Kuller, Christiane, Finanzverwaltung und Judenverfolgung. Die Entziehung jüdischen Vermögens in Bayern während der NS-Zeit (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 160). Beck, München 2008. XXXVIII, 266 S. Besprochen von Werner Schubert. XXXVIII, 266 S.
Im Rahmen des Forschungsprojekts: „Die Finanzverwaltung und die Verfolgung der Juden in Bayern“ (hierzu oben S. ) befasst sich Kuller mit der Erfassung, Entziehung und Verwaltung des Vermögens der jüdischen Verfolgten durch den Fiskus vornehmlich ab November 1941. Nach § 1 der 11. Verordnung vom 25. 11. 1941 zum Reichsbürgergesetz (RGBl. I 1941, S. 722) konnte ein Jude, „der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, […] nicht deutscher Staatsangehöriger sein“. Das Vermögen des Juden, der die deutsche Staatsangehörigkeit nach dieser Verordnung verlor, verfiel mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit dem Reich (§ 3 Abs. 1 S. 1 der VO). Damit war die Tätigkeit der Finanzbehörden erheblich vereinfacht worden, da nunmehr nicht mehr die Entziehung der Staatsangehörigkeit aufgrund von Gesetzen aus dem Jahre 1933 für jeden Einzelfall bei der Innenverwaltung beantragt werden musste. Im Rahmen der sog. „Aktion 3“ hatten die Finanzbehörden das Vermögen der emigrierten Juden und der Deportationsopfer – im Herbst 1941 fuhren die ersten Deportationszüge aus bayerischen Städten in den Osten (vgl. S. 140) – zu erfassen und zu verwerten. Zu diesem Zweck wurde beim Oberfinanzpräsidium eine eigene Dienststelle für Vermögensverwertung für zehn Arbeitsgebiete geschaffen (S. 49ff.). Mit der Abwicklung vermögensrechtlicher Aufgaben erfüllten, so Kuller, die staatlichen Finanzbehörden eine „wesentliche Funktion im Gefüge der Deportationen“: „Denn die Durchführung der wirtschaftlichen Enteignung bildete einen finalen Akt, ohne den die Auslöschung der bürgerlichen Existenz der Juden unvollständig geblieben wäre“ (S. 209). Damit waren Finanzbeamte zu Handlangern einer Politik geworden, „die mit der Vertreibung oder mit dem Tod der verfolgten Juden endete“ (S. 210). In dem Abschnitt „Finanzbeamte und der Holocaust“ stellt Kuller fest, dass die Finanzbehörden bei ihrer Arbeit auch „auf Hinweise auf den Völkermord“ hätten stoßen müssen (S. 159). Kuller bringt im ersten Teil ihres Werkes zunächst einen präzisen Überblick über die gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen der staatlichen Finanzbehörden in Bayern (schleichende Etablierung antijüdischer Regelungen im Steuerrecht und in der Steuerverwaltung). S. 36ff. hätte Kuller noch detaillierter auf das Personal der bayerischen und insbesondere der Münchner Finanzverwaltung eingehen können. Teil 2 handelt von der Praxis der Verwaltung jüdischen Vermögens (Kooperation und Konflikte mit den Kommunen; Konkurrenz mit den „Arisierungsstellen“ der NSDAP und der Gestapo), von den Profiteuren der Verwertung (Bevorzugung der Finanzverwaltung; Bombengeschädigte und Käufer aus der Bevölkerung) und vom bürokratischen Antisemitismus bei der Durchführung der „Aktion 3“. Ein längerer Abschnitt befasst sich mit der steuerlichen Diskriminierung und Verwaltung des Vermögens der jüdischen Kultusgemeinden, das ab 1933 der Verwaltung durch die staatlichen Finanzbehörden unterlag (S. 163ff.). In Teil 3 zeichnet Kuller drei Einzelschicksale jüdischer Verfolgter nach (S. 186ff.). Insgesamt bearbeitete die Dienststelle für Vermögensverwaltung im Oberfinanzpräsidium München rund 1700 jüdische Vermögen (u. a. 3655 von Emigranten und über 3600 von in die Vernichtungslager Deportierten und von Personen, die sich unmittelbar vor der Deportation das Leben nahmen). Die Einnahmen des Reichs aus der Enteignung der deportierten Juden betrugen 778 Millionen RM. Das Werk wird abgeschlossen mit der Wiedergabe wichtiger Dokumente zur Durchführung der „Aktion 3“ und von Berichten über die Tätigkeit der Finanzbehörden bei der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden aus der unmittelbaren Nachkriegszeit (S. 214-264). Entlarvend sind die Aufzeichnungen über eine Besprechung der Oberfinanzpräsidien von Nürnberg, Stuttgart und München, in der ein Regierungsrat aus dem Reichsfinanzministerium diese über die bevorstehenden „Abschiebungen“ von Juden nach dem Osten informierte (S. 214-220).
Kuller setzt sich mit dem von Ernst Fraenkel entwickelten Modell vom „nationalsozialistischen Doppelstaat“ kritisch auseinander. Nach ihr greift dieses Modell für das Thema der vorliegenden Studie „zu kurz“, denn im Mittelpunkt stehe eine traditionelle Verwaltung, die in einem zentralen Feld der nationalsozialistischen Weltanschauungspolitik agiert und funktioniert habe: „Die fiskalische Judenverfolgung – für das ,Doppelstaats’-Modell ein Widerspruch in sich – lässt sich nicht als ,maßnahmen-‚ oder ,normenstaatliches’ Phänomen kategorisieren.“ Sie beruhe vielmehr auf einer „inneren Radikalisierung im normenstaatlichen Verwaltungshandeln“ (S. 7). Das Werk Christiane Kullers ist ebenso wie das Werk Axel Drecolls (hierzu die Rezension S. f.) für die Rechtsgeschichte der NS-Zeit von Wichtigkeit, da es die gesetzförmigen Grundlagen der fiskalischen Judenverfolgung und deren Praxis detailliert erschließt.
Kiel |
Werner Schubert |