzgebung; es sei in weiten Teilen nach
pragmatischen und weitgehend „ideologiefreien“ Grundsätzen mit dem Ziel der
Förderung des gesamtwirtschaftlichen Nutzens gestaltet worden. Bedenkt man die
Identität von Wirtschafts- und NS-Politik, so bedurfte es offenbar deswegen kaum
einmal des Instruments der Patententeignung oder ideologisch begründeter
Eingriffe.
Nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs ist, wie der Verfasser ausführt und wie auch
historische Untersuchungen gezeigt haben, ein erheblicher erzwungener,
entschädigungsloser Wissenstransfer wiederum zugunsten der USA festzustellen.
Hinsichtlich der deutschen Auslandspatente erklärte das „Londoner Abkommen über
frühere deutsche Patente“ von 1946 diese für gemeinfrei. Hier unterscheidet
sich die Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg von der nach 1945 grundlegend.
Alle deutschen Auslandspatente wurden, anders als 1919, liquidiert. Das
deutsche Know How wurde als „intellektuelle Reparation“ angesehen, so dass es
im Grunde eines wirtschaftlichen Nachkriegs wie in den Zwanziger Jahren gar
nicht bedurfte. Die ursprüngliche Idee einer Neutralisierung des Patentwesens
im Kriege oder nach dem Kriege war nur schöner Schein und Ideologie.
Das internationale Patentrechtssystem hat
unter den beiden Weltkriegen, namentlich zu Lasten des besiegten Landes
erheblich gelitten; der Patentschutz ist jedoch insgesamt national wie
international nicht völlig zum Erliegen gekommen. Im Versailler Vertrag ist
dann allerdings kein anderes deutsches privates Vermögensrecht derartig
eingeschränkt worden. Im Zweiten Weltkrieg ist das Patentwesen verfahrens- und
materiellrechtlich stärker von Eingriffen zugunsten der Regierung tangiert worden
als im Ersten. Dem Zusammenbruch 1945 folgte, auch anders als 1919, eine
„patentamtslose“ Zeit von vier Jahren. Die Kontrolle der Besatzungsmächte blieb
lange erhalten.
Mächtel untersucht die Fragestellungen im
historischen und auch wirtschaftlich-militärischen Kontext auf der Grundlage umfänglichen,
für die Rekonstruktion kriegsbedingt nicht allenthalben mehr vorhandenen
Archivmaterials. Er stellt die Ergebnisse im Zusammenhang mit der
zeitgenössischen, nicht immer die reale Entwicklung treffenden Einschätzungen
der Wissenschaftsdiskurse, der rechtspolitischen wie politischen Entwicklungen und
der Judikatur dar. Der rechtshistorische Ertrag ist wegen des Schwerpunktes auf
dem Ersten Weltkrieg, in dem sich das Patentrecht erstmals in den geschilderten
Konflikt-Zonen und Konflikt-Phasen zu bewähren hatte, außerordentlich groß und interessant.
Auch wenn das deutsche Patentrecht den Hauptteil der sehr differenzierten,
sorgsam abwägenden und subtilen Untersuchung ausmacht, so gewinnt es erst durch
die Einbeziehung anderer Länder, namentlich wegen der Interdependenz mit den Kriegsgegnern,
an Kontur und historischem Gehalt. Erfinder- und Erfinderpolitik stehen
angesichts der rechtsgeschichtlichen Fragestellung bewusst nicht im Mittelpunkt.
Es war und blieb das Patentrecht im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht in
Kriegszeiten das relevante Gebiet. Die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) von
1883 war ein internationales Bindeglied, dessen Wirkungen in Krisenzeiten freilich
äußerst begrenzt sein mussten. Viel wirksamer waren die wirtschaftlich-juristischen
wechselseitigen Lizenz- und Patentanmeldungsabhängigkeiten, die nach einem
freilich auch nur eingeschränkt wirksamen Gegenseitigkeitsprinzip die
juristischen wie die kriegerischen Mittel relativierten. Nach einem in der
Arbeit zitierten Wort Ernst Zitelmanns blieb dennoch das „Weltrecht wie der
Weltfrieden, ein schöner Traum – …doch auch eben nicht mehr.“
Düsseldorf/Freiburg
im Breisgau Irmtraud Götz von
Olenhusen/Albrecht Götz von Olenhusen
[1] S. dazu J. P. Harris, Men, Ideas and Tanks. British Military Thought
and Armoured Forces. 1903-1939.
Manchester, New York 1995; D. Martinetz, Der Gaskrieg 1914-1918. Entwicklung,
Herstellung, und Einsatz chemischer Kampfstoffe. Bonn 1996; O. Lepick, La
Grande Guerre Chimique 1914-1918. Paris 1998; s. ferner Rolf-Dieter Müller,
Gaskrieg, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg. v. Gerhard Hirschfeld, Gerd
Krumeich, Irina Renz. Paderborn u. a 2003, S. 519-522.
[2] Vgl. dazu auch Martin Vogel, Die
Verfolgung der jüdischen Patentanwälte im Dritten Reich, in: Mitteilungen der deutschen
Patentanwälte 1995, H. 2, S. 59-64. S. auch Reimar König, Wider das Vergessen,
in: Mitt. der deutschen Patentanwälte 1995, 58; die Namen der aufgrund des
Gesetzes betr. die Zulassung zur Patentanwaltschaft v. 22. 4. 1933 in der Liste
der Patentanwälte gelöschten Personen wurden veröffentlicht. S. dazu PMZ 1933,
147; RGBl I, 1938, 1545; PMZ 1938, 252. König weist mit Recht darauf hin, dass
Rechtswissenschaft und Rechtpflege sich schnell bereitgefunden haben, der „von
der Mehrheit getragenen Unrechtordnung zu dienen“, a. a. O. S. 58.
[3] S. dazu im einzelnen Gispen,
Hintergrund, Bedeutung und Entwicklung der Patentgesetzgebung in Deutschland
1877 bis heute, 1999; Gispen, Die Patentgesetzgebung in der Zeit des
Nationalsozialismus und in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland,
1999. Alexander K. Schmidt, Erfinderprinzip und Persönlichkeitsrecht im
deutschen Patentrecht von 1877-1936, Diss. jur. Bayreuth 2009; Margrit
Seckelmann: Industrialisierung, Internationalisierung und Patentrecht im
Deutschen Reich. 1871-1914. Frankfurt am Main
2006; Seckelmann, Der „Dienst am schöpferischen Ingenium der Nation“.
Die Entwicklung des Patentrechts im Nationalsozialismus, in: Bär/Banken
(Hrsg.): Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus, Frankfurt am
Main 2006, S. 237ff.