Kapossy, Béla,
Diese in englischer Sprache bei
Istvan Hont an der Universität of Cambridge verfasste PhD-These stellt eine ebenso
interessante wie fundierte Untersuchung zur Funktion des Patriotismus auf der
Grundlage von Aufklärung und Philanthropie dar. Ihr Gegenstand bilden Republikanismus und Ordre Social mit Schwerpunkt auf den helvetischen
Verhältnissen des späten 18. Jahrhunderts.
Im Zentrum stehen dabei Werk und
Person des Baseler Geschichtsphilosophen und Juristen Isaak Iselin (1728-1782),
der mit seinen Werken Geschichte der Menschheit
(1764) und Träume eines
Menschenfreundes (1776) seine Zeitgenossen nachhaltig beeinflusst hat, obwohl
die postrevolutionäre Historiographie seine Spuren verwischte. Iselins Werke
entstanden unter anderem in Auseinandersetzung mit dem Discours (1755) und dem Contrat
Social (1762) Jean-Jacques Rousseaus In diesem Kontext stellt sich daher
zentral die Frage, weshalb das Werk des seinerzeit hochgeschätzten Iselin im
Verhältnis zu demjenigen Rousseaus in Vergessenheit geraten konnte. Die Antwort
darauf lässt auch eine Klärung von dessen historischer Bedeutung für die Zeitgenossen
erwarten.
Kapossy, der an der Universität
Lausanne Geschichte lehrt, geht zunächst von den allgemeinen Gesichtspunkten
der aufgeklärten Naturrechtsdiskussion aus. Diese Diskussion spielt sich vor
dem Hintergrund der damals weitgehend als normal angesehenen patriarchalisch
strukturierten Gesellschaft ab, der auch Iselin verpflichtet war (85-101). Nach
Ansicht des Autors vollzieht sich die damalige Diskussion aber weniger im Sinne
eines idealistischen Politikdiskurses, wie dies meist so dargestellt wird, sondern
faktisch als realpolitische Auseinandersetzung mit Bezug zur praktischen
Ökonomie, die als das Fundament der zeitgenössischen Gesellschaft angesehen
wurde. Vor diesem Hintergrund erfolgten damals die Erörterungen der politischen
Innovationsvorschläge. Dabei standen Einflüsse aus der schottischen und englischen
Gesellschaftsphilosophie in den schweizerischen Verhältnissen weitaus stärker im
Vordergrund, als bisher angenommen wurde, wogegen Rousseaus Ideenwelt gerade als
Gegenbild dazu fungierte (196-206). Erst die Revolutionshistoriographie des frühen
Liberalismus beeinflusste die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts in die
andere Richtung und stellte dabei die französischen ideengeschichtlichen
Einflüsse überproportional dar; entsprechend zeichnete sie auch das Bild Rousseaus
als eines Protagonisten der französischen Revolution, was letztlich zu einer
verzerrten Betrachtung führte.
Die Debatte um die richtige Gesellschaftstheorie
verlief im 18. Jahrhundert in erster Linie in Bezug auf die Frage, wie der
Staat die Ökonomie im Sinn der allgemeinen Wohlfahrt zu gestalten habe (103-171).
Sie richtete sich kritisch gegen die moderne Gesellschaftstheorie mit ihrem
kapitalistischen Ansatz, wonach die Entwicklung zur modernen Zivilgesellschaft
mit der massiven Entwicklung von Luxusgütern und einem entsprechenden
Konsumverhalten zusammenhänge. Diesen Ansatz vertraten nach zeitgenössischer
Lesart aber Autoren wie Hobbes, Mandeville oder eben Rousseau, die im Staatsräsondenken
nach Machiavelli gesehen wurden (24-31) und somit Ideen vertraten, die mit dem zum
Teil religiös geprägten Selbstverständnis kollidierten (21-75).
Der Autor veranschaulicht diese
Debatte, wie sie innerhalb der in den helvetischen Kreisen der Westschweiz
vorherrschenden Berner Aristokratie geführt wurde (105-145). Die Diskussion erfolgte
vor dem Hintergrund der Berner Bankenkrise, die der Autor allerdings nur marginal
einbezieht (128ff.), die jedoch zahlreiche Berner in arge Armut trieb.[1]
Vor diesem Hintergrund enfaltete sich die Diskussion um die Form des richtigen
Patriotismus republikanischer oder aristokratischer Provenienz (129-161). Diese
Diskussion war gegenüber den politischen Ideen eines Montesquieu grundsätzlich ebenso
kritisch, wie sie gegenüber der Ideenwelt eines Hobbes bis Rousseau sogar sich ablehnend
verhielt. In diesem Umfeld entwickelte Iselin in der Folge seine Ansichten zu
einer patriotischen Ökonomie.
Der Autor betont zu Recht, dass die
Historiographie zur helvetischen Aufklärung vermehrt unter dem Einfluss der englischen
und schottischen Lehre, insbesondere auch mit deren spezifischen Sicht auf die
Lehre zur Ökonomie zu sehen wäre. Freilich müsste dann auch die Diskussion um
Adam Smith’s Ökonomietheorie, die der Autor vor allem in Auseinandersetzung mit
Rousseau thematisiert (224-228), ins richtige Licht gestellt werden, da Smiths Volkswirtschaftlehre
die Grundlage für die damalige nationale Wohlfahrtstheorie darstellt. Was hier
grundsätzlich und allgemein gilt, müsste freilich auch für die Rechtsgeschichte
im Besonderen in Betracht gezogen werden, ist diese doch die Reflexionsebene des
Verhältnisses von Recht und Gesellschaft und als solche in der angesprochenen
Periode des 18. Jahrhunderts stets auch ein Teil des damals grundlegenden
aristotelischen und statistisch-historischen Rechtsdenkens gewesen. Diesen
Bezug allerdings kann man beim Autor kaum sehen, zumal er sich mit der
rechtsgeschichtlichen Literatur sozusagen nicht auseinandergesetzt hat. Dennoch
gibt diese gelungene und gut lesbare Abhandlung einen konkreten Einblick in die
damaligen rechtstheoretischen Diskussionsgrundlagen und vermag daher das Bild
zum späten 18. Jahrhundert auch in der Rechtsgeschichte ein Stück weit zu
retouchieren.
Zürich Marcel
Senn
[1] Vgl. dazu: Nikolaus Linder, Die Berner Bankenkrisen von 1720 und das Recht
- eine Studie zur Rechts-, Banken- und Finanzgeschichte der Alten Schweiz,
Schulthess Verlag, Zürich, 2004.