Franquismus und Salazarismus - Legitimation durch Diktatur?, hg. v. Fernández-Crehuet López, Federico/Hespanha, António Manuel (= Das Europa der Diktatur 15 = Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 234). Klostermann, Frankfurt am Main 2008. VII, 752 S. Besprochen von Thomas Gergen.
Fast 30 Autoren gehen in dieser
Aufsatzsammlung der Frage nach der Legitimation durch Diktatur im Franquismus
sowie im Salazarismus auf den Grund. Dabei wird der Franquismus unter der
Überschrift „Recht als nützliche Fiktion“, der Salazarismus unter „schwache
Diktatur oder scheinrechtlicher Staat?“ betrachtet. Es stellt sich heraus, dass
der portugiesische Estado Novo und das Franco-Regime zwei ungleiche Diktaturen waren. Beide Regime
verband indes der Antikommunismus. Das Bündnis zwischen Portugal und Spanien
hatte überdies die Verhinderung eines möglichen Einmarsches der amerikanischen
Truppen in Portugal zum Hintergrund. Denn die iberische Halbinsel galt als
vorrangiger Stützpunkt der Vereinigten Staaten im Kampf gegen den Kommunismus.
Sowohl in Spanien als auch in Portugal
spielte die Armee eine wichtige Rolle. Während sich in Portugal ihr Einsatz
eher auf Gebiete außerhalb Portugals, d. h. auf die Kolonien, konzentrierte,
war das spanische Militär im Land selbst präsent. Der heutige Umgang mit den
Opfern der beiden Regime ist sehr umstritten. Während in Portugal das
Datenmaterial zwar einsehbar, aber noch keine Auseinandersetzung mit den Akten
des portugiesischen Militärs und der Polizei erfolgt ist, diskutiert die
spanische Justiz und Öffentlichkeit, ob und wie die Verbrechen der Franco-Zeit
zu verfolgen sind. Der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón verfolgt
Anklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die bekanntlich nicht
verjähren. Wie in lateinamerikanischen Militärdiktaturen ließ auch Franco seine
politischen Gegner entführen und verschwinden, weswegen noch heute unklar ist,
wo diese toten Gegner verblieben sind[1].
In beiden Ländern erfolgte „juristische Rationalisierung“, d. h. eine Trennung
von Politik und Justiz. Das Verwaltungsrecht stütze sich nicht auf ein
verfassungsgemäßes Handeln, und das Prinzip der Legalität wurde nicht in allen
Bereichen des Rechts eingehalten. Insbesondere auf den unteren Ebenen der
beiden Systeme herrschte, stets unter dem Vorwand verwaltungstechnischer
Rationalisierung, eine breite Unterdrückung.
Herausgearbeitet wird im Sammelband
ebenfalls, dass das Sozialrecht eine der größten Fiktionen des Franquismus
gewesen war, welches ab Mitte der 1950er Jahre durch das Verwaltungsrecht
ersetzt wurde. Das Sozialrecht entstand mit der nationalen Bewegung (Movimiento
Nacional) seit der Machtübernahme Francos. Bemerkenswert ist, dass im Gegensatz
zum Zivil-, Wirtschafts- oder Strafrecht das Sozialrecht nicht in ein
Gesetzbuch aufgenommen wurde. Schließlich beinhaltete das Sozialrecht nicht nur
Rechte, sondern auch Verpflichtungen, die im Ziel des Schutzes von Gemeingut
neu definiert wurden. Dazu Franco selbst[2]:
„Und was ist das Gemeingut? Aus welchen Klassen von Gütern setzt es sich
zusammen? Es gibt drei Güterklassen: Die spirituelle, die nationale und die
soziale. Aber diese drei Klassen widersprechen sich nicht gegenseitig, sondern
im Gegenteil, sie verbinden und ergänzen sich. Und dies ist unserem Movimiento Nacional zu verdanken: Denn
es hat diese spirituellen, patriotischen und sozialen Prinzipien unter den
Menschen und Ländern Spaniens verbreitet.“
Es ist sinnvoll, den Wiederaufbau des
Rechtssystems nach dem Bürgerkrieg bis zum Tod Francos und der Phase des
Übergangs zur Demokratie (transición) in mehrere Abschnitte einzuteilen. Der
erste Abschnitt ist die Periode vom Ende des Bürgerkriegs bis zum Ende des
Zweiten Weltkriegs. Danach folgt, von 1945-1951, eine Zeit der internationalen
Ausgrenzung. Von 1951-1956 traten erste intellektuelle Freiheiten und
kritisches Demokratiebewusstsein zu Tage. In der Phase von 1952-1962 spielte
die intellektuelle Jugend die Hauptrolle als eindeutige Opposition zur
Technokratie, in die sich die Diktatur unterdessen gewandelt hatte. Zwischen
1962 und 1969 wurde sowohl in Spanien als auch im Ausland viel über den
schwierigen Wiederaufbau des Rechtssystems veröffentlicht. In den letzten
Jahren zwischen 1969 und 1975 verschärfte sich die Unterdrückung des
Franco-Regimes. Gerade in dieser Zeit erstarkte die Opposition, welche in der
Zeit des Übergangs (transición) das Rechtssystem demokratisch gestaltete.
Das Personal in der Justiz wurde ständig
überwacht, Beförderungen jedes Angestellten setzten Tauglichkeitsgutachten
voraus. Die juristischen Fakultäten wurden gesäubert[3].
Die Vorstellung eines vereinten spanischen Vaterlandes, das mit dem Stichwort
der Hispanidad (Spaniertum) verbunden war, führte zur Zurückdrängung, ja sogar
zur Verneinung der Existenz anderer Nationen oder Kulturen innerhalb des
spanischen Staatsgebietes. Francos Politik negierte jegliche Art an Darstellung
baskischer, katalanischer, galicischer und anderer Kulturen; allein das
Kastilische war als spanische Landessprache anerkannt[4].
Neben den Themen Franco-Regime und Kirche sowie Verfassung beschäftigen sich
die Beiträge des vorliegenden Bandes mit dem Zusammenhang von Franco-Regime und
Arbeit. Die von der Regierung gewährten Rechte galten der Integration der
Arbeiter in die nationale Gemeinschaft, die in den Anfangsjahren des Regimes
als Arbeitergemeinschaft aufgefasst wurde. Dadurch war ermöglicht, alle
spanischen Bürger gleichzustellen, aber auch Hierarchien zu schaffen, die je
nach Tätigkeitsbereich der Beschäftigten zugrunde gelegt wurden. Die sozialen
Rechte wurden so angepasst, dass sie einer politischen, patriarchalischen und
autoritären Diktatur nützlich waren und sich vor allem der bestimmenden
sozialen Hierarchie anpassten.
Im Sammelband findet sich ein Artikel zur
spanischen Rechtsphilosophie während des Bürgerkrieges und des Franco-Regimes
(1936-1975) sowie über Aufzeichnungen zum Gesetz der spanischen
Aktiengesellschaften von 1951, mit dem sehr zaghaft das spanische Wirtschafts-
und Gesellschaftsrecht modernisiert wurde. Das „neue“ Sozialrecht sollte die
Grenzen von Privat- und öffentlichem Recht überwinden. Es kam zu weiten
Überlagerungen des Sozialrechts mit dem Zivil-, Handels- und Arbeitsrecht. Der
Staat sah sich aus Gründen des Gemeinwohls nicht nur berechtigt, äußerlich auf
den Produktionsprozess Einfluss zu nehmen, sondern obendrein auf die innere
Vertragssphäre der Parteien. Obwohl das zivilrechtliche Konzept des
Arbeitsvertrages nicht aufgehoben wurde, d. h. dass es grundsätzlich weiterhin
auf den schuldrechtlichen Bindungen zwischen Unternehmer und Bediensteten
basierte, schlossen Patron und Angestellte einen Vertrag, der auf gegenseitiger
Loyalität „im Dienste der Nation“ gründete. So lag dem neuen Inhalt des
Arbeitsvertrages die Vorstellung des Unternehmens als natürlicher Gemeinschaft
von Patron und Personal zugrunde. Ähnlich wie im Familienverband sollte der
Patron als Oberhaupt an der Spitze der Hierarchie stehen. Die franquistische
Industriepolitik war darüber hinaus gekennzeichnet durch staatlichen
Interventionismus, detaillierte Regelungen sowie rigorosen Dirigismus. Insofern
war die wirtschaftliche Ordnung Spaniens, ähnlich wie der italienische
Faschismus, dem „mediterranen Totalitarismus“ eingeschrieben.
Im Abschnitt über den Salazarismus in
Portugal kann man als politische Denkweise Salazars zunächst die Kriterien von
Thomas von Aquin zur Gründung des Staates im allgemeinen Interesse ablesen.
Nach Salazar sollte Portugal über einen nationalistischen Grundcharakter
verfügen mit den Attributen Ordnung, Autorität und Hierarchie sowie
Anti-Individualismus, der gegen eine aufkeimende Parteienpolitik gerichtet war.
Historische Strukturelemente der portugiesischen Nation wurden wieder belebt,
ein starker, moralischer Traditionalismus war präsent sowie eine Tendenz zur
staatlichen Bevormundung. Salazar stützte sich fest auf die kirchliche
Soziallehre und den kooperativen Staat, der in der Verfassung von 1933 explizit
auftaucht. Dabei ist zu beobachten, dass Salazar auch eine überseeische
Berufung proklamierte und die Wichtigkeit der militärischen Einrichtungen
betonte. Gott, Vaterland, Freiheit und Familie waren die Grundprinzipien des Estado Novo. Der Rechtsstaat hatte - wie
im übrigen Europa auch – in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stets Probleme
mit den sozialen Errungenschaften sowie der sozialen Lage der Arbeiterschaft.
Die portugiesische Verfassung von 1933, die auf dem Naturrecht und der
kirchlichen Soziallehre basierte, rief mit dem nationalen Arbeits-Statut eine
nationale, kooperative Wirtschaft ins Leben, die zwar kapitalistisch
grundgeprägt war, sich indes durch die Prinzipien der Solidarität eingeschränkt
sah. Vorgesehen waren ein „Solidaritätspakt“ zwischen Arbeitern und
Unternehmern, wofür die soziale Funktion des Besitzes sowie die Verbote von
Klassenkampf und Aussperrung sprachen. Um die Solidarität zwischen beiden
Gruppen zu fördern, wurden kollektive Vertragsabschlüsse anerkannt sowie
Syndikate als Elemente der kooperativen Organisation. Nicht zuletzt
entwickelten sich eine besondere Rechtsprechung und der spezielle
Arbeitsgerichtsprozess.
Erwähnenswert ist noch ein Beitrag zu den
Grundlagen des „Luso-Tropikalismus“. Damit ist die Ideologie Gilberto Freyres
gemeint über die Anpassung der Portugiesen an die Tropen, nicht etwa aus
wirtschaftlichen oder politischen Interessen, sondern aufgrund ihrer
angeborenen Empathie. Diese Theorie war besonders für den Estado Novo
ausgesprochen nützlich, denn es ging darum, zwischen Portugal und seinen
Kolonien bzw. der portugiesisch-sprachigen Welt eine Kultur- und
Migrationspolitik zu fördern. Dieses Integrationskonzept, in dem sich die
Portugiesen mit dem Rest der „Tropen“ durch geographische, biologische,
kulturelle und andere Gründe eins fühlen sollten, berief sich sogar auf das
portugiesische 15. Jahrhundert. Der Luso-Tropikalismus wurde sogar schließlich
zum Hispano-Tropikalismus erweitert und drückte die Verbundenheit zwischen den
Mutterländern Portugal und Spanien und ihren Kolonien und der
iberoamerikanischen und iberoafrikanischen Welt aus. Interessanterweise wurde
in den Anfangsjahren des Estado Novo die Idee Freyres zurückgewiesen, da dieser
eine „Rassenmischung“ befürwortete. Die einzige Idee, die akzeptiert wurde, war
die besondere Anpassungsfähigkeit der Portugiesen, in den „Tropen“ zu leben, d.
h. ihre natürliche Bestimmung für die Kolonialisierung in Übersee. Ab 1959
wurden die verschiedenen Werke Freyres durch die Botschaften, Konsulate und
portugiesischen Behörden verteilt, ja sogar ins Französische übersetzt. Salazar
kam es darauf an, die Unterschiede zwischen Mutterland und Kolonie zu
verwischen. Allerdings wurde den Einwohnern von Angola, Mozambique und Guinea
stets die portugiesische Staatsangehörigkeit verweigert.
Die vorliegenden Beiträge betreten in der
Forschung von Franquismus und Salazarismus und ihrer Beurteilung als autoritäre
Regime bzw. Diktaturen Neuland, indem sie nicht nur die
Verfassungswirklichkeit, Rechtsprechung und Ausbildung der Juristen, sondern
gleichzeitig auch die Medienwelt (Presse, Rundfunk, Kino) als Stützen der Macht
Francos und Salazars untersuchen. Daher bilden sie ein zeitnahes Spiegelbild
für die spanische und portugiesische Zeit- und Rechtsgeschichte, ja sogar für
die großräumig angelegte Diktaturforschung.
Marburg Thomas
Gergen
[1] Vgl. etwa als Resümee in der deutschen Presse: Paul
Ingenday, Nach uns die Inquisition. Soll Spanien die Verbrechen der Franco-Zeit
verfolgen? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ vom 23. Oktober 2008, S.
35).
[2] Francisco Franco und A.
Cisneros, Pensamiento pólitico de Franco, 1964, S. 78.
[3] Hierzu bereits
grundlegend: Patricia Zambrana
Moral/Elena Martínez Barrios, Depuración política universitaria en el primer
franquismo: algunos catedráticos de derecho, Barcelona 2001, 71 S. Vgl. Thomas
Gergen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (= ZRG)
German. Abt. 121 (2004), S. 895-898.
[4] Thomas Gergen, Sprachengesetzgebung in Katalonien,
Tübingen 2000, sowie Gergen, Sprachengesetzgebung in Katalonien in Geschichte
und jüngster Gegenwart, in: Revista de Llengua i Dret 49 (2008), S. 143-178.