Gottwald, Dorothee, Fürstenrecht und Staatsrecht im 19. Jahrhundert. Eine wissenschaftsgeschichtliche Studie (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 241). Klostermann, Frankfurt am Main 2009. IX, 289 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die mit einer Anfangsseite eines Hausgesetzes für das fürstliche Haus Reuß jüngerer Linie auf der Außenseite geschmückte Arbeit ist die im Wintersemester 2003/2004 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Frankfurt am Main angenommene Dissertation, der von Michael Stolleis nach Frankfurt eingeladenen und dort intensiv betreuten, von den Diskussionen im Doktorandenseminar, beim Stipendiatenkaffee und in den Büros und Fluren des Instituts für europäische Rechtsgeschichte fachlich und intellektuell geprägten Verfasserin. Sie gliedert ihre Untersuchung in sechs Abschnitte. Fürstenrecht ist ihr das Recht des Hochadels, weshalb sie mit der Außenperspektive auf den Hochadel, mit dem traditionellen nichtstaatlichen Recht und der Wissenschaftsgeschichte des Fürstenrechts beginnt.

 

Im zweiten Abschnitt fragt sie nach dem Fürstenrecht im Rahmen der Probleme mit der Deutschen Bundesakte und findet eine Spur zu Werken seit den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts. Sie sieht die Behandlung der Rechtsverhältnisse des hohen Adels als eigenes Rechtsgebiet als Folge der sich anbahnenden Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht. Im Ergebnis gelangt sie zu der Einsicht, dass der hohe Adel als Stand in der Wissenschaft seit 1815 keinen Platz gefunden hatte und dass für sein Recht die alten Konstruktionen noch ihren Zweck erfüllten.

 

Im dritten Abschnitt stellt sie für das germanistische Fürstenrecht zwei grundlegende Deutungsmuster vor 1865 nebeneinander. Georg Beseler strebte eine Einbindung der hochadeligen Familie in die Genossenschaftslehre an. Carl Friedrich Gerber wandte sich demgegenüber sowohl vom Herrscherprivatrecht der früheren Staatsrechtslehre wie auch von der genossenschaftlichen Vorstellung Beselers ab und entwarf auf der Grundlage einer wissenschaftlich-systematischen Betrachtungsweise eine neue Konzeption, die auf dem Willen als grundlegender kleinster Einheit aufbaute, was ihn zur Einstufung der hochadeligen Familien als nur soziale Vereinigungen führte.

 

Der vierte Abschnitt wird einleuchtend unter die Überschrift Konsens und Schweigen gestellt. Im Mittelpunkt steht hier Hermann Schulze mit seinen verschiedenen Werken zum Fürstenrecht. Am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert erfolgt die Auflösung des Fürstenrechts.

 

In ihren Ergebnissen unterscheidet die Verfasserin insgesamt vier Entwicklungsphasen, wobei besonders intensive Diskussionen in den vierziger Jahren, angestoßen durch die Verunsicherung über den Stellenwert der Rechtsquellen des Fürstenrechts, und seit den neunziger Jahren, beeinflusst durch die politisch-methodischen Veränderungen in der Staatsrechtswissenschaft, stattfanden. Von 1815 bis in die 1840er Jahre wurde das Fürstenrecht auf öffentliches Recht und Privatrecht verteilt. In der Mitte der sechziger Jahre gerieten die genossenschaftlich-ständische Lehre Beselers und die etatistische Vorstellung Gerbers in einen unlösbar scheinenden Gegensatz, doch gelangte die Rechtswissenschaft zur Einordnung der Genossenschaftslehre in das Staatrecht, womit der Hochadel als geschlossener Stand aufrechterhalten werden konnte, ohne eine Gefahr für den monarchischen Staat zu bilden. Zum Ausdruck kam diese verbindende Lösung besonders bei Hermann Schulze.

 

Insgesamt war das Fürstenrecht während des ganzen 19. Jahrhunderts das Recht einer bedrängten Elite und eines verfassungsmäßig problematischen Standes. Zentrales Anliegen der Rechtswissenschaft war es, die inneren Integrationsprobleme des Standes zu bewältigen und ihn dem Staat unterzuordnen. Da dies ab 1890 nicht mehr möglich war, bildete nach der überzeugenden Ansicht der Verfasserin die Abschaffung des Hochadels am Ende des ersten Weltkriegs nur die klare Lösung von einer überholten Vergangenheit.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler