Grochowina, Nicole, Das Eigentum der Frauen. Konflikte vor dem Jenaer Schöppenstuhl im ausgehenden 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 28). Böhlau, Köln 2009. IX, 451 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die im Sonderforschungsbereich 482 (Ereignis Weimar-Jena - Kultur um 1800) an der Universität Jena entstandene, von Georg Schmidt, Siegrid Westphal und Hans-Werner Hahn begutachtete, geschichtswissenschaftliche Habilitationsschrift der 2001 in Hamburg mit einer Untersuchung über Indifferenz und Dissens in der Grafschaft Ostfriesland im 16. und 17. Jahrhundert promovierten, an Recht und Rechtswirklichkeit interessierten Verfasserin. Sie ist allen gewidmet, die der Verfasserin gezeigt haben, dass Martin Buber trotz allem Recht hat. Geschmückt ist sie mit den nicht besonders aussagekräftigen Blättern 244 und 246 von Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Schöppenstuhl, Nr. 2575.
Die Verfasserin geht in ihrer Einleitung von einem Diktum Ernst Ferdinand Kleins in seiner Schrift Freiheit und Eigentum aus, dass Eigentum ein unverletzliches Menschenrecht sei. Eigentum als Menschenrecht erforderte nach ihrer daraus gezogenen Folgerung seine konzise, umfassende und nachvollziehbare rechtliche Bestimmung, um eine Verletzung des Eigentumsrechtes bei Bedarf zügig vor einem ordentlichen Gericht verhandeln zu können. Dazu gehörte es auch, durch einen Rechtsprozess Eigentumsansprüche in faktische Eigentumsrechte umzuwandeln.
In diesem Rahmen beschreibt die Verfasserin zunächst Forschungsstand und Fragestellung, wobei sie in Verpflichtung gegenüber kulturgeschichtlich orientierten Theoremen und unter Erweiterung bisheriger Perspektiven die Lücke zwischen den theoretischen Konzeptionen zur Eigentumskultur und den umfangreichen Quellen aus der Rechtspraxis schließen will. Tatsächliche Grundlage sind 10124 in Jena zwischen 1780 und 1800 angefertigte Gutachten (etwa 500 pro Jahr), die alle für die Untersuchung herangezogen werden. Die Ausdifferenzierung nach Geschlecht zeigt dabei insgesamt, dass in gut 25 Prozent der Fälle Frauen klagten oder verklagt wurden.
Auf dieser Grundlage beleuchtet die Verfasserin im zweiten Teil ihrer Arbeit den Jenaer Schöppenstuhl in der frühneuzeitlichen Gerichtslandschaft. Insbesondere geht sie auf die beteiligten Gutachter ziemlich ausführlich ein (Johann August von Hellfeld, Johann Ludwig Schmidt, Johann Bernhard Christoph Eichmann, Justus Christian Ludwig von Schellwitz, Karl Friedrich Walch, Johann Ludwig von Eckhardt, Johann August Reichardt, Gottlieb Hufeland, Friedrich Erst Carl Mereau, Andreas Joseph Schnaubert, Gottlob Eusebius Oeltze). Daneben behandelt sie auch die Rahmenbedingungen der Rechtsprechung am Jenaer Schöppenstuhl (Stellung innerhalb der Universität, Konkurrenz in der Rechtsprechung, Position im juristischen Diskurs, Konsulenten), ohne dass die Dissertation Kriebisch, Angela, Die Spruchkörper Juristenfakultät und Schöppenstuhl zu Jena - Strukturen, Tätigkeit, Bedeutung und eine Analyse ausgewählter Spruchakten. Lang, Frankfurt am Main 2008. 361 S. CD-ROM im Verzeichnis von Quellen und Literatur aufscheint.
Kern der Arbeit ist die Ausgestaltung der Eigentumskultur durch Eigentumsprozesse. Als Grundvoraussetzungen sieht die Verfasserin dabei Eigentum als konstitutives Element frühneuzeitlicher Gesellschaft und die Bestimmung von Eigentumsbeziehungen durch Eigentumsprozesse. Auf dieser Grundlage verfolgt sie den Zugang zu Eigentum (Erben, Verträge, Schenkungen, Gewinne, Verfahrensregeln, Vormundschaft, Blödsinnigkeit und listiges Einreden, Wahl der Rechtsmassen, Stand, unklare Eigentumsrechte, Eigentumsbeziehungen und der Zugang zu Eigentum), den Schutz von Eigentum (Erben, Testamente, Verträge, Vergleiche, Schenkungen, Schulden, Blödsinnigkeit, Rechtsmassen, besondere Rechte von Frauen, Eigentum in der Ehe, Stand, Eigentum und Status, Eigentumsrechte und allgemeiner Nutzen, nicht-dingliche Rechte, Urteile anderer Schöppenstühle, Eigentumsbeziehungen und Schutz von Eigentum) und den Verlust von Eigentum (Interzessionsverbot, besondere Rechte von Frauen, Verfahren, Rechtsmassen, Testamente, Verträge, Schenkungen, Erbe, Emotionen, Verlust von nicht-dinglichen Eigentumsrechten, Eigentumsbeziehungen und Verlust von Eigentum).
Nach ihrem Fazit bestätigt sich in den Gutachten des Jenaer Schöppenstuhls nicht nur die Bedeutung des Eigentums als gesellschaftsstiftendes Element, sondern lässt sich hier auch die Genese der Eigentumskultur nachzeichnen. Die Analyse unterschiedlicher Konflikte um den Zugang von Frauen zu Eigentum zeigt ihr, dass durch die Jenaer Juristen grundsätzlich eigenständige - durchaus willkürliche - Einzelentscheidungen gefällt wurden. Insgesamt bildeten die von ihr beschriebenen Eigentumsbeziehungen für sie das Bindeglied zwischen den Vorstellungen einer Eigentumskultur, die das Eigentum in Diskurs, in Normen und in der alltäglichen Auseinandersetzung in den Mittelpunkt rückte, und einer Rechtskultur, in der diese Eigentumsbeziehungen ausgestaltet wurden.
Insgesamt wird man es begrüßen können, dass rechtliche Quellen auch das intensive Interesse von Nichtjuristen finden, weil deren Betrachtungsweise immer auch den Horizont erweitern kann. Allerdings wird eine Studie dabei umso überzeugender ausfallen können, je sicherer sich der Betrachter in der Welt des Rechts bewegen kann. Wenn dies überzeugend gelingt, wird nicht nur die Rechtssprechung des Umschlagtextes vermieden werden können, sondern wird auch das Ergebnis überzeugen, wie der Spagat zwischen zeitgenössischen Vorstellungen über das Geschlechterverhältnis und die Eigentumsfähigkeit von Frauen auf der einen Seite sowie juristischen Normen und fakultativ anzuwendenden Rechten auf der anderen Seite gelang.
Innsbruck Gerhard Köbler