Ludwig, Ulrike, Das Herz der Justitia. Gestaltungspotentiale territorialer Herrschaft in der Strafrechts- und Gnadenpraxis am Beispiel Kursachsens 1548-1648 (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven 16). UVK, Konstanz 2008. 380 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die das selten ins Auge gefasste Herz der Justitia als Blickfang verwendende Arbeit ist die von Gerd Schwerhoff betreute, von der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Irmgard Harms Stiftung geförderte, unter dem Titel „Justitienfürst“ und gnädiger Herrscher - Einflussnahme der Landesherrschaft auf Strafrechts- und Gnadenpraxis am Beispiel Kursachsens 1548-1648 an der Universität Dresden angenommenes Dissertation der als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Das Duell als kulturelle Praktik in der frühen Neuzeit - Vergleichende Untersuchung zu Kursachsen, Mecklenburg und Schweden“ in Dresden tätigen Verfasserin. Sie will eine landesgeschichtliche Lücke schließen. Daneben untersucht sie die Strafrechts- und Gnadenpraxis in einem der führenden protestantischen Landesherrschaften des alten Reiches im 16. und 17. Jahrhundert erstmals umfassend und gliedert dabei nach einer kurzen Einleitung zu Aspekten der Forschung, Aufbau der Untersuchung und Quellen in drei Teile mit 10 Kapiteln.
Zunächst wendet sich die Verfasserin den Rahmenbedingungen des Strafrechtssystems zu. Dabei betrachtet sie als Institutionen den Landesherrn, die Landesregierung, Kommissionen, obere Gerichte und Instanzenzug sowie die lokale Ebene und als Prozessformen die Einhegung des peinlichen Verfahrens, das bürgerliche Verfahren und den gerichtlich legitimierten Vergleich. Bei den zwischen Festlegung und Anpassung eingerahmten Strafen schildert sie die Straftatbestände und die flexible Strafzumessung.
Der zweite Teil betrifft die Strafrechtspraxis. Dabei stellt die Verfasserin Rufe nach den Landesherren an die Spitze. Danach untersucht sie den Landesherrn als Richter und am Beispiel der Wilderei als Kläger.
Besonderes Gewicht misst sie den Gnadenbitten und der Gnadengewährung zu. Hierfür behandelt sie Kommunikationsbedingungen, Gnadengesuchsstrategien und Suppliken Unbeteiligter mit eigenen finanziellen Interessen. Bei den Kennzeichen der Begnadigungspraxis erörtert sie nicht nur Masse und Maß der Gnadenerweise und die Verankerung von Gnade in rechtlichen Normen für Ehebruch und Landesverweisung im Krieg, sondern auch Tendenzen der Entscheidungspraxis (Gleichmäßigkeit, Anerkennung der Untersuchungshaft als Teilstrafe, Ausgleichselemente usw.)
Am Ende fasst sie die Ergebnisse zusammen. Strafrecht und Gnade erweisen sich als einander ergänzende Bereiche vormoderner, von Verrechtlichung geprägter Justiz. Dabei blieben die eingereichten Gnadengesuche im Rahmen des von Recht geleiteten Verwaltungshandelns in mehr als der Hälfte der untersuchten Fälle ohne Erfolg.
Innsbruck Gerhard Köbler