Harris, Whitney R., Tyrannen vor Gericht. Das Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem zweiten Weltkrieg in Nürnberg 1945-1946 (= Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 4 Leben und Werk - Biographien und Werkanalysen 11). BWV Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2008. XLV, 603 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Whitney R. Harris wurde in Seattle/Washington am 12. August 1912 geboren. Nach dem Studium an der University of Washington und der Promotion an der Universität von Kalifornien (1936) wurde er zur Anwaltskammer in Kalifornien zugelassen und in Los Angeles tätig. Während seines Kriegsdiensts im zweiten Weltkrieg wurde er zur besonderen Verwendung zum Office of Strategic Services versetzt und mit der Aufgabe betraut, Beweise für Kriegsverbrechen zu sammeln, so dass er im August 1945 dem Anklageteam um den Obersten Bundesrichter Robert H. Jackson am Kriegsverbrechertribunal von Nürnberg als ausgezeichneter Sachkenner zugeteilt werden konnte, wo er für die Anklage gegen Ernst Kaltenbrunner zuständig war und die Anklage gegen Gestapo und SD zu vertreten hatte.
Im Jahre 1948 kehrte er in die Vereinigten Staaten von Amerika zurück, übernahm eine Professur an der Southern Methodist University in Dallas und veröffentlichte 1954 ein Werk über das Nürnberger Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem zweiten Weltkrieg unter dem Titel Tyranny on Trial – The Evidence of Nuremberg mit einem Vorwort Robert H. Jacksons, der bald darauf am 9. Oktober 1954 starb. 1995 erschien eine zweite, um die anschließende Entwicklung ergänzte Auflage, 1999 eine dritte um ein Kapitel über den 1998 durch Statut ins Leben gerufenen Internationalen Gerichtshof erweiterte Auflage.
60 Jahre nach dem Beginn des ersten Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses fand im Jahre 2005 eine Gedenkveranstaltung in Nürnberg statt. Bei dem Empfang im Grand Hotel, das den Mitarbeitern des internationalen Militärtribunals als sozialer Treffpunkt gedient hatte, wurde von Harris, dem Präsidenten des Robert H. Jackson Centers und Christoph Safferling die Idee geboren, Tyranny on Trial der deutschen Öffentlichkeit leichter zugänglich zu machen. Daran schloss sich die Übertragung der englischen Teile durch Christoph Safferling und Ulrike Seeberger an. Hans-Peter Kaul, der bei der Begründung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag eng mit Whitney Harris zusammengearbeitet hatte, verfasste ein sehr persönliches Vorwort, Thomas Vormbaum stellte den Rahmen Leben und Werk aus der juristischen Zeitgeschichte zur Verfügung und der Berliner Wissenschafts-Verlag die verlegerische Umsetzung der vom Robert H. Jackson Center finanzierten Übertragung.
Aus Tyranny on Trial wurden dabei Tyrannen vor Gericht. Chronologisch beginnt der Verfasser mit dem Hintergrund. In den vier Kapiteln Verhandlungen, Anklagen, der Griff nach der Macht und die Festigung der Macht schildert er sachlich an Hand vieler Dokumente, wie Adolf Hitler mit seiner Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei in Deutschland an die Macht kam und sie rechtswidrig gegen jeden, der sich ihm in den Weg stellte, nutzte.
In den Teilen zwei bis vier werden die einzelnen Anklagepunkte sorgfältig dargelegt, wobei das Verbrechen des Angriffskriegs in den Kapiteln fünf bis dreizehn vom Blut unserer Söhne bis zum Bündnis zum Angriff dokumentiert wird. Die Kapitel vierzehn bis dreiundzwanzig weisen Kriegsverbrechen von Sollen die Gefangenen doch umkommen bis zum Mesny-Mord nach. Die Kapitel vierundzwanzig bis zweiunddreißig legen Verbrechen gegen die Menschlichkeit von der Endlösung bis zu Hitler vor Gott dar.
Teil fünf schildert so genau wie möglich das Ende. Es reicht von Adolf Hitlers letzten Tagen in Berlin bis zum Verfahren. Genauestens werden die Verhaltensweisen der einzelnen Angeklagten wiedergegeben.
Teil sechs setzt sich mit den rechtlichen Grundlagen ausführlich und eindringlich auseinander. Wichtigster Punkt ist die Rechtswidrigkeit des Angriffskriegs. Der Verfasser bejaht sie aus tiefster Überzeugung zum Wohle der gesamten Menschheit.
Damit gelangt er am Ende zur Gerechtigkeit nach Nürnberg. Sie hat im Internationalen Strafgerichtshof einen wichtigen Sieg erreicht. Zwar ist er noch nicht vollkommen, aber ohne die Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg und ohne das beeindruckende Werk von Whitney R. Harris wäre er kaum möglich gewesen, so dass jedermann dem Verfasser und allen seinen Unterstützern dauerhaft zu großem Dank verpflichtet ist.
Innsbruck Gerhard Köbler