Krise, Reformen - und Finanzen. Preußen vor
und nach der Katastrophe von 1806, hg. v. Kloosterhuis, Jürgen/Neugebauer,
Wolfgang (= Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte,
Neue Folge Beiheft 9). Duncker & Humblot, Berlin 2008. 346 S. Besprochen
von Stephan Schuster.
Aus der Tagung der Preußischen
Historischen Kommission und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer
Kulturbesitz zu Berlin, die vom 6. bis zum 8. Oktober 2006 in den Räumen des
Geheimen Staatsarchivs stattfand, ist eine lesenswerte Sammlung von Studien zur
preußischen Finanzgeschichte erwachsen. Die zwölf Beiträge sind einerseits den
Finanzen des Königreiches Preußen
vor, während und nach der militärischen Katastrophe von 1806 gewidmet,
andererseits zeigen sie Parallelen und Kontrapunkte in anderen deutschen
Staaten auf. Gerade diese vergleichende Perspektive – der etwas zu enge (Unter-)Titel
lässt dies zunächst nicht erwarten – macht einen besonderen Reiz des Sammelwerks
aus. Der Leser erhält einen profunden Einblick in eine Thematik, deren
Erforschung durch archivalische Kriegsverluste in besonderer Art und Weise
erschwert ist (S. 11). Die Beschäftigung mit der Finanzgeschichte der so
genannten „Sattelzeit“ offenbart, insbesondere in Bezug auf Preußen, dass die Geschichte alles andere als
ausgeforscht ist. Der Band, der den ersten Teil einer Trilogie bildet, mit der
die Preußische Historische
Kommission und das Geheime Staatsarchiv Preußischer
Kulturbesitz an die Katastrophe Preußens
von 1806 und die anschließende Wiederaufbau- und Modernisierungsphase erinnern,
ist in fünf Abschnitte gegliedert: Den einleitenden Beiträgen der Herausgeber
(S. 9ff.) folgt ein Kapitel über die „Ausgangsposition“ der Krise (S. 25ff.), das
insbesondere dem finanzwissenschaftlichem Diskurs um 1800 und den finanziellen
Dimensionen der preußischen Außenpolitik vor 1806 gewidmet ist. Im darauf folgenden
Kapitel („Preußen um 1800“, S.
121ff.) gehen drei Autoren der Frage nach, welche Finanzverwaltungsinstrumente
in Preußen zur Verfügung standen, um
der Finanzkrise Herr zu werden. Sodann beleuchten fünf Autoren „Parallelen und
Kontrapunkte“ in anderen deutschen Staaten (S. 193ff.). Abschließend („Reflexionen“,
S. 333ff.) wird die Rolle der Staatswissenschaften in der Geschichtsschreibung
zur preußischen Reformära betrachtet.
Wolfgang Neugebauer weist in seiner Einführung (S.
9-16) zu Recht darauf hin, dass es noch erheblicher Anstrengungen bedarf, bis
die Erforschung der preußischen Geschichte dem nationalen wie dem internationalen
Standard genügt. Dabei bestehe der besondere Reiz der Beschäftigung mit der
Finanzgeschichte nicht zuletzt darin, dass diese – jedenfalls in einem weiteren
Verständnis – stets auch ein Stück Verfassungsgeschichte im Sinne einer Analyse
politischer Kräfteverhältnisse darstellt (S. 16). Sodann beschreibt Jürgen
Kloosterhuis in seinem einleitenden Beitrag die äußeren Umstände, unter
denen das finanzielle Desaster vor und nach 1806 seinen Lauf nahm (S. 17-22).
Seine Ausführungen – wie auch die darauf folgenden Beiträge von Hans-Christof
Kraus, Karl Heinrich Kaufhold und Peter Baumgart – vermitteln
einen guten Eindruck von der Entwicklung, die den preußischen Staat nach dem
Tode Friedrichs des Großen (1740-1786) an den Rand des Staatsbankrotts führen
sollte. Zwar waren Finanznöte unter den europäischen Staaten schon im 18.
Jahrhundert keine Seltenheit. Während aber beispielsweise Frankreich gleich
mehrfach (1720, 1788) seine Zahlungsunfähigkeit erklären musste, bildete Preußen bis 1786 durchaus eine rühmliche Ausnahme:
Der Staatsschatz, den Friedrich der Große seinem Neffen hinterließ, betrug
unvorstellbare 51 Millionen Goldtaler. Allerdings sollte sich schon während der
ersten Koalitionskriege abzeichnen, dass Friedrich Wilhelm II. (1786-1797) in
finanzieller Hinsicht weniger Fortune als sein Vorgänger hatte. Erst das Jahr
1806 bildet jedoch (auch) in finanzieller Hinsicht einen Wendepunkt in der
preußischen Geschichte: Die katastrophale militärische Niederlage bei Jena und
Auerstedt (14. Oktober 1806) mündete in den französisch-preußischen Frieden von
Tilsit (9. Juli 1807), der für Preußen
den Verlust von nahezu zwei Dritteln seines Territoriums mit über 50% der Bewohner
sowie die Verpflichtung zur Leistung von Kontributionen in Höhe von über 150
Millionen Francs brachte. Das „Mutterland der soliden Finanzverwaltung“ (Kloosterhuis,
S. 16) geriet an den Rand des Staatsbankrotts. Und dennoch – oder gerade
deswegen – schaffte dieser Staat mit den Stein-Hardenberg’schen Reformen eine
Selbsterneuerung, durch welche die erstarrten Strukturen des Ancien Régime
aufgebrochen wurden und schließlich auch der napoleonischen Militärmacht erfolgreich
begegnet werden konnte. Der anschließende Beitrag von Hans-Christof Kraus
(S. 25-58) bildet gleichermaßen die finanzwissenschaftliche Grundlage des
Bandes. Kraus stellt zunächst die Tradition der deutschen und im engeren Sinne
auch der spezifisch preußischen Kameralwissenschaft in ihren Umrissen dar und
kommt sodann auf die wissenschaftliche Diskussion vor und um 1800 zu sprechen
(S. 27). Der wissenschaftliche Finanzdiskurs, der in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts in Preußen zwischen den
Anhängern der neuen marktökonomischen Schule von Adam Smith (1723-1790) und
denjenigen der älteren merkantilistischen Kameralistik bzw. der immer noch
einflussreichen physiokratischen Schule vollends entbrannte, wird anschaulich
dargestellt (S. 28ff.). Der Diskurs um die Problemfelder Geldbeschaffung (S.
36ff.), Staatsschulden (S. 38ff.), Steuern und Steuerreformen (S. 39ff.) erscheint
in den Zeiten der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise von erstaunlichem Gegenwartsbezug.
Dass sich auch in Preußen
schließlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die modernen finanzpolitischen Ideen
des schottischen Ökonomen und Moralphilosophen
durchsetzen konnten, ist der überragenden akademischen Wirkung des Königsberger
Philosophen und Staatswissenschaftlers Christian Jakob Kraus (1753-1807) zu
verdanken; dieser vermochte durch seine Lehrtätigkeit an der Königsberger
Universität nicht zuletzt jene Beamte im Geiste Adam Smith’ zu prägen, die nach
1806 maßgeblich an den Reformen beteiligt waren (S. 42ff.). Sodann widmet sich Karl
Heinrich Kaufhold dem Thema „Statistik und brandenburg-preußischer Staat,
1650-1850 (S. 59ff.). Konzis nähert er sich der Bedeutung der Statistik als
Instrument der staatlichen Politik und Verwaltung – sie wurde von den Monarchen
gezielt als Herrschaftsinstrument eingesetzt (S. 63) – bzw. als Bestandteil der
Staatenkunde, wobei er sich zunächst mit dem Zeitraum bis 1805/06 beschäftigt
(S. 52ff.). Dass die statistischen Arbeiten nach der Katastrophe von 1806
zunächst zum Erliegen kamen (S. 79), verwundert kaum. Ebenso wenig, dass die
Statistik seit 1808, als das Statistische Bureau neu gegründet wurde, einen
Aufschwung erfuhr, wie Kaufhold aufgrund seiner Untersuchungen für die Jahre
1810 bis 1849 konstatiert (S. 79ff.): Die unter der Ägide des Königsberger
Gelehrten Johann Gottfried Hoffmann (1765-1847) deutlich vereinfachte amtliche
Statistik lieferte die Zahlen, derer der Staat bedurfte, um in den Zeiten des
rasanten technischen Fortschritts eine moderne Wirtschaftspolitik auf den Weg
zu bringen (S. 83). Die „Preußische
Außenpolitik vor 1806 und ihre finanziellen Dimensionen“ rückt der Beitrag Peter
Baumgarts in den Mittelpunkt (S. 91ff.). Das unglückliche Lavieren
Friedrich Wilhelms II., die verfehlte Kabinettspolitik des Grafen Haugwitz, das
zögerliche Naturell Friedrich Wilhelms III. (1797-1840) und das militärische
Versagen des Herzogs von Braunschweig sind nur einige Aspekte des
diplomatischen wie militärischen Desasters, auf das Preußen
nach dem Sonderfrieden von Basel (1795) zielstrebig zusteuern sollte (S. 93ff.).
Die finanziellen Schwierigkeiten, in denen der Staat bereits sechs Jahre nach
dem Tode Friedrichs des Großen steckte, sind in ihrem desaströsen Ausmaß ein
anderer, bislang wenig beachteter aber keineswegs zu vernachlässigender Aspekt,
den Baumgart S. 100ff. mit Akribie aus den Quellen rekonstruiert: „Kein Krieg
kann ohne Geld geführet werden“ (S. 103). Es war zwar auch der Wunsch,
Handlungsfreiheit in Polen zu gewinnen, der den preußischen Friedenswunsch
nährte; vor allem aber war es, so das bemerkenswerte Zwischenergebnis, der
drohende Staatsbankrott, der den Friedensschluss von Basel von preußischer
Seite nahezu unausweichlich erscheinen ließ (S. 104ff.).
Im folgenden Kapitel („Preußen
um 1800“) befasst sich zunächst Wolfgang Neugebauer mit den
Mitwirkungsrechten der Landstände in den Zeiten der Krise (S. 121ff.). Der
bereits in der Einleitung (S. 14) angesprochene Zusammenhang von politischer
Krisenlage und politischer Partizipation wird am Beispiel der ständischen
Finanzadministration veranschaulicht (S. 125ff.): Die Stände hatten durch die
Aufnahme von In- und Auslandsanleihen (S. 129ff.) und durch Kontributionen (S.
132), aber auch durch die Erhebung ständischer Steuern (S. 135) in erheblichem Maße
dazu beigetragen, die horrenden Kontributionsverpflichtungen gegenüber
Frankreich erstaunlich zügig zu erfüllen. Dem entsprang der Wille nach Partizipation,
nach kontrollierender Mitwirkung am politischen Wandel (S. 137). Zu Recht
erkennt Neugebauer hierin die ersten Anzeichen des Ringens um eine Verfassung,
das sich – auf unterschiedlichen Ebenen – letztlich bis 1848/49 fortsetzen
sollte. Die Finanzfrage wurde, auch insofern ist Neugebauer zuzustimmen,
spätestens 1810 zur Machtfrage (S. 141). Der Beitrag Reinhold Zilchs (S.
147ff.) behandelt am Beispiel des Bildungswesens drei in der finanzhistorischen
Literatur verbreitete Thesen zum Übergang von der
spätabsolutistisch-kameralistischen Finanzverfassung des 18. Jahrhunderts zur
bürgerlichen Staatsfinanzwirtschaft im 19. Jahrhundert. Die präzisen, auf
akribischer Quellenarbeit basierenden Ausführungen sind auch deshalb ein
Genuss, weil das Thema „Staatsfinanzen und Bildungsreform“ von ungebrochener
Aktualität ist. Martin Winter wiederum befasst sich S. 169ff. am
Beispiel der „provisorischen Kriegslastenverteilung der Stadt Berlin“ mit den
fiskalischen Unzulänglichkeiten der Städteordnung vom 19. November 1808. Anhand
der im Geheimen Staatsarchiv lagernden Quellenbestände zeichnet er ein
vortreffliches, ausgesprochen lebendiges Bild von der katastrophalen
städtischen Finanzlage Berlins und von der desolaten Stimmung unter den Bürgern
der Stadt nach dem weitgehenden Scheitern der Finanzpläne im Jahr 1809 (S.
169ff.). Dabei geht er am Beispiel des Gastwirts Johann Christian Gentz auch
auf Lösungsvorschläge ein, die von Bürgern der Stadt unterbreitet wurden (S.
177ff.).
Das nun folgende Kapitel fasst die Vorträge der vierten
Tagungssession zusammen und ist dem überstaatlichen Vergleich gewidmet. Die
Untersuchungen ausgesuchter finanzgeschichtlicher Aspekte in Westfalen um 1800
(Hans Joachim Behr, S. 193ff.), in dem bis 1815 schwedischen Vorpommern
(Werner Buchholz, S. 213ff.), in den napoleonischen Kunststaaten
Westphalen, Berg und Frankfurt (Ingeborg Schnelling-Reinicke, S.
245ff.), im Kaisertum Österreich (Harm-Hinrich Brandt, S. 267ff.) und in
den süddeutschen Rheinbundstaaten (Hans-Peter Ullmann, S. 315ff.) zeigen
Parallelen und Gegensätze auf. Bemerkenswert ist das Fazit, das sich aus den
Beiträgen gewinnen lässt: Der zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahezu allen
untersuchten Staaten bzw. Territorien drohende Staatsbankrott konnte erst
abgewendet werden, als durch Reformen das Finanzsystem des Ancien Régime
beseitigt und durch eine formelle Umgestaltung der Finanzwirtschaft die
Fundamente für moderne öffentliche Finanzen gelegt waren. Zweifelsohne ist die
Ergänzung der Analyse der preußischen Probleme durch den Blick auf andere
deutsche Staaten eine sinnvolle Ergänzung. Allerdings ist der „Exkurs“ wohlmöglich
zu Lasten Preußens etwas zu ausführlich geraten: Bedauerlicher Weise finden
sich nämlich in dem Band keinerlei Ausführungen dazu, wie es dem preußischen
Staat bzw. seinen Reformern gelang, die Finanzkrise zu überwinden. Dabei galt
die Überwindung der Finanzkrise den Reformkräften in Preußen
als das vordringlichste Ziel. Gerade am Beispiel der Finanzreformen wäre das
Bemühen der Reformer um den Ausgleich zwischen Modernität und Traditionsbindung
ausgezeichnet herauszuarbeiten gewesen (dazu Elisabeth Fehrenbach, Vom
Ancien Régime zum Wiener Kongress, 5. Aufl. München 2008, S. 111ff.). Erstaunlich
ist ferner, dass selbst das Finanzedikt vom 27. Oktober 1810, das eine
Steuerreform, die Vereinfachung der Steuergesetze und außerdem neue, gerechtere
Besteuerungsgrundlagen regelte, lediglich bei Wolfgang Neugebauer zweimal (S.
137, 139) kurze Erwähnung findet. Den Abschluss des Bandes bilden die
gehaltvollen Reflexionen über die „Rolle der Staatsfinanzen in der
Geschichtsschreibung zur preußischen Reformära“, die Susanne Brockfeld
verfasst hat (S. 333-346).
Der besondere Wert des Bandes besteht darin, dass ausnahmslos
jede Studie für sich einen hohen Informationsgehalt besitzt und die Beiträge in
ihrer Gesamtheit dem Leser einen ersten Eindruck von den finanziellen
Dimensionen der preußischen Katastrophe von 1806 geben. Wer indes mehr zu
diesem Thema erfahren will, muss bislang noch auf die älteren Studien zurückgreifen,
die Wolfgang Neugebauer in seiner Einführung erwähnt (S. 9 Fn. 1). Es bleibt
daher zu hoffen, dass die Finanzgeschichte Preußens
(nicht zuletzt als Teil der Verfassungsgeschichte) trotz der archivalischen
Kriegsverluste in nicht allzu ferner Zukunft weiter verdichtet werden kann.
Düsseldorf Stephan
Schuster