Fried, Johannes, Das Mittelalter. Geschichte und Kultur, 3. Aufl. Beck, München 2009. 606 S., 70 Abb. Besprochen von Karsten Ruppert.

 

Ein Buch über das Mittelalter ist der kühne Versuch, die Geschichte der lateinischen Christenheit vom Ende der Antike bis an den Vorabend der Reformation in einem Band zur Synthese zu bringen. Der renommierte Mediävist Johannes Fried gehört zu denjenigen, denen man ein solches Wagnis zutrauen kann.

 

Mit einem solchen Unternehmen verbinden sich zwangsläufig die Probleme der Auswahl, der Schwerpunktsetzung und des inneren Zusammenhangs. Fried löst diese, indem er weitgehend dem gängigen chronologischen Schema mit einer Schwerpunktsetzung auf den politischen Ereignissen folgt. Es wird allerdings immer wieder in beträchtlichem Umfange auf kulturelle, kulturgeschichtliche, alltagsgeschichtliche und auch sozialgeschichtliche Aspekte eingegangen. Freilich ist der Wechsel zwischen den Räumen und zwischen den jeweiligen Gegenständen oft abrupt. Für Laien, an die sich ein solches Werk ja vor allen Dingen richtet, wären für das Verständnis der Zusammenhänge überleitende und verbindende Ausführungen hilfreich gewesen. Das Buch wäre dann weniger eine Sammlung von Essais und mehr eine zusammenhängende Darstellung. Zu viele Ereignisse und Phänome werden zu erratisch, nur für sich abgehandelt. Wie sie entstanden sind und welche Folgen sie hatten, erfährt der Leser öfters nicht.

 

Darüber hinaus hält es sich der Verfasser im Vorwort zugute, dass er Trends, Strukturen und Typologisierungen vermieden habe, dafür ereignisgeschichtlich, aber exemplarisch erzähle, die Ereignisse um einzelne Personen, nicht um soziale Typen gruppiert. Damit nimmt er aber die bereits aufgezeigten Mängel in Kauf. Ein solches Vorgehen ist eben nicht nur subjektiv, sondern auch fragmentarisch, ihm fehlt die innere Geschlossenheit.

 

Was Frieds Werk vor vergleichbaren Versuchen auszeichnet, ist die umfangreiche Berücksichtigung der Kulturgeschichte in dem weiten Sinne, wie diese seit etwa 20 Jahren verstanden wird. Folglich legt er auf solche Dinge wie Symbole, Kommunikation, Riten und Memoria einen besonderen Wert. Wenn man die Bedeutung solcher Formen für eine zunächst weitgehend schriftlose Kultur durchaus konzedieren kann, so erscheint doch die Bedeutung, die ihnen eingeräumt wird, überzogen angesichts der Tatsache, dass wirtschaftliche und soziale Fragen in diesem Buch kaum eine Rolle spielen. Dieser Einwand gilt trotz des Untertitels; denn auch im Mittelalter lässt sich Politik doch kaum weniger aus den Realitäten als aus der Kultur erklären.

 

Das Buch zeichnet einige deutliche Schwerpunktsetzungen und Wertungen aus. Kritische Worte findet Fried für die mit Otto dem Großen eingeleitete Kaiserpolitik. Er hält die Einmischung der deutschen Könige in die italienischen Verhältnisse für die gesamte Entwicklung des Deutschen Reiches für katastrophal. Hier seien, bei den Ottonen noch besonders deutlich symbolisiert in dem frühen Tode des Sohnes und des Enkels des ersten Sachsenkaisers, in Italien Kräfte und Energien für eine nutzlose Sache vergeudet worden, wodurch das deutsche Königtum deutlich geschwächt worden sei. Diese These unterstreicht Fried noch einmal besonders im Vergleich mit dem französischen Königtum, dessen Stärke er vor allen Dingen darauf zurückführt, dass es sich seit Hugo Capet auf das Mögliche beschränkt habe. Die nationale Konzentration wird also als der richtige Weg gepriesen. Hingegen sei die Italien- und Kaiserpolitik der Ottonen von ihren Nachfolgern, wenn auch nicht mit gleicher Intensität, immer wieder aufgenommen worden mit den allseits bekannten negativen Folgen.

 

So schlecht wie keine andere Gestalt im gesamten Buch kommt Barbarossa weg. Er wird geradezu niedergemacht. Fried wirft ihm nicht nur die Wiederaufnahme einer völlig verfehlten Italien- und Kaiserpolitik vor, sondern auch seinen miesen Charakter, gestützt vor allem auf Urteile von dessen Feinden. Der Kaiser sei herrschsüchtig, barbarisch, rücksichtslos, intrigant und egozentrisch gewesen. Darüber hinaus habe er sich mit Ratgebern gleichen Kalibers umgeben und habe unter anderem um von seiner Niederlage gegen den lombardischen Städtebund abzulenken, den Prozess gegen Heinrich den Löwen angestrengt und dessen Sturz bewirkt.

 

Den Mongoleneinfall von 1238 bis 1242 interpretiert Fried als einen „neuerlichen Impuls der Globalisierung“, weil dadurch der Horizont des lateinischen Europa erweitert worden sei und man eine erneute Vorstellung von der Größe der Welt bekommen habe. Eine solche Bewertung berührt doch eigenartig. Dazu kann man nur kommen, wenn man die diese Horizonterweiterung begleitenden Grausamkeiten ignoriert und auch das Empfinden der Zeitgenossen völlig zur Seite schiebt.

 

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Entwicklung und Tradition von geistigen Strömungen wie auch kulturellen und bildungsmäßigen Einrichtungen. Ihm sind wohl die Merowinger wie auch die Salier weitgehend zum Opfer gefallen.

 

In diesem Zusammenhang ist Fried ein besonderes Anliegen, die Rationalität und die Vernunftgeleitetheit des Mittelalters stets zu betonen und auch zu belegen. Damit steht er nicht allein und das kann im Grunde auch nicht zurückgewiesen werden. Aber, was Fried, vor allen Dingen, wenn er sich gegen die heutige Kritik an dieser Sicht wendet, allzu leicht übersieht ist, dass das, was er mit Rationalität meint, doch das Phänomen einer ganz kleinen Oberschicht gewesen ist. Insofern hat er zwar Recht, aber auch die Skeptiker liegen so falsch nicht, wie er meint.

 

Schon am Beginn des Buches feiert Fried Boethius als denjenigen, der dem Abendland die Vernunft gebracht habe. Eine Aussage, die in dieser Form überzogen ist und Boethius eine Rolle zuschreibt, die er niemals gehabt hat. Begründet wird dieses Urteil damit, dass Boethius mit dem „Organon“ des Philosophen Aristoteles dem „mit dem Griechischen nicht vertrauten Westen“ eine (wenn auch fragmentarische) lateinische Übersetzung vermacht habe. In einer nicht mehr nachvollziehbaren Einseitigkeit wird dieses Werk durchgehend zum Kronzeugen von Vernunft und Bildung im Mittelalter gemacht. „Die knappen Texte gaben, im rechten Augenblick, in dem der Vernunft verfallenen 10. Jahrhundert wiederentdeckt, ein Rüstzeug an die Hand, dessen Wert in Gold nicht aufzuwiegen war. Sie begleiteten das Mittelalter für lange Jahrhunderte, prägten seine Schüler von Schottland bis Sizilien, von Portugal bis Polen, und ermöglichten die abendländische Wissenschaft. Nicht Kaiser und Könige haben Europa groß gemacht, sondern der auf dieser Übersetzung gründende kategoriale Denkstil, der Gebrauch der ihm folgenden Vernunft.“!

 

Mit manchen Rätseln des Mittelalters muss aber wohl auch der Experte den Leser von heute alleine lassen. So bemüht er sich zum Beispiel nicht um die Erklärung eines von ihm ausführlich geschilderten Phänomens: dass nämlich die germanische Adelsgesellschaft nach ihrer Christianisierung einerseits sich in großem Umfange in frommen Stiftungen und christlichen Bräuchen hervortat, doch zugleich von einer erstaunlichen Brutalität und Gewaltbereitschaft war.

 

Etwas ratlos macht auch das 9. Kapitel „Triumph der Jurisprudenz“. Denn in ihm erfährt der Leser viel vom Mongoleneinfall, von Judenpogromen, von der politischen Entwicklung in den europäischen Königreichen des 13. und 14. Jahrhunderts, von Jurisprudenz allerdings so gut wie gar nichts!

 

Frieds Buch ist über weite Strecken in einem erstaunlichen Maße konventionell, da die politische Ereignisgeschichte in einem überraschend starken Maße im Mittelpunkt steht. An dem Urteil ändert auch nichts, dass neuere Forschung häufig eingearbeitet ist und manches in europäischer Perspektive beleuchtet wird. Denn dabei steht wiederum in erster Linie die Kirche und das Papsttum im Mittelpunkt, an zweiter Stelle schon das Deutsche Reich. Die Ereignisgeschichte ist aber gerade kein guter Ansatz, um eine Zusammenfassung von 1000 Jahren vorzulegen. Fried hat sich also nicht darum bemüht, eine geistige Synthese des Mittelalters vorzulegen, indem er Leitfragen über den gesamten Zeitraum verfolgt und ihn so anhand einiger Prinzipien oder durchgehender Phänomene zur Anschauung bringt wie dies andere nicht ohne Erfolg versucht haben.

 

Das Manko wird aber zu einem nicht geringen Teil wieder dadurch aufgewogen, dass das Buch anschaulich und kurzweilig geschrieben ist. Die Lektüre ist durchgehend fesselnd. Sie zeigt, dass der Autor von seiner Sache begeistert ist und dass er dies auch vermitteln kann. Mit Blick auf sein Publikum vermeidet er jeden wissenschaftlichen Jargon und reduziert die Fachterminologie auf das Notwendige. Immer wieder, wenn sich die Gelegenheit bietet, stellt er Bezüge zur Gegenwart her. Er zeigt Nachwirkungen von mittelalterlichen Denkvorstellungen, Prinzipien, aber auch von Ereignissen und Überresten auf. So wird dem Leser immer wieder deutlich gemacht, wo er Folgen und Zeichen von dem, was ihm geschildert wird, heute noch finden kann. In diesem Buch soll der Leser also nicht in erster Linie etwas lernen, dafür wird über vieles zu kursorisch hinweggegangen. Dafür gelingt es Fried, in vielen Passagen das Mittelalter zur Anschauung zu bringen und die Vertiefung in diese Vergangenheit zu einem intellektuellen Vergnügen zu machen.

 

Die Qualität der Abbildungen bleibt in einem nicht mehr nachvollziehbaren Maße hinter dem, was heute technisch möglich ist, zurück.

Eichstätt                                                                      Karsten Ruppert