Drecoll, Axel, Der Fiskus als Verfolger. Die steuerliche Diskriminierung der Juden in Bayern 1933-1941/42 (= Studien zur Zeitgeschichte 78). Oldenbourg, München 2009. X, 362 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Studie Drecolls ist Teil des Forschungsprojekts: „Die Finanzverwaltung und die Verfolgung der Juden in Bayern“ des Bayerischen Finanzministeriums unter Leitung des Münchner Historikers Hans Günter Hockerts und stellt die gekürzte und überarbeitete Fassung der Dissertation des Verfassers von 2005 dar. Die meisten Arbeiten zur „Arisierung“ befassten sich bisher primär mit der Liquidierung von größeren Unternehmen. Die vorliegenden Untersuchungen konzentrieren sich vornehmlich auf die Ausplünderung und Entrechtung der Masse der jüdischen Bevölkerung, die über kein nennenswertes Vermögen verfügte. Drecoll unterscheidet als Formen der wirtschaftlichen Verdrängung der Juden die sog. „wilde Arisierung“ jüdischen Vermögens in den Jahren 1933 bis Herbst 1938 und die berufliche Verdrängung der Juden und die fiskalische Entziehung jüdischen Vermögens seit Ende 1938. Entgegen dem Buchtitel befasst sich Drecoll nicht ausschließlich mit der Thematik der steuerlichen Diskriminierung der Juden, sondern bezieht mit Recht auch das „enorme Spektrum von Tätern und Akteuren“ der wirtschaftlichen Verdrängung der Juden und das Zusammenspiel der verschiedenen Herrschaftsträger (Gauapparate, Industrie- und Handelskammern, Gemeinde- und Bezirksverwaltungen, Gestapo, Finanzbehörden) im Verfolgungsprozess in seine Untersuchungen mit ein. Das erste umfangreiche Kapitel (S. 25-91) befasst sich mit der NSDAP und deren wirtschaftlicher Verfolgung in den Städten München und Nürnberg sowie in der ländlichen Region Unterfrankens. Ein besonders beschämendes Kapitel ist die Phase der „endgültigen Ausplünderung“ mit Hilfe der „Arisierungsstelle“ der NSDAP in München, des „Rhönfonds“ in Unterfranken und der vom Gauleiter Streicher initiierten sog. „Holzaktion“ in Nürnberg, die zu dessen Absetzung führte. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit der Beteiligung der Regional- und Kommunalverwaltungen an der Ausplünderung (S. 93-122) in den genannten Regionen. In dem Abschnitt „Überwachung und Entziehung von Emigrantenvermögen“ im Kapitel über die „Finanzverwaltung und Judenverfolgung“ geht es um die Handhabung der gegenüber der Weimarer Zeit verschärften Devisengesetzgebung und um die sog. „Reichsfluchtsteuer“ (S. 125-158). Bei der Einziehung konventioneller Steuern (S. 159-188) trat, worauf schon Fränkel in einem größeren Zusammenhang hingewiesen hat, die Tendenz in Erscheinung, das freie Ermessen bis zur Missbräuchlichkeit auszudehnen (S. 187). Fragen der Billigkeit und Zweckmäßigkeit waren nach dem Steueranpassungsgesetz vom 16. 10. 1934 nach nationalsozialistischer Weltanschauung zu beurteilen. Eine nahezu vollständige Kontrolle über jüdisches Vermögen verschaffte sich das NS-Regime durch zahlreiche gesetzliche Maßnahmen zwischen 1937 und 1939, an deren Durchführung außer der Finanzverwaltung das Devisenfahndungsamt, die Zollfahndung, die Kommunalbehörden und Parteistellen beteiligt waren. Die Sicherheitsverfügung nach § 37a des Devisengesetzes kam praktisch einer Enteignung gleich. Der zweite Teil des Werks: „Im Netz der Verfolger“ (S. 243-314) befasst sich mit der Verdrängung aus dem Beruf. Untersucht werden die „Ausschaltung“ jüdischer Viehhändler in Unterfranken, in ländlichen Gemeinden Oberbayerns sowie in Nürnberg und Mittelfranken, des Textilhandels in München und Nürnberg sowie des Hopfenhandels in Nürnberg und mit der Verdrängung jüdischer Ärzte in München und Nürnberg. Abschließend geht Drecoll auf die zahlreichen Nutznießer der vollständigen Ausplünderung sowie die psychosozialen Folgen bei den Betroffenen ein (S. 302-313). Die Studie belegt, dass auch die Finanzbürokratie die antisemitische NS-Politik aktiv unterstützte und sich zu einem unentbehrlichen Akteur der Judenverfolgung entwickelte. Für den Rechtshistoriker ist dabei die Praxis der Anwendung der steuer- und abgabenrechtlichen Normen und die rigorose Handhabung der Sicherungsanordnung von zentralem Interesse. Hierauf hätte die Studie noch detaillierter eingehen können. Die Normengeschichte ist von Drecoll entsprechend der Zielsetzung seiner Untersuchungen nur am Rande behandelt worden (vgl. S. 129ff., 189ff.), eine Thematik, die auch von der Rechtsgeschichte noch nicht umfassend aufgearbeitet worden ist.

 

Insgesamt ist die Lektüre des in den Fragestellungen breit angelegten Werks Drecolls, das immer auch die rechtlichen Grundlagen für die steuerliche Diskriminierung der Juden berücksichtigt, auch für den Rechtshistoriker ein Gewinn.

 

Kiel

Werner Schubert