Gall, Lothar, Walther Rathenau. Portrait einer Epoche.Beck, München 2009. 299 S., 51 Abb. Besprochen von Hannes Ludyga.
Die
biographische Forschung besitzt in den Rechtsgeschichts- und Geschichtswissenschaften
Hochkonjunktur. Es ist auch ein Verdienst des emeritierten Historikers Lothar
Gall, dafür gesorgt zu haben, dass der wissenschaftlichen Biographie die ihr
gebührende Rolle in der Geschichtsforschung zukommt. Gall, der als Bismarck-Biograph
außerhalb des wissenschaftlichen Fachpublikums bekannt wurde, verfasste die gut
lesbare, informative und optisch ansprechend ausgestattete Biographie „Walther
Rathenau. Portrait einer Epoche“. Er griff damit ein bekanntes Thema auf, da die
Untersuchung des Lebensweges von Walther Rathenau, der zu den bedeutendsten
Persönlichkeiten der deutschen Demokratie überhaupt gehört, bereits Gegenstand
diverser Abhandlungen bildet. So bezeichnete etwa bereits Sebastian Haffner (1907-1999)
Rathenau als eine zerrissene Figur in einem zerrissenen Zeitalter und eine
schwer fassbare sowie einschätzbare Persönlichkeit in seinem erstmals posthum im
Jahre 2000 erschienen Werk „Geschichte eines Deutschen“.
Gegliedert
ist das Buch in die vier großen Kapitel „Die Kräfte des Aufbruchs und der
Dynamik“ (S. 11-45), „Sprachrohr und Repräsentant des kulturellen Aufbruchs“
(S. 46-130), „Grenzgänger zwischen den Welten“ (S. 131-174) und „Der Erste
Weltkrieg: Das Ende aller Erwartungen und Versuch eines pragmatischen
Neuanfangs“ (S. 175-248). Eine Zusammenfassung und ein Ausblick schließen das
Werk, dem umfangreiche und reichhaltige Literatur- sowie Quellenbestände
zugrundeliegen. Auch wenn es sich insoweit ausschließlich um bereits gedrucktes
Material handelt, beschränkt sich der Autor nicht auf eine Kompilation des
vorhandenen Materials. Ebenso hängt er keiner stark psychologisierenden
Biographik an.
Der
1867 geborene Walther Rathenau kam aus einer liberalen deutsch-jüdischen
Bankiers- und Unternehmerfamilie. Nach dem Abitur am Königlichen
Wilhelms-Gymnasium in Berlin studierte er an der Berliner Universität
Philosophie, Chemie sowie Physik und wurde 1889 über die „Absorption des Lichts
in Metallen“ promoviert. Wegen seines jüdischen Glaubensbekenntnisses durfte er
1891 kein preußischer Offizier werden. Der Verfasser behandelt das Verhältnis
von Rathenau zur jüdischen Religion und erklärt, dass „Rathenau das Auftreten
und Verhalten, die ganzen Erscheinungsformen der großen Mehrzahl der Juden“
„geißelte“, „die den schlimmsten antisemitischen Hetzschriften entnommen zu
sein schienen“ (S. 62). Gleichzeitig schreibt er, dass Rathenau die
„Benachteiligungen der Juden auf vielen Lebensgebieten das ,reifste Unecht‘
unserer Zeit“ nannte (S. 145). Tatsächlich verfolgte Rathenau, was nachhaltig
zu betonen ist, keine rassistischen Stereotype, sondern appellierte an die
Assimilation von Juden in ihrer jeweiligen Heimat. Er träumte von einer deutsch-jüdischen
Symbiose und litt selbst sein Leben lang unter Antisemitismus.
Im
preußischen Kriegsministerium baute Rathenau, der seit 1912 Aufsichtsratsvorsitzender
der von seinem Vater Emil (1838-1915) gegründeten AEG war, zwischen August 1914
und März 1915 die Abteilung Kriegsrohstoffe auf. Früh suchte er gleichzeitig
Wege nach einem Verständigungsfrieden. Im 1. Kabinett Joseph Wirth (1879-1956)
vom Zentrum in der Weimarer Republik war Rathenau Reichsminister für den
Wiederaufbau von Mai bis Oktober 1921. Seine Ernennung zum Reichsaußenminister
erfolgte im Januar 1922. Auf seinem Personalbogen vom 15. Februar 1922 schrieb
er zu der Frage „Zu welcher Konfession bekennen Sie sich?“ treffend: „Diese
Frage entspricht nicht der Verfassung“. Rathenau, der der DDP angehörte, war an
einer Entspannung der außenpolitischen Lage interessiert und unterzeichnete den
Vertrag von Rapallo mit der Sowjetrepublik zur Normalisierung der Beziehungen
zwischen beiden Staaten. Am 24. Juni 1922 wurde er in der Berliner Königsallee auf
dem Weg zum Auswärtigen Amt von Mitgliedern der Organisation „Consul“ ermordet,
woraufhin die aus rechtshistorischer Perspektive so bedeutenden Diskussionen
über die Republikschutzgesetzgebung folgten. Auch der Mord an Rathenau war ein
Zeichen für den krisenhaften Zustand der Weimarer Republik. In Berlin wurden Gedenkfeiern
für Rathenau wegen befürchteter Ausschreitungen und Randale von rechtsradikalen
Studenten abgesagt. Es bestanden Verbindungslinien zwischen dem Mord an
Rathenau 1922 und der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar
1933. Verbindungen und Kontinuitäten bot etwa der Antisemitismus, da Rathenau
aus antisemitischen Motiven heraus ermordet worden war.
Das
Werk Galls ist keine reine Personengeschichte, sondern bietet das Portrait
einer Epoche. So beschreibt der Autor umfassend den „bürgerlichen Aufbrauch“
zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem Ausbruch des 1. Weltkriegs. Der
Autor gibt einen tiefen Einblick in die Aufbruchsstimmung sowie Umwälzungen zu
Beginn des 20. Jahrhunderts, wobei er insoweit auch an eigene grundlegende
Forschungen anknüpfen kann. Gleichzeitig bildet es ebenso ein Verdienst des
Verfassers, die Vielfältigkeit des Menschen Rathenau aufgezeigt zu haben.
München/Münster Hannes
Ludyga