König Lustik!?- Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen, red. v. Bartsch, Maike u. a., übers. v. Müller, Michael/Richter, Melanie (= Kataloge der Museumslandschaft Hessen-Kassel 39). Hirmer, München 2008. 567 S., Ill., graph. Darst. Besprochen von Werner Schubert.

 

Zum 200. Jahrestag der Gründung des Königreichs Westphalen fand vom 19. 3. bis 29. 6.2008 in Kassel eine aufwändige Ausstellung mit rund 600 Exponaten statt, die im vorliegenden Band weitgehend abgebildet und fachkundig beschrieben sind (S. 176-496). 22 Essays (S. 25-175) befassen sich in erster Linie mit der Kunst- und Gesellschaftspolitik des Königreichs Westphalen. Zehn Beiträge sind der Kunstpolitik Napoleons, dem Kunstraub in Kassel (Kehrseite und Konsequenz des napoleonischen Modernisierungsprojekts; S. 38ff.) sowie kulturpolitischen Themen gewidmet (Erfindung des style Empire; Porträtaufträge Jérômes; Herrschereinzug; Kasseler Bauwesen; Tafelkultur; Musik und Theater sowie Mode). Th. Lentz zeichnet ein sehr kritisches Bild der Gründe der napoleonischen Deutschlandpolitik (S. 25ff.). Dagegen vermittelt Berding in dem Beitrag: „Imperiale Herrschaft, politische Reform und gesellschaftlicher Wandel“ (S. 107ff.) ein im Ganzen sehr positives Bild der Gesellschaftspolitik des Königreichs, nicht ohne zum Schluss darauf hinzuweisen, dass, gemessen an den Zielen, die Napoleon mit der Gründung des Königreichs verfolgt habe, die Gründung der „moralischen Eroberung“ gescheitert sei (S. 112). Die von Berding angesprochene Bedeutung der westphälischen Reformen für die Rheinbundstaaten und auch für die Folgezeit bedürfte noch detaillierterer Untersuchungen. Siebeneicker arbeitet in seinem Beitrag über die westphälische Ständeversammlung die Unterschiede zwischen dem französischen Vorbild und dem westphälischen „Parlament“ heraus und geht auch auf die parlamentarische Sitzordnung ein (S. 113ff.). Die strafrechtlichen Probleme, die mit der Einführung der Wehrpflicht (Konskription) verbunden waren, werden von B. Severin-Barboutie herausgestellt (S. 120ff.). Die Säkularisierung von Staat und Gesellschaft im Königreich Westphalen ist Gegenstand der Abhandlungen J. Westerburgs (S. 127ff.). Klarzustellen ist, dass der Maire nur für den Vollzug einer Ehescheidung durch deren Eintragung in das Standesregister, nicht aber für das Verfahren in Ehescheidungssachen zuständig war, das vor dem erstinstanzlichen Zivilgericht stattfand (vgl. S. 131). Die rechtliche Gleichstellung der Juden und die damit verbundene Reformpolitik wird von R. Ries behandelt (S. 135ff.). Wichtig ist der aus einer Dissertation hervorgegangene Beitrag Cl. Payes über die Sprachpolitik im Königreich Westphalen (S. 135ff.). Hiernach hat Westphalen bewusst auf den Erlass eines Sprachedikts verzichtet (S. 149). Im Hinblick auf Jérôme, der entgegen seinem Versprechen nicht Deutsch lernte, und auf die aus Frankreich kommenden Minister herrschte auf der zentralen Regierungs- und Verwaltungsebene Zweisprachigkeit. Das Gesetzblatt erschien zweisprachig, wobei der französische Text Vorrang hatte. A. Owzar behandelt die Frage der Traditionsstiftung im Königreich Westphalen, die auch für die Implementierung der neuen Institutionen von erheblicher Bedeutung war. Speitkamp endlich geht auf die Restauration in Kurhessen und den Umgang mit den Reformen des Königreichs Westphalen näher ein (S. 163ff.). Interessant ist, dass der Verfassungsentwurf von 1815/16 für Hessen-Kassel erheblich weiter ging als das westphälische Modell (S. 165). Ein spezifisch rechtshistorischer Beitrag, etwa zur Praxis des neuen Familien- oder Grundstücksrechts, fehlt. Aus dem „Katalog“ sei hingewiesen auf die Abbildungen der Skulptur Chandets: „Napoleon als Gesetzgeber“ (S. 377), der Verfassung von 1807 (S. 280f.), des Code Napoléon für das Königreich Westphalen (S. 434f.) und eines Familienregisters sowie eines Ehedispenses (S. 457f.).

 

Insgesamt erschließt der Band mit seinem überaus reichhaltigen Katalogteil und der Essaysammlung wesentliche Aspekte der Sozial- und Kulturgeschichte des Königreichs Westphalen, das im Hinblick auf die sehr zahlreich vorliegenden Einzeluntersuchungen inzwischen eine Gesamtdarstellung verdient.

 

Kiel

Werner Schubert