Houben, Hubert, Kaiser Friedrich II. (1194-1250). Herrscher, Mensch und Mythos (= Urban
Taschenbuch 618). Kohlhammer, Stuttgart 2008. 262 S., 6 Ktn.,
5 Taf., 28 Abb. Besprochen von Alois Gerlich.
Friedrich II. findet in jüngerer Zeit breite
Beachtung in der Forschung in Deutschland, Italien und Frankreich. Federführend
sind in Deutschland Wolfgang Stürner, Kurt Görich, Michael
Borgolte, Hans Martin Schaller, Johannes Fried, Theodor
Kölzer, Thomas Zotz und mit vielfältigen Studien der Verfasser
dieses Buches. In der Stauferstadt Göppingen bildete sich eine Gemeinschaft von
Fachleuten, die sich der Stauferzeit allgemein wie Friedrich II. im engeren
Sinne zuwandten.
Die neue Biographie und Würdigung des Lebenswerkes
dieses Kaisers nahm der Verlag Kohlhammer in seine „Urban-Reihe“ und fand einen
ausgewiesenen Verfasser. In klarer Gliederung und Diktion wird eine Darstellung
des Lebenswerks, verbunden mit der Schilderung der Persönlichkeit des
Herrschers und Charakterisierungen der in seiner Umgebung Wirkenden geboten.
Schwerpunkte werden gesetzt auf die Anfänge in der wirren mediterranen Umwelt
an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert. Dem folgt die Analyse des
Verhältnisses zu Papst Innozenz III. In der Darstellung des ersten Aufenthaltes
des jungen Königs in Deutschland bis 1220 finden Platz die ausgewogene Schilderung
des Aufstieges seit den Krönungen in Mainz und Aachen, des Ringens mit Otto IV.
und dessen Anhängern, der fürstlichen und gräflichen Gruppen in den westlichen
Reichsteilen, der Regelung des Verhältnisses mit der Kirche und zu den zwischen
Papst und König lavierenden geistlichen Großen. – Die gleiche Prägnanz zeichnet
die auf Italien bezüglichen Teile des Buches aus. Knapp gefasst sind Erwägungen
über das Streben nach universaler Herrschaft und deren Grenzen, Siziliens und
Unteritaliens strukturelle Eigenheiten, das Erstarken der Kommunen in der
Lombardei und Mittelitalien, die
Vorbereitung und Durchführung des Kreuzzuges in reichspolitisch skurriler
Konstellation, des Wechsels von Zerwürfnis und Aussöhnung mit Gregor IX., des
Streites mit dem Sohn Heinrich (VII.), des Mainzer Reichstages 1235 und ein
Jahr später des Kaisers Aufenthalt in Marburg am Grab der Heiligen Elisabeth. Gerafft
geschildert werden die neuen Zerwürfnisse in Italien, die territorialen wie
kommunalen Eigenentwicklungen im Reich nördlich der Alpen. Breitere Darstellung
erhält der Kampf mit dem intransigenten Fanatiker Innozenz IV. bis zu Absetzung
und Tod des Kaisers. Man möchte meinen, da gäbe es nichts Neues. Doch diese Art
der Darstellung wird getragen von den jüngsten Erkenntnissen der Verfassungs,- Sozial-
und Wirtschaftsgeschichtsforschung, vom tiefen Verständnis der vielfältigen
Entwicklungen an Rhein, Main und Donau, für die lange der in Norddeutschlands Dynastien
und Territorien befangenen Historiographie Nähe und Einfühlungsgabe mangelten.
In solchen Zusammenhängen wesentlicher sind die
Teile des Werkes, die dem Menschen Friedrich II., seinen Frauen und Kindern, den
Beziehungen zu den legitimen und illegitimen Nachkommen, dem Leben am durch das
Reich ziehenden Hofe, etwa dem Wirken des Hochmeisters Hermann von Salza,
Berards von Castagna und des Petrus von Vinea gewidmet sind. Selbstverständlich
wird Friedrich II. gewürdigt als Jäger und Intellektueller, der Verfasser entlarvt
hier manches Anekdotische, das nachträglich angefügt wurde. Referiert wird über
die Stellung der Juden am Hofe, über des Kaisers Mühen um das Verstehen des
Islam. Aufmerksamkeit heischen die Überlegungen bezüglich der Religiosität des
Herrschers, der für Bußübungen und Reliquien nichts übrig hatte, jedoch
religiöse Minderheiten achtete.
Besondere Bedeutung besitzt der dem „Mythos“
vorbehaltene Abschnitt. Zunächst wird die bis ans Absurde grenzende
Verteufelung des Kaisers durch die päpstliche Kurie, Joachim von Fiore und
Rainer von Viterbo sowie deren franziskanischen Nachbetern geschildert. Man
hatte offenbar in diesen Kreisen Lust an Perversitäten. Dem gegenübergestellt
wird die vom Hofe betriebene Sakralisierung des Kaisers, die von Innozenz IV.
und Gehilfen angefochten worden war. Allerdings ist hier von Friedrich II. nach
seiner zweiten Bannung seinerseits einiges an Übertreibungen geschehen.
Treffliche Hinweise auf die nach seinem Tod auftretenden falschen Friedriche in
Deutschland werden eingeschoben. Die im Volk verbreitete Sehnsucht nach einer
Wiederkehr des Kaisers als Reformer angesichts der wirtschaftlichen und
rechtlichen Verfallserscheinungen wird gestreift. Johannes von Winterthur und
die Reformatio Sigismundi finden eingehendere Beachtung. Eigens
hervorzuheben ist das Kapitel über das neuzeitliche Bild vom staufischen
Kaiser. Der Verfasser macht darauf aufmerksam, dass in Italien das Andenken an
Friedrich II. lebendiger blieb als in Deutschland. Hatte hier zunächst die
Auffassung vom Neugestalter der Kirche und des Staates im Kreis der
Reformatoren Anklang gefunden, sah man im Kreis der Romantiker den Gottlosen,
den Zerstörer der mittelalterlichen Weltordnung. Der Initiator der ‚Regesta
Imperii‘, Johann Friedrich Böhmer, verglich den Staufer mit Napoleon als
gottlosem Despoten. Zu positiver Bewertung gelangte man erst unter dem Einfluss
von Ferdinand Gregorovius, dann durch Friedrich Nietzsche. In der Fachwelt
war es der Heidelberger Gelehrte Karl Hampe mit seiner ausgewogenen Beurteilung
der Staufer insgesamt wie Friedrichs II. im Besonderen, der zu gerechterer
Beurteilung hinführte. Doch fast gleichzeitig kam es zu Überzeichnungen durch
den Germanisten Friedrich Gundolf und den zu Irrealitäten neigenden Kreis um
Stefan George, der 1922 Ernst Kantorowicz aufforderte, eine Biographie des
Kaisers als einer ‚übermenschlichen Führergestalt‘ zu schreiben, wie sie das
‚geheime Deutschland’ Georges sich ersehnte. Man braucht die schlimmen
geistigen und politischen Auswirkungen dieser der Wissenschaft fremden
Mystifikationen als Werk von in vielem an wirrer Überspanntheit leidenden Professoren
nicht zu referieren. Die akademische Geschichtswissenschaft brauchte nach 1945
lange, um zu neuer Bewertung zu finden. Der Verfasser weist darauf hin, dass
selbst so verdiente Gelehrte wie Hans Martin Schaller und Thomas van Cleve zeitweise
noch unter dem Einfluss von Kantorowicz standen. Die von David Abulafia 1988
vorgelegte Biografie Friedrichs II. erfuhr eine sehr geteilte Aufnahme. Sie kann
nicht als eine allseits überzeugende Wende der Auffassung bezeichnet werden. Hubert
Houben bringt mit diesen Hinweisen einen wertvollen Beitrag zur jüngeren Historiographie.
Er selbst sieht in Friedrich II. zutreffend einen Wegbereiter der von der
Kirche unabhängigen Monarchien Europas.
Wiesbaden Alois
Gerlich