Georg Friedrich Puchta. Briefe an Gustav Hugo, hg. mit einer Einleitung und einem Nachwort von Jakobs, Horst Heinrich (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte - Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 242 = Juristische Briefwechsel des 19. Jahrhunderts). Klostermann, Frankfurt am Main 2009. V, 316. Besprochen von Lieselotte Jelowik.
Die Briefedition ist eine glückliche Ergänzung der vor einigen Jahren erschienenen Puchta- Monographie von Hans-Peter Haferkamp, die Gerhard Köbler in dieser Zeitschrift unlängst besprochen hat (ZRG, German. Abt. 125 [2008], S. 794-797). Der Band enthält 73 Briefe Puchtas an Hugo aus den Jahren 1826 bis 1843. Dem Gesamtumfang der Korrespondenz Puchtas mit Hugo dürfte diese Zahl freilich nicht entsprechen: Für die Zeit vor 1826 und für die Jahre von 1829 bis 1832 sind - vermutlich verlustbedingte - Lücken zu beklagen. Schon der unvermittelte Einstieg Puchtas in einen fachlichen Diskurs in dem ersten hier abgedruckten Brief vom 17. Juni 1826 lässt auf eine lückenhafte Überlieferung schließen. Über Ursprung und Beginn der „Brieffreundschaft“ (S. 13) erfährt der Leser also nichts. Vor allem aber wegen des Fehlens der Gegenbriefe Hugos, die es „aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr gibt“ (S. 5), sah sich der Herausgeber in einem „editorischen Dilemma“ (S. 6). Dass er seine Bedenken „hinsichtlich der nicht anders als einseitig zu nennenden Veröffentlichung“ (S. 5) schließlich, wenngleich, wie er mehrfach betont, nicht restlos, überwunden hat, ist mit Blick auf den Gewinn für die Wissenschafts- und Gelehrtengeschichte nur zu begrüßen.
Für Puchta war der Briefwechsel mit Hugo vor allem ein Forum des intensiven Austausches über die Wissenschaft vom römischen Recht. Dabei gibt er sich anfangs betont selbstkritisch und bescheiden (S. 33: „Für das reine R[ömische] R[echt] habe ich doch zu wenig Kenntnisse“; S. 41: „ ... ich habe kaum im römischen Recht das Nothdürftigste gethan“) und räumt freimütig Wissenslücken ein, später mischen sich belehrende und kritische Töne in seine Briefe. Immer aber geht es um laufende oder geplante Arbeitsvorhaben, die Puchta detailliert vor seinem Briefpartner ausbreitet. So nehmen sich die meisten seiner Briefe selbst wie Abhandlungen über das römische Recht und seine Geschichte aus.
Wie ein roter Faden durchziehen Äußerungen Puchtas über Savigny und sein Verhältnis zu diesem die Korrespondenz. Es findet sich kaum ein Brief, in dem der von ihm Verehrte nicht allgegenwärtig ist. Jakobs kleidet diesen Befund in seinem Nachwort in einen überaus treffenden Vergleich (S. 260f.). Offensichtlich mit tiefer innerer Befriedigung und kaum verhohlenem Stolz betont Puchta mehrfach (S. 162, 219) die zeitversetzte Übereinstimmung („Coincidenz“) seines Lebenslaufs und akademischen Werdegangs mit dem Savignys. Zwar bedauert er, und hier schließt er Hugo ein, „Ihrer beider Schüler nicht gewesen zu seyn“ (S. 219), und es ist ihm durchaus „ein Compliment ... , daß die Leute glauben, ich sey ein Schüler von Savigny“ (S. 218). Zugleich fühlt er sich - wohl im Bewusstsein der eigenen Größe - von dem „Prädikat, Savigny’s Schüler zu seyn, ordentlich verfolgt“ (S. 236). Seinen Briefpartner Hugo hofiert er mit der Versicherung, dieser habe sich „mehr Mühe um (s)ein Wissen gemacht als Savigny“. Zu der Frage nach Hugos „dauernder Wirksamkeit“ freilich äußert er sich verhalten (S. 194). Zwar räumt er ihm einen exponierten Platz in der Gelehrtengeschichte ein; mit ihm beginne „die Reihe der (selbständigen) deutschen Civilisten“ (S. 247). Das Verdienst, „Reformator einer Wissenschaft“ zu sein, spricht er ihm dagegen mehr oder weniger ab (S. 194).
Bevorzugter Gegenstand des Briefwechsels waren – wie dies bei wissenschaftlichen Korrespondenzen dieser Zeit allgemein der Fall zu sein pflegte – der Meinungsaustausch über neue Bücher und die beiderseitige Rezensionstätigkeit. Puchta betrachtete sich selber als begnadeten Rezensenten („Ihnen zum Trotz werde ich dabey bleiben, daß meine Rezensionen gut sind“ – S. 205). Das früh begonnene „Recensentenhandwerk“ (S. 202) blieb über den gesamten Zeitraum des Briefwechsels immanenter Bestandteil seines literarischen Schaffens. Nahezu ständig bestrebt „zu suchen, wen ich zerreiße“ (S. 29), hatten diejenigen, die ihm vor die „Recensirfaust“ kamen (S. 42), nichts zu lachen. Dies brachte ihm den Ruf des „schärfsten und strengsten Kritikers dieser Zeit“ ein (S. 201). In der Tat war Puchta in seinem Urteil über die von ihm besprochenen Bücher und deren Verfasser nicht gerade zurückhaltend, wie er überhaupt eine Vorliebe für das zeigte, was er selbst sein „collegialisches Raisonniren“ nannte (S. 13), das in fast keinem seiner Briefe fehlt. Häufig äußerte er sich mit drastischen Worten abfällig über Fachkollegen. So bezeichnete er Sintenis ungeniert als „Lump“ (S. 189), Buchholtz als „Schwachkopf“ (S. 224) und Mühlenbruch als „widerwärtigen Gesellen“ (S. 190). Selbst an Thibaut wetzte er seine – nach seinen eigenen Worten – „böse Zunge“: Seiner Meinung nach waren dessen „Gedanken nicht sehr tief“ (S. 197). Hugo mag mehr als einmal den schroffen Urteilen Puchtas widersprochen haben.
Bei allem Respekt vor der wissenschaftlichen Lebensleistung Puchtas, menschlich erscheint er, so wie er sich in seinen Briefen darstellt, dem Leser nicht sonderlich sympathisch. Diesem Eindruck vermag sich auch der Herausgeber nicht zu entziehen und ihn treibt die Sorge um, die Veröffentlichung der Briefe könnte das Persönlichkeitsbild Puchtas beschädigen und bewirken, „dass der Respekt, der ihm gebührt, eine Minderung erleidet“ (S. 10). Geleitet von der These, „dass unsere Arbeit durch unseren Charakter gekennzeichnet ist“ (S. 10), spürt Jakobs in seinem Nachwort mit dem Untertitel „Über den Ursprung und die Entwicklung seiner Theorie eines Juristenrechts“ dem Charakter Puchtas nach (S. 251ff.). Er lässt es dabei nicht bei dem Eindruck bewenden, den die Briefe selbst zur Genüge vermitteln, sondern greift in chronologischer Abfolge auf Puchtas Schriften, angefangen von dessen „Civilistischen Abhandlungen“ aus dem Jahre 1823 bis zu seiner Beseler-Rezension von 1844, zurück, obwohl ihm bewusst ist, dass dessen Charakterbild „aus seinen publizierten Texten allenfalls nur viel blasser und jedenfalls weit umständlicher sich gewinnen läßt“ (S. 9). Zugleich ist dem rechtstheoretischen Abriss wohl eine integrative Funktion insofern zugedacht, als er Puchtas Briefe vor dem Hintergrund seines literarischen Schaffens erscheinen lässt, quasi eine Art Klammer zwischen beidem schafft. Im Ergebnis gelangt Jakobs zu einem Persönlichkeitsbild, das durchaus geeignet ist, den Respekt vor Puchta, nicht aber die Sympathie für ihn zu befördern. Von Überheblichkeit (S. 305), Arroganz (S. 271) und blind machendem Stolz (S. 292) ist ebenso die Rede wie von den ungemeinen geistigen Fähigkeiten Puchtas (S. 287), von seinem Wirken als „unablässiger, zügiger Arbeiter“ (S. 279) und als „ungewöhnlich erfolgreicher Lehrer“ (S. 305). Über Jakobs’ abschließendes Urteil, wonach Puchta durch seinen Charakter „ein Professor, wie aus einem Bilderbuch über die deutsche Universität des 19. Jahrhunderts“ war (S. 305), wird man danach freilich geteilter Meinung sein dürfen.
Jakobs hat sich entschlossen, die Briefe für sich sprechen zu lassen. Der knapp gehaltene wissenschaftliche Apparat beschränkt sich auf Literaturangaben zu den im Text erwähnten Büchern, Aufsätzen und Rezensionen Hugos, Puchtas und Dritter. Auf Erläuterungen zu Personen, Ereignissen und juristischen Materien wurde dagegen bewusst verzichtet. Lediglich sind die in den Briefen genannten Personen mit Lebensdaten und knappen Angaben zu ihrem beruflichen Werdegang im Anhang aufgeführt (S. 307-316).
Halle (Saale) Lieselotte
Jelowik