Hirschmann,
Frank G., Die Stadt im Mittelalters (= Enzyklopädie deutscher Geschichte
84). Oldenbourg, München 2009. XII, 146 S. Besprochen von Thomas Vogtherr.
Die Reihe, in der dieser Band erscheint, hat eine lange Erfolgsgeschichte hinter sich und nähert sich langsam der Vollendung. Dass einer der für die Mittelaltergeschichte zentralen Bände erst jetzt erscheint, spricht für sich: Die deutschsprachige Stadtgeschichtsforschung, so die These des Verfassers, ist in einer durchgreifenden Neuorientierung begriffen, und das erleichtert bekanntlich Synthesen nicht gerade. Wenn dazu noch als zentraler Bestandteil dieser Neuorientierung der Abschied von einer rechtshistorischen Betrachtungsweise der mittelalterlichen Stadt hervorgehoben wird, wie das Hirschmann tut, ist vollends Grund genug gegeben, sich an dieser Stelle mit dem Band intensiver auseinanderzusetzen. Um es vorwegzunehmen: Wenn man die Voraussetzungen des Verfassers teilt und seine Neigung dazu akzeptiert, Deutschland und seine Städte von westlich des Rheines her zu sehen und eher die Niederen Lande in die Betrachtung einzubeziehen als die Gebiete des Lübischen oder des Magdeburger Rechts, dann – aber nur dann! – liegt eine überzeugende Einführung in das Panorama moderner Stadtgeschichtsforschung vor.
Wie in der Reihe üblich, ist auch dieser Band konsequent dreigeteilt aufgebaut: Ein enzyklopädischer Überblick bietet eine stringente und angesichts des zur Verfügung stehenden Raumes notwendig knappe Einführung in den Gegenstand. Der zweite Abschnitt informiert über den Gang der Forschung, mit einem starken Akzent auf der gegenwärtigen Forschung zur Stadtgeschichte. Den Abschluss bildet eine umfangreiche, fast fünfhundert Titel aufführende Bibliographie (S. 95-129), die in erfreulicher Fülle auch nichtdeutschsprachige Titel verzeichnet und damit versucht, die traditionelle Verengung mancher Stadtgeschichtsforschung auf alleine Deutschsprachiges zu überwinden. Dieses Layout der einzelnen Bände ist eine Vorgabe der Herausgeber und hat sich durchweg bewährt; Hirschmann wendet es konsequent und souverän auf seinen Gegenstand an.
Der enzyklopädische Überblick (S. 1-54) beschäftigt sich mit allen wesentlichen Fragen der Stadtgeschichte, von den antiken Wurzeln bis zum Ende des Mittelalters, vom deutschen Südosten bis weit in die Grenzbereiche des Reiches in den Niederen Landen, mit einem deutlichen Schwerpunkt im Linksrheinischen. Abgehandelt werden politische und soziale Strukturen, das Verhältnis der Städte zur Reichsgewalt, zu den Landesherren und den Landständen, die Kommunikation zwischen Städten, Fragen der Wirtschafts- und Verkehrsgeschichte sowie – sehr knapp – Probleme von Kultur und Bildung. Weitgehend Fehlanzeige herrscht in diesem Überblick im Bereich städtischer Kirchengeschichte.
Der zweite Abschnitt „Grundprobleme und Tendenzen der Forschung“ (S. 55-94) akzentuiert dann vor allem durch die Hervorhebung der jüngsten Stadtgeschichte und das nahezu völlige Ausblenden der Klassiker auf diesem Gebiete den Gang der Forschung doch in sehr eigenwilliger Weise. Hervorragend gelungen ist die Darstellung des sattsam bekannten Problems einer „Definition von Stadt“ (S. 61-70), wo wirklich alle wesentlichen modernen Ansätze zu Worte kommen, insbesondere – wie in anderen Teilen des Bandes auch – die eigenen des Verfassers, der sich selber so häufig zitiert wie niemanden sonst.
Auch die knappe Andeutung des Forschungsfeldes „kleine und mittelgroße Städte“ (S. 77-80) vermag durchaus zu überzeugen, während die stringente Durchführung des Überblicks zu den Forschungstendenzen in einem Sammelkapitel „Teilaspekte zur Stadtgeschichte“ (S. 84-94) endet, in dem sich wirklich alles findet, was anderweit nicht unterzubringen war, für einen einführenden und ein ganzes Thema erschließenden Band nicht gerade eine glückliche Entscheidung.
Rechtshistoriker dürfen den Band zu Recht mit Skepsis betrachten. Das wird gleich im Vorwort deutlich gemacht, wo es heißt: „Rein rechtshistorische Fragestellungen rücken hingegen in den Hintergrund, da die Relevanz der Stadtrechte für die urbane Entwicklung – zumindest in den Gebieten westlich von Elbe und Saale – von der jüngeren Forschung als gering erkannt worden ist“ (S. XI). Dieses überlaute Pfeifen im Walde soll Mut machen, ganze Bibliotheken aus diesem Forschungsfeld der damnatio memoriae zu unterwerfen. Und deswegen ist es auch folgerichtig, dass man von Rörig, über Wilhelm und Friedrich Ebel bis zu Hans Patze eine ganze illustre Reihe von Historikern mit rechtshistorischer Fragestellung und Methode nicht einmal mehr genannt findet. Folgerichtig ist es dann auch, einen „Oberhof“ im Register nicht ausgewiesen zu finden und manches mehr zu vermissen. Gnade vor den Augen des Verfassers findet allenfalls Gerhard Dilcher. Diese weitgehende Ausblendung der rechtshistorischen Perspektive wird durch sehr knappe Äußerungen zum Stadtrecht (S. 11f., 70-75 und wenige andere Stellen) nicht wirklich aufgewogen und bezeichnet ein wesentliches Manko dieses Bandes. Man mag sich von rechtshistorisch bestimmten Sichtweisen auf die mittelalterliche Stadt zu Recht distanzieren, das bloße Ausblenden reicht nicht. Eine moderne Einführung auch in die rechtlichen Aspekte der Stadtgeschichte des Mittelalters fehlt nach wie vor; der vorliegende Band erfüllt diesen Wunsch erklärtermaßen nicht.
Osnabrück Thomas Vogtherr