Feindliche Nachbarn. Rom und die Germanen, hg. v. Schneider, Helmuth. Böhlau, Köln 2008. 314 S., Abb. Besprochen von Adrian Schmidt-Recla.

 

Der 2008 – also rechtzeitig vor dem Varus-Arminius-Bimillenniums-Jahr – erschienene Band vereinigt die Beiträge zu einer vom Herausgeber veranstalteten Kasseler Ringvorlesung im Wintersemester 2006/2007. Er empfiehlt sich für den am frühen Mittelalter interessierten Rechtshistoriker insbesondere wegen der Fortsetzung der Tacitus-Forschung durch Dieter Timpe.

 

Insgesamt versammelt der Band Beiträge namhafter deutscher Althistoriker, die sich mit dem Thema des wechselseitigen, vorwiegend kriegerisch ausgetragenen Kulturaustauschs zwischen dem Imperium Romanum und germanischen Ethnien seit der römischen Kaiserzeit auseinander setzen. Dabei schildern zunächst Helmuth Schneider und Rainer Wiegels die römische Perspektive bis zur Varusschlacht. Der Schwerpunkt liegt hier darauf nachzuprüfen, ob eine nachvollziehbare Germanienpolitik der römischen Kaiser ausgemacht werden kann. Sehr lesenswert ist die Skizze Reinhard Wolters über ein germanisches Volk (die Chatten) zwischen den nur vermeintlich klaren Fronten Römer/Germanen. Deutlich wird wie auch bezüglich der Rolle der Cherusker, dass wechselnde Zweckmäßigkeitserwägungen und wechselnder Rückhalt in der eigenen Bevölkerung die grundsätzlich romfreundlichen Oberschichten entweder in die Opposition oder die Koalition mit dem Imperium führten und dass es neben den kurzen Phasen militärischer Konfrontation lange Phasen friedlichen Nebeneinanders gegeben hat. Armin Becker und Thorsten Mattern beschreiben die handgreiflichen Überreste römischer Kastelle an Lahn und Lippe und zeigen den handgreiflichen Akkulturationsversuch des Imperium entlang der regelmäßig benutzten, antiken Infrastruktur in das Innere „Germaniens“. Dem friedlichen Handel zwischen den römischen Provinzen und germanischen Völkern ist der Beitrag Kai Ruffings gewidmet. Er stellt fest, dass das beiderseitige ökonomische Interesse so groß gewesen sei, dass auch kriegerische Auseinandersetzungen die wirtschaftlichen Kontakte nicht zum Erliegen brachten. Römische Grenzen waren nie gesperrt und sollten nie gesperrt sein für Germanen. Solche Aussagen sind es, die auch die Idee des Transfers von Recht bzw. Rechtsvorstellungen (der keineswegs nur in einer Richtung hat erfolgen müssen), untermauern können. Andreas Goltz widmet sich dem 2. Jahrhundert n. Chr., in dem das Imperium militärisch mehr und mehr in die Defensive geriet.

 

Dieter Timpe bereichert die unendliche Geschichte von Tacitus’ Germania um ein weiteres Kapitel. Es spricht der Schrift erneut zu Recht die Eignung ab, als Beweismittel für die angeblich bis in die Antike zurück reichende ethnische Identität der Germanen/Deutschen dienen zu können. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die spätantik-frühmittelalterliche Rechtsgeschichte: Die Germania ist kein verlässlicher Beleg für vermeintlich germanische Rechtsvorstellungen. Timpe spricht andererseits dem Ethnographen in Tacitus ernsthaftes und weit reichendes Interesse zu, das sich der literarischen Gattungsform (ethnographisch-geographische Monographie) ohne formalen Neuerungsanspruch einfügte, das sich aber auf mehr richtete als auf völkerkundliche Betrachtung. Die Germanen des 1. Jahrhunderts n. Chr. waren Nachbarn, historische Gegenspieler und Kontrast zum kaiserzeitlichen Imperium. Bei der Ausführung dieses Gedankens bezeuge die Germania aber nur „schlichte, altmodische Gedanken mit Spitzen, die nicht mehr stechen, des unverbindlichen Beifalls der Herrschaftsklasse gewiss und dem neuen Herrscher nicht gefährlich.“ So ist die Germania gattungsgebundene und gattungsgemäße ethnographische Beobachtung einerseits und politische Zeitkritik in Form des historischen Rückblicks andererseits. Nicht weniger – aber auch nicht mehr.

 

Komplettiert wird der Band mit Volker Losemanns tour de raison durch die historische Publizistik des 19. und 20. Jahrhunderts, insofern sie sich mit der Auseinandersetzung zwischen Rom und „den Germanen“ beschäftigt. Diese Betrachtung einer völkischen Geschichtsschreibung liegt im Trend der Zeit – viele rezente Publikationen weisen diese Perspektive auf. Losemanns vielleicht wichtigste Erkenntnis lautet, dass im Kontext der 1989er Parole von „Deutschland einig Vaterland“ keine neuerliche Vereinnahmung des Cheruskerfürsten Arminius erfolgte. Das stimmt auch für die Rechtsgeschichte des frühen Mittelalters hoffnungsfroh: Ein Rückfall in die „Sippen-“ und die „Blut- und Bodenromantik“ droht in der Berliner Republik nicht. Schließlich zieht Alexander Demandt Bilanz: „Trotz ihrer schließlich offenkundigen Überlegenheit im Felde verstanden sich die Germanen ohne Einbuße an Selbstachtung als Schüler der Römer, übernahmen zahllose zivilisatorische Errungenschaften, wählten das Latein als Schriftsprache und nicht das Gotisch der Wulfila-Bibel, übernahmen das Christentum, zunächst in der arianischen, später in der katholischen Form.“ Rezeption ist keine Schande – wer wüsste das nicht besser als Juristen.

 

Leipzig                                                Adrian Schmidt-Recla