Lacey, Helen, The Royal Pardon. Access to Mercy in Fourteenth-Century
Das Recht
der Krone, Gnade walten zu lassen, gehört mit zu den wichtigsten Hoheitsrechten
nicht nur eines mittelalterlichen Herrschers. Dennoch wurde diesem Aspekt, von
der Studie Naomi D. Hurnards (The King’s Pardon for Homicide before AD 1307,
Oxford 1969) einmal abgesehen, bislang relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Daher ist das hier zu besprechende Buch zu begrüßen, das sich mit den für
Individuen, für Gruppen sowie für alle Untertanen ausgestellten königlichen
Begnadigungsakten (pardons) unter Zuhilfenahme von normativen Texten,
Parlamentsdebatten, Rechtstraktaten und literarischen Texten (wie Protestliteratur)
beschäftigt.
Der
erste Teil widmet sich den pardons, die sich nur auf eine bestimmte Person und
den von dieser Person verübten Verbrechen und Vergehen bezogen, und die ohne
Rücksprache mit dem König (de cursu,
zum Beispiel bei Notwehr) oder - in ungewöhnlichen Fällen - nach Konsultation
des Monarchen (de gratia) durch die
Kanzlei in Form eines Patentbriefes (letter patent) ausgestellt wurden, und
schildert die Rolle, die der Antragsteller, Befürworter (intercessors) und der
König hierbei spielten. Circa 500 Petitionen, in denen um ein pardon gebeten
wurde, sind für das 14. Jahrhundert erhalten (überliefert in London in The
National Archives: Public Record Office, SC 8, alle zur Zeit noch kostenlos
online einzusehen und herunterzuladen unter http://www.nationalarchives.gov.uk/documentsonline,
unter „other records“ findet man die Ancient Petitions Henry III – James I). Da
diese Bittschriften recht standardisiert waren, vermutet Lacey, dass sie
von professionellen, in den Grafschaften tätigen Anwälten (county lawyers)
verfasst wurden.
Die
Rolle der Befürworter wurde in einem Statut aus dem Jahr 1353 näher definiert:
Es wurde bestimmt, dass der Patentbrief den Grund für die Begnadigung und den
Namen der Person enthalten musste, die sich für die Begnadigung eingesetzt
hatte (allerdings nur, wenn eine Felony begnadigt werden sollte, worauf Lacey
jedoch nicht hinweist). Königinnen und hochrangige Adlige traten besonders als intercessors
hervor, wie betont wird (allerdings gibt es hier keine konkreten
Quellenangaben, sondern nur der Verweis auf Anhang 4), doch muss es auch andere
intercessors gegeben haben, denn zwischen 1390 und 1393 wurden von diesen je
nach Rang (von Erzbischof und Herzog bis hin zu clerk, bachelor oder einem
Mitglied des lesser estate) gestaffelte Gebühren erhoben, falls sie sich
erfolgreich für pardons für bestimmte Arten von Tötungsdelikten (murder, death
of a man slain by await, assault, or malice), Hochverrat oder Vergewaltigung einsetzten
(nach Lacey handelte es sich hierbei um Strafgebühren für falsche
Angaben, doch geht dies aus dem Wortlaut des Statuts von 1390 nicht explizit hervor).
Daneben gab es weitere ‚Mittelsmänner’, nämlich die Bürgen, die seit 1336 nach
einer Begnadigung für das zukünftige Wohlverhalten zu stellen waren. Jedoch wurde
diese Auflage zunehmend missachtet, wie Lacey in Anlehnung an eine
Veröffentlichung von T. F. T. Plucknett aus dem Jahr 1940 meint. Meine eigenen
Forschungen auf der Grundlage der an die Kanzlei zurückgesandten
Bürgschaftsbelege (TNA:PRO, C 237) zeigen allerdings, dass die im Statut
geforderte Bürgschaft im 14. und 15. Jahrhundert durchaus gestellt wurde, und
dass diese Aufgabe zunehmend von professionellen Bürgen übernommen wurde,
weshalb ich auch bezweifeln möchte, dass die Bürgen für zukünftiges
Wohlverhalten Einfluss auf die Ausstellung des Begnadigungsschreibens ausübten,
zumal sie mitunter lange nach dem Erlass des pardons beigebracht wurde
(vergleiche Susanne Jenks, Die Bürgschaft im mittelalterlichen englischen
Strafrecht, 2003, S. 315-328).
Die
meisten (nämlich 312) der Bittschriften aus dem 14. Jahrhundert, in denen eine
Begnadigung erbeten wurde, waren allein an den König adressiert, weitere 150 an
den „König im Kronrat“ und sieben an den „König im Parlament“, doch scheint der
Monarch nur in den seltensten Fällen vollkommen allein entschieden zu haben. Zudem
reagierte er nicht nur auf Bitten hin, sondern wurde manchmal auch aus eigenem
Antrieb aktiv. So verhinderte er durch die Ausstellung eines Pardons die
Wiederholung der Hinrichtung, wenn der Delinquent den ersten Versuch der Hinrichtung
überlebt hatte. Lacey spricht in diesem Zusammenhang auch die
Begnadigungen an, die verurteilte schwangere Frauen erhielten und nennt sechzehn
Fälle, die sie in den Calendar of Patent Rolls gefunden hat. Drei dieser
Quellen belegen aber eindeutig, dass die Begnadigung auf Fürsprache der Königin
zustande kam (CPR 1381-5, S. 243, CPR 1392-6, S. 8 und S. 28) und können daher
kaum Belege für aufgrund der Eigeninitiative des Monarchen erlassene
Begnadigungen sein.
Obwohl
das Hoheitsrecht des Königs als solches nie in Frage stand, wurden seitens des
Parlaments Versuche unternommen, dieses Vorrecht einzuschränken. Jedoch blieben
alle diesbezüglichen Initiativen (Statuten von 1278, 1309, 1311, 1328, 1330,
1334, 1336) ohne den gewünschten Erfolg, weshalb seit 1353 ein anderer Weg
eingeschlagen wurde: statt den Monarchen zu reglementieren, sollte nun der Missbrauch
der Begnadigungen durch die Begünstigten verhindert werden.
Der
zweite Teil des Buches widmet sich den für bestimmte Bevölkerungsgruppen (group
pardons: zum Beispiel politische Amnestien oder als Gegenleistung für
Militärdienst erteilte Begnadigungen beziehungsweise Erlass von Geldstrafen)
und den für alle Untertanen (gegebenenfalls mit namentlich erwähnten Ausnahmen)
erteilten Begnadigungen (general pardons). In beiden Fällen lag die Initiative bei
der Krone, und beide hatten eine politische Komponente. Während group pardons
als Akt der Versöhnung mit bestimmten Bevölkerungsgruppen (political
reconciliation) anzusehen sind oder der Rekrutierung dienten (conditional pardons
in return for service), wurden die general pardons, die 1377 erstmalig auftauchten
und die politischen Amnestien ersetzen, im Laufe des 14. Jahrhunderts immer
mehr zu einer politischen Waffe und letztlich zu einem Zeichen königlicher Autorität
und Stärke. Die general pardons
„allowed the government to portray the use of the prerogative as an unforced
act of mercy“ (S. 179). Drei dieser general pardons
und ihre historischen Umstände behandelt Lacey eingehender. Das allererste
general pardon wurde zum 50. Jahrestag der Thronbesteigung Edwards III. im Jahr
1377 erlassen und musste für jeweils 18s. 4d. bis zum 24. Juni 1377 käuflich
erworben werden. Individuelle Ausführungen dieser Begnadigung wurden für 2439
Personen ausgestellt, doch wurden laut Lacey nur in fünfzehn Fällen die
Pardons im Rahmen eines Verfahrens in der King’s Bench vorgelegt. Obwohl diese
Zahl definitiv zu gering ist (folgende Belege über Pardons, ausgestellt
zwischen 12. März und 13. Juni 1377, wurden übersehen: KB 27/470 mm 10 Rex, 10d
Rex, 11 Rex, KB 27/471 m 10 Rex, KB 27/528 m 13 Rex, KB 27/505 m 14 Rex, KB 27/529
m 8d Rex, KB 27/530 mm 4 Rex, 14 Rex, KB 27/547 m 25 Rex), ist sicherlich
richtig, dass nicht jeder, der sich darum bemühte, eine solche Begnadigung tatsächlich
nötig hatte. Allerdings gab es zwei Ausführungen dieses pardons, was Lacey
dem Leser freilich erst 30 Seiten später mitteilt: um die komplette Begnadigung
bemühten sich nur 438 Empfänger (darunter den Bischof von Lincoln und
verschiedene Städte), während 2001 Personen für eine verkürzte Version
(Begnadigung aller Felonies außer Hochverrat, Mord, Diebstahl und
Vergewaltigung) zahlten. Das zweite näher beleuchtete general pardon wurde von
Richard II. nach der Peasants’ Revolt 1381 ausgestellt. Dieser Teil des Buches
greift auf Laceys 2008 veröffentlichten Aufsatz zurück (Grace for
Rebels: The Role of the Royal Pardon in the Peasants’ Revolt of 1381, in:
Journal of Medieval History 34, 2008, S. 36-63) und betont die Balance zwischen
Gnadenerweisen und strenger Bestrafung der Rebellen, die keineswegs als
Widerspruch empfunden wurde, und König Richards II. Rückgriff auf die von Edward
III. entwickelte Krisenbewältigungsstrategie (Gewährung eines general pardons) statt
sein Heil in einer Verwaltungsreform zu suchen. Das letzte analysierte general
pardon wurde 1398 während der „tyrannischen Phase“ Richards II. erlassen. Dieses Kapitel wiederholt Argumente des 2006
erschienenen Aufsatz („Mercy and Truth Preserve the king“: Richard II’s Use of
the Royal Pardon, in Fourteenth Century England IV, hg. J.
Hamilton, Woodbridge 2006, S. 124-135), dass nämlich diese Begnadigung von Richard
als Mittel der Anklage und der Einschüchterung genutzt wurde.
Die
Anhänge zeigen graphisch die jährliche Verteilung der pardons (wobei nicht
erläutert wird, weshalb das späte 13. Jahrhundert berücksichtigt wurde), die zeitliche
Verteilung der an den Militärdienst gekoppelten pardons, die regionale
Verteilung von general pardons und Begnadigungen von Rebellen (wohl auf 1381
bezogen, und nach Grafschaften, nicht Regionen geordnet) sowie eine
alphabetisch und nach Jahren geordnete Tabelle mit den Namen der Befürworter
von pardons (die aber nicht sonderlich hilfreich ist, wenn man bestimmte
Begnadigungen ansehen möchte, die durch die Einflussnahme dieser Personen
ausgestellt wurden, da die Quellenbelege fehlen).
Dieses
Buch will nicht viel mehr bieten als einen Überblick über die Art und Weise,
wie königliche Gnade im 14. Jahrhundert wahrgenommen, ausgeübt und
interpretiert wurde. Dies tut es in komprimierter Form, zum Teil auf der
Grundlage von Beispielen aus früheren oder späteren Jahrhunderten. Allerdings
gibt es einige inhaltliche Fehler: Neben den oben erwähnten ist darauf
hinzuweisen, dass Tötungen durch Minderjährige (slaying by infants) nicht zu
den justifiable homicides gehörte, wie auf S. 23 behauptet, sondern zu den
excusable homicides, für die ein pardon notwendig war. Der Hinweis auf Bracton
II, S. 375, 388 ist in diesem Zusammenhang wenig hilfreich, da dieser Aspekt
auf den angegebenen Seiten nicht erwähnt wird. Bractons Definition von
justifiable homicide (ein Begriff, der in dem Traktat allerdings nicht benutzt
wird) findet sich in Band II auf S. 340 (die Tötung eines rechtmäßig
verurteilten Verbrechers). Diese Begriffe wurden von Hurnard, King’s Pardon of
Homicide, S. 68-170 verwendet, auf die ebenfalls Bezug genommen wird, und die
korrekt unterscheidet, aber von Lacey falsch zitiert wird. Ärgerlich ist
zudem, dass aus den Plea Rolls der King’s Bench nicht korrekt zitiert wurde.
Obwohl alle Belege auf den Rex-Membranen zu finden sind, fehlt dieser Zusatz
bei der Quellenangabe, obwohl er wichtig ist, da die beiden Hauptteile der Plea
Rolls (communia placita; placita regis) nicht durchgängig nummeriert sind. Alles
in allem genommen ist dieses Buch daher nur mit Einschränkungen zu empfehlen.
London Susanne
Jenks