Hetzer, Wolfgang, Rechtsstaat oder Ausnahmezustand? Souveränität und Terror. Duncker & Humblot, Berlin 2008. XIII, 331 S. Besprochen von Bernd Rüthers.
Spätestens
die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben eine globale Gefährdung der
Sicherheit von demokratisch organisierten Zivilgesellschaften bewusst gemacht.
Die Versuche, solchen Anschlägen wirksam vorzubeugen und sie jedenfalls
effizient zu verfolgen, haben seit einigen Jahren in den besonders gefährdeten
Ländern zu einer intensiven Diskussion über eine verstärkte Sicherheitspolitik
geführt. Die dabei erwogenen Strategien führen in Grenzbereiche der
Zulässigkeit staatlicher Abwehrmaßnahmen. Es geht um eine neue Bestimmung des
Verhältnisses zwischen öffentlicher Sicherheit und grundrechtlichen
Freiheitsgarantien. Die Gesetzgebung unternimmt in den letzten Jahren auf
nationaler wie internationaler Ebene immer neue Anläufe, den unleugbaren
terroristischen Bedrohungen wirkungsvoll begegnen zu können. Die lebhaften
innenpolitischen Debatten über die Rasterfahndung, die staatliche Ausspähung
privater Computer, die Telefonüberwachung, den Abschuss entführter Flugzeuge
(Luftsicherheitsgesetz), die Zulässigkeit folterähnlicher Verhörmethoden und
die Einsätze der Bundeswehr im Innern kennzeichnen die Aktualität der
Problematik.
Wolfgang Hetzer hat die
brisanten Probleme im Titel seines Buches auf die Frage reduziert „Rechtsstaat
oder Ausnahmezustand?“.
Soll damit die Alternative
„Rechtsstaat auch im Ausnahmezustand“ von vornherein für undenkbar erklärt
werden? Das verwundert, denn 1967/1968 wurden aufgrund von Initiativen der
„außerparlamentarischen Opposition“ (APO) ähnlich absolute Thesen gegen die
geplanten Notstandsgesetze angeführt. Diese haben dann die Bürgerfreiheiten der
Bundesrepublik, entgegen allen düsteren Vorhersagen, nicht erkennbar
beeinträchtigt. Der Autor schreibt einen kämpferischen Stil und ist darin nicht
ganz ungeübt. Er beschäftigt sich seit langem mit Fragen der inneren und
äußeren Sicherheit. Er war zwei Jahre als
Ministerialrat und Referatsleiter im Bundeskanzleramt zuständig für die
Aufsicht über den Bundesnachrichtendienst (BND) in den Bereichen organisierte Kriminalität, Geldwäsche, Nichtverbreitung
von Massenvernichtungswaffen und strategische
Überwachung der Telekommunikation. Wegen kritischer Äußerungen in der
Öffentlichkeit wurde er 2002 vom Dienst suspendiert.[1][1] Er leitet
seither die Abteilung „Intelligence:
Strategic Assessment & Analysis“ im
Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel. Er ist Autor des
Buches „Tatort Finanzmarkt“[2][2], das die
Geldwäsche zwischen Kriminalität, Wirtschaft und Politik schildert. Hetzer
schreibt ein kämpferisches, journalistisch-polemisches Buch zu brisanten
juristischen Fragen von großer sicherheitspolitischer, strafrechtlicher,
staatsrechtlicher und freiheits-rechtlicher Bedeutung. Hetzer schreibt
erkennbar mehr in rechtspolitischer als in juristisch-analytischer Absicht. Er
sieht den Rechtsstaat in Gefahr und will aufrütteln. Gleichwohl ist sein Buch
ein spannender Beitrag zur Zeitrechtsgeschichte. Indem er die Argumente und
Beweggründe der Vertreter einer Verschärfung der Sicherheitspolitik gegenüber
dem Terrorismus darlegt, gibt er einen Einblick in die historischen Entwicklungslinien
der Diskussion über das Verhalten und die Chancen des Staates, sich gegen
drohende nichtmilitärische Angriffe auf seine Existenz zu wehren.
Die Problematik betrifft in ihren Kernfragen
staatsrechtliche, polizeirechtliche und strafrechtliche Bereiche, die in der
juristischen Diskussion nicht immer scharf getrennt werden. Ein Schwerpunkt
liegt in der Frage, wie sich der Rechtsstaat sinnvoll und wirksam gegen eine
existentielle Bedrohung durch einen anonym agierenden, global organisierten, religiös
motivierten Terrorismus zur Wehr setzen kann. Darüber ist es inzwischen zu
einer kontroversen rechtspolitischen Debatte gekommen. Das Stichwort dazu
lieferte ein Buchtitel des Kölner Staatsrechtslehrers Otto Depenheuer
„Selbstbehauptung des Rechtsstaates“ (2007).[3][3]
Den Ausgangspunkt bildete der Begriff „Feindstrafrecht“. Diese Bezeichnung
wurde 1985 von dem Bonner Strafrechtler und Rechtsphilosophen Günter Jakobs
vorgeschlagen.[4][4]
Er vertrat die Auffassung, im Hinblick auf die Entwicklung des modernen
Terrorismus und anderer Kriminalitätsformen müsse neben dem normalen
„Bürgerstrafrecht“ ein spezielles „Feindstrafrecht“ geschaffen werden. Diese
These blieb lange eine kaum beachtete Außenseitermeinung, bis Jakobs 2004
nachlegte mit seinem Beitrag „Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht“.[5][5]
Mit Hinweis
auf die Terroranschläge
des
11. September 2001 in den USA bejaht Jakobs ein dringendes praktisches
Bedürfnis für ein Feindstrafrecht. Die Bindungen, die sich der Rechtsstaat
gegenüber seinen Bürgern auferlege, seien gegenüber Terroristen „schlechthin
unangemessen“. Er ist überzeugt,
dass derjenige, der die staatliche Rechtsordnung bewusst und entschieden
ablehne oder sie sogar zerstören wolle, seine Rechte als Bürger und als Person
verliere und deshalb vom Staat mit allen Mitteln bekämpft werden dürfe. Der
Terrorist, der die herrschende Gesellschaftsordnung stürzen wolle, der
Gewohnheitsverbrecher, der alle staatlichen Gesetze ignoriere oder das
Mafia-Mitglied, das nur nach den Regeln seines Clans lebt, seien „Unpersonen“
und dürften nicht als Bürger behandelt werden. Sie seien als „Feinde“ zu
bekämpfen. Hatte Jakobs bis dahin den Begriff "Feindstrafrecht" nur
kritisch-deskriptiv verwendet, indem er die aus seiner Sicht feindstrafrechtlichen
Tendenzen der neueren deutschen Strafgesetzgebung analysierte, so nimmt er
jetzt eine mindestens teilweise bejahende Haltung zu der Konzeption des
„Feindstrafrechts" ein. Er glaubt mit seiner Darstellung nur das
festzustellen, was in der geltenden Rechtslage bereits vorgezeichnet sei.
Das Konzept des „Feindstrafrechts“ ruft
zwei Erinnerungen wach. Die erste betrifft die während des Nationalsozialismus
vorherrschende Lehre vom „Täterstrafrecht“. Die Strafbarkeit sollte sich an dem
jeweiligen Tätertyp orientieren, also etwa am „gefährlichen
Gewohnheitsverbrecher“, dem „Volksschädling“, dem „Volksfeind“ und dem
„Staatsfeind“. Gegenüber dem Vorrang des „Tätertyps“ trat die eigentliche
Straftat und ihre strafrechtliche Beurteilung zurück. Ihre Entsprechung in der
Justizpraxis fand diese Denkweise etwa in der Schaffung der
"Volksschädlingsverordnung" vom 5. 9. 1939, die keine klaren
juristischen Tatbestandsmerkmale erforderte, sondern der
nationalsozialistischen Rechtslehre vom Tätertyp folgte.[6][6]
Das Plädoyer für ein „Feindstrafrecht“ ruft
ferner die Erinnerung an den „Begriff des Politischen“[7][7]
bei Carl Schmitt, dem späteren NS-Starjuristen wach. Für Schmitt bestand das
Wesen des „Politischen“ in der Unterscheidung von Freund und Feind. Politik
erwächst danach aus dieser
Einteilung der Völker wie der Bürger in „Freunde“ und „Feinde“. Schmitt gibt
keine Kriterien an, unter welchen Umständen ein Gegenüber als Feind zu
beurteilen ist. Feind ist derjenige, der per autoritativer Setzung des
Souveräns zum Feind erklärt wird. Zur Feindschaft gehört nach Schmitt die
Möglichkeit der Vernichtung des Feindes: „Die Begriffe Freund, Feind und Kampf
erhalten ihren realen Sinn dadurch, daß sie insbesondere auf die reale
Möglichkeit des physischen Tötung Bezug haben und behalten.“[8][8]
Trotz der offenkundigen Nähe des von ihm vertretenen Feindstrafrechts zu dem
Freund-Feind-Schema von Schmitts hat Jakobs diesen Autor lange nicht zitiert
und erst auf kritische Vorhaltungen damit reagiert, er verstehe anders als Schmitt
nicht den Andersartigen (hostis) als
Feind, sondern den gefährlichen Verbrecher (inimicus).[9][9]
Das Konzept eines speziellen
„Feindstrafrechts“ vermischt – dieser Hinweis sei dem strafrechtlichen Laien
gestattet – zwei zu trennende Disziplinen, nämlich die Aufgaben der
Gefahrenabwehr als einer typischen Funktion der Polizei und die Aufgaben des
Strafrechts, die in der Sanktion begangener und nachgewiesener Straftaten
bestehen.
Die Rezeption Schmittscher Konzepte für die
Verteidigung des Staates gegen terroristische Anschläge reicht inzwischen über
das Strafrecht hinaus. So wird etwa darüber diskutiert, unter welchen
Voraussetzungen im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr gegen den
Terrorismus auch militärische Mittel, also der Einsatz der Bundeswehr im
Innern, über Art. 35 II, III, 87a II GG hinaus unterstützend zulässig sein
soll.[10][10]
Die traditionelle Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit sei durch
die Guerillataktik des modernen Terrorismus zunehmend obsolet geworden. Deshalb
müsse nach geeigneten Abwehrinstrumenten zur Verteidigung des Rechtsstaates
gesucht werden, die dieser neuen Lage gerecht werden könnten.
Auf der Suche nach Legitimation für diese
Erwägungen in der staatsrechtlichen Literatur glaubte Schäuble, fündig geworden
zu sein. In dem bereits genannten ZEIT-Interview[11][11]
verwies er auf das Buch des Kölner Staatsrechtlers Otto Depenheuer
„Selbstbehauptung des Rechtsstaates“.[12][12]
Diesem Hinweis geht Hetzer ausführlich
nach. Er kommt dabei zu der Feststellung, dass ein Kreis von Rechtslehrern des
Staatsrechts wie des Strafrechts die juristischen Instrumente der Abwehr des
internationalen Terrorismus zunehmend darin findet, an die politischen Lehren
Carl Schmitts und seine Thesen zum staatsrechtlichen Ausnahmezustand anzuknüpfen.
Er bezieht sich dabei vor allem auf Otto Depenheuer, dessen Lehrer Josef
Isensee sowie Günter Jakobs und dessen Schüler Michael Pawlik, die sich
insoweit übereinstimmend auf die Lehren Schmitts zum Ausnahmezustand und zum
Freund-Feind-Schema stützen.[13][13]
Den gemeinsamen Ausgangspunkt der Genannten sieht Hetzer in der These Carl
Schmitts „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“[14][14],
mit der er die erste Auflage seiner „Politischen Theologie“ 1922 eröffnet. Die
traditionelle Funktion des Begriffs der „politischen Theologie“ besteht
erfahrungsgemäß darin, dass sie geeignet ist, die Politik zu theologisieren,
also mit religiöser Weihe auszustatten, und die Theologie zu politisieren.
Schmitt hatte sich damit in die erste Reihe
einer Folge von Romantikern des Ausnahmezustandes gestellt. Sein gesamtes
autoritäres Leitbild des Staates beruht auf der Grundannahme eines Souveräns,
der in der Ausnahmelage des staatsrechtlichen Notstandes frei von normativen
Bindungen entscheiden könne. Hetzer verweist darauf, dass Schmitt nach dem 30.
Juni 1934 in seiner Rechtfertigung der ersten Massenmordbefehle Hitlers mit
einem Artikel „Der Führer schützt das Recht“[15][15]
ein praktisches Beispiel für die weite Verwendbarkeit dieser These gegeben hat.
Dort heißt es zu diesem von Hitler befohlenen Massaker:
„Der Führer
schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der
Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht
schafft … Der wahre Führer ist immer auch Richter. Aus dem Führertum fließt das
Richtertum … In Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit.“
Für Schmitt war mit dem Führerprinzip als
dem obersten Verfassungsprinzip des NS-Staates die Konzentration auf Hitler,
den Souverän, und damit der permanente Ausnahmezustand verwirklicht.
In der Anleihe bei dieser
Souveränitätslehre Schmitts für die Gegenwart sieht Hetzer das Risiko, dass
ihre Vertreter aus der Tatsache einer dauerhaften Bedrohung durch den
internationalen Terrorismus einen permanenten verfassungsrechtlichen
Ausnahmezustand zu konstruieren versuchen. Michael Stolleis,
Direktor des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, meint dazu
kritisch: „Die Angst phantasiert den
Ausnahmezustand herbei.“[16][16] Das
erscheint angesichts der verwendeten Argumente nicht als abwegig.
Hetzer weist darauf hin, dass in den
letzten Jahren eine Reihe von Themen in die Diskussion geraten sind, die bis
dahin als unverrückbare Grundpositionen der Verfassung galten, etwa die
Relativierung der Menschenwürde, eine mögliche Aufweichung des Folterverbots,
ein neues Feindrecht und ähnliche Grundwerte (S. 178ff.). Die entscheidende
Frage lautet demnach: Kann der demokratische Rechtsstaat gegen seine
terroristische Negation verteidigt werden, ohne seine rechtlichen Prinzipien zu
verraten?
So meint etwa Depenheuer, das Grundgesetz
sei für den terroristischen Ernstfall nicht gerüstet. Der internationale
Terrorismus unterlaufe das System des bestehenden, den realen Gefahrenlagen
inadäquaten Sicherheitsverfassungsrechts.[17][17]
Das Luftsicherheitsgesetz dokumentiere ein verdrängtes Problembewußtsein, weil
der Gesetzgeber die Erlaubnis zur Waffeneinwirkung auf ein entführtes
Zivilflugzeug nur als eine polizeiliche, nicht aber eine militärische Antwort
auf die terroristische Gefahrenlage verstehen wolle. Der Terrorismus werde als
ein Fall gewöhnlicher Kleinkriminalität behandelt. Das Bundesverfassungsgericht
habe mit seiner Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit des
Luftsicherheitsgesetzes die rechtliche Asymmetrie im Kampf gegen den Terror
noch verschärft. Die Gründe der Entscheidung enthalten nach Depenheuer eine
Kapitulation des Staates gegenüber terroristischen Angriffen, gleichsam eine
Einladung an die Terroristen, ihre Taten in Deutschland mittels unschuldiger Geiseln
zu planen und fortzusetzen. Dieser ‚Staat der Menschenwürde‘ gebe sich bei de
Konfrontation selber auf und das auch noch im Namen der Menschenwürde.[18][18]
Für ihn ergebe sich aus der Realität der Ausnahmelage („des Ernstfalles“), dass
in einer solchen Situation die Rechtsordnung teils suspendiert, teils im Kampf
gegen die „Feinde des Rechts“ instrumentalisiert werde.
Hetzer schildert anschaulich und
alarmierend zugleich den Begriff des terroristischen Feindes bei Depenheuer.
Dieser,insbesondere der „islamistische Feind“, achte weder die Säkularität des
Staates noch das Verbot privater Gewaltanwendung, und zwar aus religiösen
Motiven, wegen des innerstaatlichen Kampfes um die religiöse Wahrheit. Daraus
folge die grundsätzliche Alternative: Entweder werde dieser Feind trotzdem in
der Rechtsordnung gehalten und als normaler Straftäter behandelt oder er werde
– wie in den USA praktiziert – außerhalb derselben gestellt und einem
speziellen Feindrecht unterworfen. Das deutsche Recht kennt zwar nach Depenheuer
noch keinen „Feind“ in diesem Sinne. Aber zwischen den beiden Alternativen sei
eine Konvergenz zu beobachten. Auch die USA stellten den feindlichen
Terroristen nicht völlig rechtlos. In Deutschland entwickele sich subkutan
unter den allgemeinen juristischen Begriffen ein spezielles
Gefahrenabwehrrecht, in dem die latente Ausnahmelage normativ erkennbar werde.
Staatstheoretisch sei es möglich, den Feind des Rechtsstaates durch die
Rechtsordnung auch als Feind zu qualifizieren und ihn damit außerhalb des Rechts
(„hors-de-la-loi“) zu stellen. Verfassungstheoretisch habe dieser Feind keinen
Anspruch, nach Maßgabe der Rechtsordnung behandelt zu werden: „Und er hat diesen Anspruch deswegen nicht,
weil er sie bekämpft.“[19][19]
In diesem Ausschluss des Feindes aus dem
Recht liege nach der Dialektik Depenheuers sogar eine Anerkennung seiner Würde.
Der Terrorist werde so als Überzeugungstäter ernst genommen und gerade deswegen
als Gefahr für die staatliche Gemeinschaft bekämpft. Für Hetzer ist die
Erwähnung Guantánamos die phänomenologische Chiffre für die Rechtlosigkeit der
gefangenen Feinde. Sie seien keine Rechtssubjekte mehr, sondern hätten nur noch
ihr „nacktes Leben“. Die Sicherungsverwahrung in solchen Lagern ohne
Rechtsschutz sei danach eine verfassungstheoretisch mögliche Antwort im Kampf
der rechtsstaatlichen Zivilisation gegen die Barbarei des Terrorismus.
Zustimmend zitiert Depenheuer seinen Kollegen Gerd Roellecke: „Feinde bestraft
man nicht. Feinde ehrt und vernichtet man.“[20][20]
Der Staat ‚fingiere‘ zwar den
terroristischen Feind als Rechtssubjekt, erkenne seine Menschenwürde an und
garantiere ihm den Schutz der Grundrechte. Aber nach Depenheuer gelte der Satz:
„Den Feind rechtlich nicht als Feind zu
behandeln steht im Ermessen der rechtsstaatlich verfaßten Gemeinschaft.“[21][21] Auch solche Feinde
seien zwar für das geltende Recht „Rechtspersonen“. Aber die einseitige
Einräumung von Rechtssubjektivität und gut gemeinter Verhältnismäßigkeit könne
leicht als dekadente Schwäche interpretiert und entsprechend beantwortet
werden. Deshalb sei nach Depenheuer ein verschärftes Gefahrenabwehrrecht
erforderlich: Maßnahmen der präventiven Sicherungsverwahrung, die vorsorgliche
Internierung potentiell gefährlicher Personenkreise sowie eine „rechtsstaatlich
domestizierte“ Zulässigkeit des Folterns. Die Bereitschaft des Rechtsstaates,
Menschenwürde und rechtsstaatliche Garantien auch denen zuzuerkennen, die sie
mit Füßen treten, und verachten, sei ein Sicherheitsrisiko. Die künftig immer
neu erforderliche Abwägung von Sicherheitsbedürfnissen und Freiheitsansprüchen
könne auch anders ausfallen.[22][22]
Anschließend erläutert der Autor Hetzer aus
seiner Sicht die geistesgeschichtliche Entwicklung der vorstehend geschilderten
juristischen Positionen zur Abwehr des Terrorismus. Als geistigen Ahnherrn und
Paten, auch Verführer zum Feindrecht und Feindstrafrecht in allen
Schattierungen macht er in drei Abschnitten (X-XIII, S. 211-239) vor allem Carl
Schmitt, den Starjuristen des Nationalsozialismus im Staatsrecht und der
Staatsphilosophie aus. Er analysiert besonders dessen Äußerungen nach dem 30.
Juni 1934[23][23],
seine Lehre zur Souveränität und Ausnahmezustand[24][24]
sowie seine Freund-Feind-Unterscheidung als Maßstab des „Politischen“.[25][25]
1936 hatte Schmitt für den nationalsozialistischen Rechtsstaat, den er als
„gerechten Staat“ definierte, die Forderung aufgestellt, der überholte
rechtsstaatliche Grundsatz „nulla poena sine lege“ müsse durch den
‚Gerechtigkeitsgrundsatz‘ „nullum crimen sine poena“ ersetzt werden. Die
Schmittianer, die jetzt vermeintlich für die Selbstachtung und Selbstbehauptung
des Rechtsstaates gegenüber dem Terrorismus eintreten, sollten die Leitsätze
ihres Mentors dabei im Gedächtnis haben.
Der Autor Hetzer konnte sich bei der
Rekapitulation und Analyse der Schmitt’schen Analyse auf die vorhandenen
Vorarbeiten stützen. Unverkennbar macht er die geistesgeschichtlichen Wurzeln,
die staatstheoretischen Dimensionen und die freiheitsrechtlichen Risiken der
neueren Vorschläge zu einer weiteren Verschärfung des „Gefahren-abwehrrechts“
und der parallel dazu geforderten Erweiterung der Sicherheitspolitik deutlich.
Man kann vielen Einschätzungen des Autors
kritisch und skeptisch gegenüber stehen. Er regt mit seinem engagiert,
bisweilen polemisch geschriebenen Buch zum vertieften Nachdenken über die
komplexe gegenwärtige Situation der Sicherheitspolitik in Europa und weltweit
an. Einfache Lösungen der anstehenden, drängenden Probleme sind nicht sichtbar.
Die Erfahrungen mit den speziellen „Feindrechten“ in zwei deutschen Diktaturen
des 20. Jahrhunderts sind eine bleibende Warnung vor Anleihen bei den geistigen
Urhebern und Konstrukteuren der juristischen Unrechtsinstrumente jener Epochen.
Speziell an ausgeklügelten Instrumenten des Feindstrafrechts hält die jüngere
deutsche Rechtsgeschichte abschreckende Sammlungen von Beispielen bereit. Auch
die Abstufungen der Rechtsfähigkeit und der Rechtssubjektivität im Zivilrecht
und Staatsrecht („Rechtsstandschaft“), die Rassegesetzgebung, die
Sonderrechtsverordnungen besser: Unrechtsverordnungen für Juden und Zigeuner,
die Polenstrafrechtsverordnung u. v. a. sollten vielleicht etwas mehr
Sensibilität und Wachsamkeit gegenüber allzu forschen Forderungen nach neuen
Notstandsgesetzen bewirken. Dazu leistet das Buch einen beachtenswerten Beitrag.
Konstanz Bernd
Rüthers
[1][1]
Zu den Gründen vgl. die Zitate bei Reinhold
Michels. Otto Schily. Eine Biographie. Deutsche Verlags-Anstalt, 2001.
[2][2] Europäische Verlagsanstalt, 2003.
[3][3]
Das
Buch ist die Ergänzung zu einem von seinem Lehrer Josef Isensee herausgegebenen
Band „Der Terror, der Staat und das Recht“ (Berlin 2004). Vgl. auch Otto Depenheuer, Das
Bürgeropfer im Rechtsstaat, in: Ders.Deppenheuer, O.,
(Hrsg.), FS-Isensee Staat im Wort, Heidelberg 2007, S. 43, 50.
[4][4] Günther Jakobs: Kriminalisierung im Vorfeld einer
Rechtsgutsverletzung. In: Zeitschrift
für die gesamte Strafrechtswissenschaft 97 (1985), S. 751–785.
[5][5]
Günther Jakobs: Bürgerstrafrecht
und Feindstrafrecht. In: HRRS 3/2004, S. 88–95.
[6][6] Am 1. Januar 1945 wurde noch das „Gemeinschaftsfremdengesetz“ erlassen. Zweck des Gesetzes: Wer sich nach Persönlichkeit und Lebensführung, insbesondere wegen außergewöhnlicher Mängel des Verstandes oder des Charakters außerstande zeigt, aus eigener Kraft den Mindestanforderungen der Volksgemeinschaft zu genügen, sollte als Gemeinschaftsfremder polizeilich überwacht, sterilisiert, in Lagerhaft genommen und gegebenenfalls mit dem Tode bestraft werden können. ( N. Frei, Der Führerstaat, München 1989, S. 148). Maßgeblicher wissenschaftlicher Inspirator des Gesetzes war der Münchener Strafrechtsprofessor Dr. Edmund Mezger, nach 1945 Autor eines Standardlehrbuches zum Strafrecht der Bundesrepublik.
[7][7] C.
Schmitt, Der Begriff des Politischen,
zuerst in: Archiv
für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik Bd. 58 (1927), S. 1 bis
33; Neudruck München/Leipzig 1932.,
[8][8] C. Schmitt, 1932, S. 20; vgl. dazu B.
Rüthers, Carl Schmitt als politischer Denker, Zeitschrift für
Rechtsphilosophie, 1/2003, 634, 66 f.
[9][9] G. Jakobs, Feindstrafrecht? – Eine
Untersuchung zu den Bedingungen von Rechtlichkeit, in: HRRS Ausgabe 8-9/2006,
S. 294.
[10][10] W. Schäuble, ZRP 2007, 210, 213; vgl. auch
das Interview in DIE ZEIT, vom 19. Juli 2007, S. 4.,
[11][11] DIE ZEIT v. 19. Juli 2007 S. 4.
[12][12] O. Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaates,
Paderborn
2007.
[13][13] O. Depenheuer, Selbstbehauptung des
Rechtsstaates, Paderborn 2007, S. 20 ff.;
Josef Isensee: „Not kennt Gebot“ in: FAZ, 21. 1. 08; ders.Depenheuer (Hrsg.), Der Terror, der Staat und
das Recht, Berlin 2004; dersDepenheru,. Der Terror und
der Staat, dem das Leben lieb ist, in: ders. Depenheuer (Hrsg.), Der Terror, der Staat und
das Recht, Berlin 2004, S. 83-108; Michael Pawlik, Der Terrorist will nicht
resozialisiert werden, in: FAZ v. 25. Februar 2008, S, 40; Günter Jakobs,
Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutverletzung, ZStW 97 (1985), S.
751-785; ders.,Jakobs, Terroristen als Personen im
Recht, ZStW 117 (2005), S. 839-851; ders.,Jakobs, Feindstrafrecht – Eine Untersuchung zu den
Bedingungen von Rechtlichkeit, HRRS 2006, S. 239-297.
[14][14] C. Schmitt, Politische Theologie, München/Leipzig 1922.
[15][15] C. Schmitt, DJZ 1934, Sp. 943 ff.
[17][17] O. Depenheuer, Selbstbehauptung des
Rechtsstaates, Paderborn 2007, S. 22 f.
[18][18] O. Depenheuer, S. 26 f.
[19][19] W. Hetzer S. 198 f.; O.
Depenheuer, S. 60
ff.
[20][20] O. Depenheuer, S. 64.
[21][21] O. Depenheuer, S. 66.
[22][22] O. Depenheuer, S. 71 f., W. Hetzer, S.
200 f.
[23][23] C. Schmitt, DJZ 1934, Sp. 943 ff.
[24][24] C. Schmitt, Politische Theologie, München/Leipzig
1922
[25][25] C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, zuerst in: Archiv für
Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Bd. 58 (1927), S. 1 bis 33; Neudruck München /Leipzig 1932.