Karl I. (IV.), der Erste Weltkrieg und das Ende der Donaumonarchie, hg. v. Gottsmann, Andreas (= Publikationen des Historischen Instituts beim österreichischen Kulturforum in Rom, Abhandlung 14). Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2007. 305 S. Besprochen von Thomas Olechowski.
„Die Seligsprechung Kaiser und König Karls bot dem Österreichischen Historischen Institut in Rom die Möglichkeit, abseits hagiographischen Lobes Ende November 2004 ein international besetztes Symposion mit Teilnehmern aus allen Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie abzuhalten, auf dem nicht so sehr die Person des Monarchen selbst, als vielmehr das politische und gesellschaftliche und kulturelle Umfeld, in dem er wirkte, im Mittelpunkt stand“, berichtet der Herausgeber in seiner Einleitung über das Zustandekommen des Tagungsbandes (9f.). Dieser hebt sich wohltuend von anderen leider auch zu diesem Anlass erschienenen Büchern ab und ist ein Musterbeispiel für eine geglückte internationale Zusammenarbeit europäischer Historikerinnen und Historiker. Der Lesbarkeit sicherlich dienlich ist es, dass die Beiträge nicht, wie aufgrund der Themen und der Provenienz der Autor/inn/en zu erwarten gewesen wäre, in sieben oder zehn, sondern lediglich in drei verschiedenen Sprachen (deutsch, italienisch und englisch) abgefasst sind; noch schöner wäre es gewesen, hätten alle Beiträge ein englischsprachiges Abstract erhalten. Aus der Fülle der behandelten Themen seien hier lediglich einige wenige willkürlich herausgegriffen.
So äußert Helmut Rumpler gleich zu Beginn des Bandes in seinem Aufsatz über „Kaiser Karl, die Friedensprojekte und das deutsch-österreichische Bündnis“ die These, dass den Mitgliedern des österreichisch-ungarischen Ministerrates schon 1914 bewusst war, dass der Krieg in jedem Fall das Ende der Monarchie bedeuten würde, auch wenn dies letztlich „unausgesprochen“ blieb (13) und daher vom Rezensenten - zumindest in dieser apodiktisch-fatalistischen Formulierung - angezweifelt werden darf. (Franz Josephs berühmter Ausspruch „Wenn die Monarchie schon zugrunde gehen soll, so soll sie wenigstens anständig zugrund gehen!“ stammt nicht von 1914, sondern von 1915!) Rumpler billigt Kaiser Karl zwar guten Willen zu, Frieden zu schließen, konstatiert aber auch, dass er letztlich nicht die Kraft hatte, (rechtzeitig) das außenpolitische Bündnis mit Deutschland zu lösen und den innenpolitischen Kurs eines deutsch-magyarischen Zentralismus zu beenden. „Das aber war gleichbedeutend mit dem Todesurteil der Habsburgermonarchie“ (22).
Der Titel des Beitrages Lothar Höbelts, „Karl I., der ‚Teufelsspuk’ und die Deutschböhmen“ ist eine Anspielung auf Oskar Teufel, auf dessen Entwurf das Manifest Kaiser Karls zur Neugestaltung der Monarchie vom 16. Oktober 1918 zurück ging. Dieses war für die Tschechen unannehmbar, schon allein deswegen, weil es die Abtrennung der deutschböhmischen von den tschechischen Territorien bedeutet hätte. Hatte Kaiser Karl zu Anfang seiner Regentschaft noch erklärt: „Unsere Zukunft liegt im Slawentum“ (48), so handelte es sich bei seinem Oktobermanifest um ein bemerkenswerten Schwenk hin zu den Deutschnationalen. Höbelts Ausführungen erfahren eine wertvolle Ergänzung durch Jan Galandauers Beitrag über „Den misslungenen Kampf des letzten Königs von Böhmen um die Rettung seines Thrones“: Denn Kaiser Karl I. war als Karl III. (oder sollte man besser sagen: Karel III.?) auch König von Böhmen und plante noch im Jänner 1917 eine Krönung mit der Wenzelskrone – die erste derartige Krönung seit über achtzig Jahren. Doch bereits im Mai desselben Jahres wurde diese Idee wieder fallengelassen. Die Deutschböhmen atmeten auf, doch „vom Standpunkt des Kaisers und der Dynastie kann gesagt werden, dass im Jänner 1917 eine Gelegenheit verpasst worden ist. Damals hätte man glaubwürdig in die ganze Welt posaunen können, dass nicht nur die Tschechen, sondern auch alle anderen Nationen treu und ohne Vorbehalte zu Reich, Dynastie und ihrem Monarchen standen“ (151f.).
Vor dem Hintergrund der extremen Frömmigkeit des 2004 selig gesprochenen Kaisers ist der Beitrag Andreas Gottsmanns über „Die Wiener Nuntiatur und Kaiser Karl“ von besonderem Interesse, teilte doch Karl mit seinem Amtsvorgänger das große Misstrauen gegenüber den päpstlichen Nuntien, die seiner Ansicht nach zu stark unter Einfluss der feindlichen Macht Italien standen. Den 1916 nach Wien geschickten Piemontesen Teodoro Valfrè di Bonzo bezeichnete er gar als „un figlio di Vittorio Emanuele“ (97). Am 4. August 1918 erschien ein gemeinsamer Hirtenbrief der katholischen Bischöfe der Habsburgermonarchie, in dem sie an die Einigkeit der habsburgischen Völker appellierten. Die Bischöfe von Prag, Laibach, Trient und Triest hatten sich geweigert, mit zu unterzeichnen. „Wenn nicht einmal mehr die katholische Kirche, die über Jahrhunderte eine der Hauptstützen der kaiserlichen Macht gewesen war, an den Zusammenhalt des alten Staates glaubte, waren die Tage der habsburgischen Herrschaft gezählt“ (112).
Zu den sonderbarsten Episoden des Ersten Weltkrieges zählt sicherlich die Kandidatur von Erzherzog Karl Stephan auf den polnischen Thron 1916/18, der im Beitrag Jerzy Gauls, „The Austro-Hungarian Empire and its political allies in the Polish Kingdom 1914–1918“ thematisiert wird. Abenteuerlicher noch als dieses Experiment aber erscheint rückblickend jenes, über das Vasyľ Rasevyč berichtet: „Ein habsburgischer König für die Ukraine? Wilhelm von Habsburg und Kaiser Karl I.“ Tatsächlich hatte der 1895 geborene Sohn Karl Stephans während des Krieges Kontakte zu der östlichsten Nationalität Österreich-Ungarns geknüpft, und seine Ambitionen liefen zum Teil denen seines Vaters in Bezug auf Polen zuwider, nahmen aber gerade angesichts der bolschewistischen Machtergreifung im vormals russischen Teil der Ukraine zeitweise recht konkrete Formen an. Obwohl sie letztlich ebenso wie die von Karl Stephan scheiterten, machte sich Wilhelm auch noch nach 1918 in Westeuropa für die ukrainische Sache stark, sodass er 1947 von der sowjetischen Besatzungsmacht in Wien verhaftet und in die Ukraine (!) deportiert wurde, wo er 1948 starb.
Die Restaurationsversuche Karls nach 1918 als IV. Károly magyar király sind Gegenstand des Beitrages Miklós Zeidlers, „Charles IV’s attempted returns to the Hungarian throne“. Nachdem Karl zweimal mit seinem Versuch gescheitert war, die Stephanskrone wieder zu erlangen, das zweite Mal auch mit Waffengewalt, war er mit seiner Gemahlin in die Benediktinerabtei Tihany gebracht worden. Dort schlugen ihm Horthy und Bethlen vor, zugunsten seines Sohnes abzudanken, der mit der Heiligen Krone Ungarns gekrönt werden solle. Dass es nicht dazu kam, sei vor allem Beneš zuzuschreiben, der die politische Macht der Kleinen Entente „testen“ wollte, und Druck ausübte, sodass das ungarische Parlament am 6. November 1921 die Absetzung des Hauses Habsburg-Lothringen beschloss. Der Einschätzung des Autors, dass von einer geglückten ungarischen Restauration keine Gefahr für die Nachbarländer ausgegangen wäre, vermag sich der Rezensent nicht anzuschließen.
Die weiteren Beiträge, auf die hier nicht eingegangen werden kann, befassen sich mit der Haltung der Christlichsozialen (Maddalena Guiotto) und der Sozialdemokraten (Francesco Marin) während des Krieges, den Zeitungen und der Kriegspropaganda (Gualtiero Boaglio, Vito Punzi, Renate Lunzer), den italienischen, slowakischen und slowenischen Österreichern (Angela Ara, Jozef Haľko, Miroslav Michela, Walter Lukan), mit Dalmatien unter Kaiser Karl (Marko Trogrlić) sowie mit seinem Bild in Siebenbürgen (Ion Cârja) und im Spiegel von Memoiren ungarischer Politiker (Iván Bertéyi jun.). So werden die Probleme des Vielvölkerstaates von den verschiedensten Seiten her beleuchtet, und auch wenn der Band, wie oben erwähnt, dezidiert keine Biographie Kaiser Karls sein will und auch seine Persönlichkeit tatsächlich zumeist im Hintergrund bleibt, so wird doch eines deutlich: Auch ein Kaiser mit mehr Entschlusskraft, als er sie besaß, hätte es nicht vermocht, die 1916 schon dem Tode geweihte Monarchie am Leben zu erhalten.
Wien Thomas
Olechowski