Kramer-McInnis, Georg, Der „Gesetzgeber der Welt“. Jeremy Benthams Grundlegung des klassischen Utilitarismus unter besonderer Berücksichtigung seiner Rechts- und Staatslehre. Dike Verlag, Zürich 2009. LXII, 368 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Ernst Kramer väterlich sehr motivierte, während der lehrreichen Assistenzzeit am Lehrstuhl Lukas Gschwends in Sankt Gallen entstandene Dissertation des Verfassers. Sie bietet im Eingang ein kürzeres Verzeichnis der Literatur vor 1900 und ein längeres Verzeichnis der Literatur nach 1900, die zwar beide alphabetisch geordnet sind, aber jeweils den für die Ordnung verwendeten Familiennamen die für die Ordnung störenden Vornamen voranstellen. Bei dem verdienstvollen, wenn auch keineswegs vollständigen Werkverzeichnis Benthams, dessen chaotische Publikationsweise der Verfasser als legendär hervorhebt - weil nur die wenigsten der Werke von Bentham selbst vollendet oder zum Druck gebracht, viele gar nicht veröffentlicht, andere jahrzehntelang zurückbehalten, ergänzt und in veränderter Form herausgegeben wurden, darunter das Hauptwerk Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1780-1789) oder On the Anti-Codification alias the Historical School of Jurisprudence (1830) -, unterscheidet der Verfasser 57 Nummern von A Comment on the Commentaries über A General View of a Complete Code of Laws (1786), Codification Proposal (1811-1817, veröffentlicht 1822), Constitutional Code (1822-1830), Of Laws in General (1782), Papers Relative to Codification and Public Instruction (1811-1817), Principles of the Civil Code (1786), Principles of International Law (1786-1789) und Principles of Penal Law (1775-1782) bis zu Truth versus Ashurst or Law as It Is, contrasted with what It Is Said to Be, wobei der unbestimmte Artikel anscheinend bei der Ordnung berücksichtigt ist, der bestimmte dagegen nicht.

 

In der Einleitung schildert der Verfasser zunächst die Forschungsdefizite im deutschsprachigen Wissenschaftsraum. Danach betont er Benthams Ambivalenz und den demgegenüber notwendigen ganzheitlichen Forschungsansatz. Schließlich fasst er den Utilitarismus allgemein als Phänomen des neuzeitlichen Rationalismus.

 

Das erste seiner elf Sachkapitel widmet er Benthams geistesgeschichtlichem Hintergrund, den er mit Newton eröffnet und über Locke, Condillac, Hume, Mandeville, das laissez-faire bis zu Benthams eigener Zeit führt, der die Suche nach einer vollkommenen Zeit aufgegeben ist. In diesem Rahmen verortet der Verfasser anschließend Benthams Leben von der Geburt in London im Jahre 1748 über das lateinische und griechische Lesen mit vier Jahren, die Aufnahme des Studiums der Rechtswissenschaft und Philosophie in Oxford mit 12 Jahren, der kurzen Tätigkeit als barrister (1776 anonym A Fragment on Government) bis zum Tod am 6. Juni 1832. Danach schildert er die Grundproblemd der utilitaristischen Gesellschaftstheorie mit dem größten Glück der größten Zahl im Mittelpunkt.

 

Im Anschluss hieran greift der Verfasser auf einzelne Sachbereiche aus. Dabei behandelt er die Theorie der Verteilungsgerechtigkeit, die Verbindung von Pflicht und Interesse, die allgemeine Rechtslehre, Strafrecht und Kriminalpolitik, das Panoptikum als Besserungsmaschine und sozialtechnologisches Labor einschließlich der Geburt der Polizei und die Kontrolle des Gesetzgebers. Am Schluss erörtert er umsichtig das problematische Verhältnis Benthams zur Freiheit.

 

Am Ende einzelner Abschnitte bietet der Verfasser mehrfach eine besondere Würdigung. Dagegen unterbleibt eine eigenständige Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse. Insgesamt sieht der Verfasser aber die utilitaristische Moralphilosophie als Theorie gerechten Handelns auf wissenschaftlicher, wertfreier Grundlage  als gescheitert an und stuft den ethischen, politischen und rechtlichen Positivismus Benthams mit seiner vordergründigen Trennung von Moral und Recht als dogmatischen Kunstgriff zur Untermauerung des absoluten Geltungsanspruchs des eigenen Wertesystems ein.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler