Henning, Eckart, 175 Fragen & Antworten rund um
die Historischen Hilfswissenschaften. Verlag BibSpider, Berlin 2009. 136 S., 26
Abb. Besprochen von Armin Wolf.
Das nützliche Bändchen dient
nicht allein Studenten zur Prüfungsvorbereitung, sondern richtet sich ebenfalls
an Historiker, Archiv- und Bibliotheksbenutzer sowie Museumsbesucher. Was
Henning „eiserne Ration“ nennt, ist durchaus anspruchsvoll und hat gleichzeitig
„einen gewissen Unterhaltungswert für gebildete Laien“. So ist z. B. zu
erfahren, was „mit Brief und Siegel“ bedeutet (eine beglaubigte Urkunde) und
woher die Redewendung „von echtem Schrot und Korn“ kommt (Gesamtgewicht und
Gewicht des Edelmetalls einer Münze). Wem ist bewusst, dass im Streit zwischen
Deutsch- und Lateinschrift der Reichstag 1911 die Zweischriftlichkeit weiterhin
zuließ, Hitler aber Anfang 1941 entschied, die deutsche Schrift und den Druck
in Fraktur zugunsten der lateinischen Buchstaben abzuschaffen (S. 88)? In meiner
Grundschule fand der Wechsel im Herbst 1941 statt.
Henning beginnt mit dem Titelblatt
der „Auxilia historica oder Behülff zu den Historischen und dazu erforderlichen
Wissenschafften“ des Benediktiners Anselm Desing aus dem Jahre 1741. Dazu
gehörte damals noch ein breites Feld von Disziplinen: Elementare Geographie und
Astronomie, historisch-politische Geographie der einzelnen Länder, ius
publicum, Universal-Historie, verschiedene Sprachen, Münzen, Chronologie,
alte Schriften in Urkunden, Wappen-Kunst, Genealogie, Politica, Historia
literaria, „allenthalben mit den Geschichten, politischen Zustand,
Absichten, Ansprüchen etc. derer Herrschafften … gezieret“ (9). Diese Liste
verrät, dass es sich ursprünglich um juristische Hilfswissenschaften handelte,
die sich erst später zu den „Historischen Hilfswissenschaften“ (Johann Christoph
Gatterer 1761) verengten: Diplomatik, Paläographie, Heraldik, Sphragistik
(Siegelkunde), Genealogie, Numismatik und Chronologie. Heinrich Meisner fügte 1935
die Aktenkunde hinzu. Henning erweitert diesen Kanon um Autographenkunde,
Phaleristik (Ordenskunde), Vexillologie (Fahnen- und Flaggenkunde) sowie
Titulaturenkunde. Auf diesen „Teil einer Archontologie bzw. Würdenträgerkunde“,
die Meisner zur „Geheimwissenschaft der Kanzleien“ erklärte und kaum
berücksichtigte (108), legt Henning mit Recht besonderen Wert: „Als Ausdruck
einer bestimmten Gesellschaftsstruktur setzen (die Titel) Historiker in den
Stand, jeweils aus den Quellen Rückschlüsse auf die soziale Stellung von
Absendern und Empfängern zu ziehen.“ (112) Aus einer Übersicht über die
Rangverhältnisse der preußischen Civilbeamten von 1890 ist zu erfahren, dass
„Regierungsräthe, … Forstmeister, Landgerichtsdirectoren, Oberlandesgerichts-,
Landesgerichts- und Amtsgerichtsräthe, … ordentliche Professoren und Directoren
der Gymnasien und gleichstehenden Anstalten“ gemeinsam der vierten (von fünf)
Klassen angehörten. Danach folgten vier weitere Klassen „Subalternbeamte“ (106).
Unverkennbar ist Hennings
Tendenz, die Historischen Hilfswissenschaften von ihrem an einigen Stellen
angesetzten Staub zu befreien und moderne Fragestellungen zu fördern. So
handelt das Kapitel Numismatik auch von Währungskrisen und dem Greshamschen
Gesetz, im Kapitel Sphragistik geht es bis zur digitalen Signatur, und die
Genealogie wird um Sozialgenealogie erweitert. Die traditionelle Genealogie von
Mannesstämmen wird um die schon von Otto von Dungern erkannten, bisher aber
kaum erforschten „Mütterstämme“ und „Töchterketten“ ergänzt, die rein weibliche
Filiationen untersuchen (58). Nicht erwähnt werden allerdings die erst jüngst
systematisch verfolgten „Tochterstämme“: Die Dynastie B ist ein Tochterstamm
der (traditionell als Mannesstamm verstandenen) Dynastie A, insoweit sie von
einer Tochter aus A abstammt. Die Rekonstruktion von Tochterstämmen erhellt Erbansprüche,
-streitigkeiten und -folgen. Die bekanntesten Beispiele sind: Die Staufer waren
als Nachkommen der Kaisertochter Agnes ein Tochterstamm der Salier, deren
Nachfolge sie beanspruchten und später auch erreichten. Als Nachkommen der
Kaiserin Maria Theresia waren die Lothringer ein Tochterstamm und Erben der
Habsburger (zunächst allerdings in Konkurrenz mit den Wittelsbachern als einem
älteren Tochterstamm der Habsburger).
Ein guter Einfall Hennings war
es, die einzelnen Kapitel jeweils mit einem kennzeichnenden Text oder Bild
einzuleiten, z. B. die Genealogie mit den dreimal vierzehn Generationen von
Abraham bis Jesus aus dem Matthäus-Evangelium (53). Deren Datierung im
Abbildungsnachweis sollte jedoch in einer wünschenswerten 2. Auflage korrigiert
werden (134), ebenfalls ein Teil der Angaben zum Julianischen und zum
Gregorianischen Kalender (42): Nach dem von Julius Caesar eingeführten Kalender
gab es nicht alle 128, sondern alle vier Jahre einen zusätzlichen Tag im
Februar. Die Reform durch Papst Gregor XII. im Jahre 1582 schaffte diese
Schalttage in den Jahrhundertjahren (1700, 1800, 1900 usw.) wieder ab, beließ
sie aber in den durch 400 teilbaren Jahren (1600, 2000 usw.). Mancher Leser
würde auch gerne erfahren, um wieviele Jahre die jüdische und die moslemische
Jahreszählung von der christlichen abweichen (44). Die Texte auf den Seiten 9,
37, 53 und 106 bieten eine gute Gelegenheit, sich im – in den Hilfswissenschaften
oft notwendigen – Gebrauch der Lupe zu üben.
Voll zuzustimmen ist
Hennings deutlichen Worten: „Ein Historiker, der keine Quellen mehr lesen kann,
ist kein Wissenschaftler, allenfalls Geschichtsvermittler aus zweiter Hand.“
(82)
Frankfurt am Main Armin
Wolf