Dostal, Caroline, 1968
– Demonstranten vor Gericht. Ein Beitrag zur Justizgeschichte der
Bundesrepublik. Lang, Frankfurt am Main 2006. 285 S. Besprochen von Gerhard
Köbler.
1968 änderte sich die Welt, wenn auch nicht grundlegend. Vor 1968 war der Staat meist und vielerorten allmächtig und seine Angehörigen übten sich trotz verschiedener außerparlamentarischer Protestbewegungen grundsätzlich in Unterwürfigkeit, Bescheidenheit und Ohnmacht. 1968 gingen viele Studierende auf die Straße, äußerten frei und laut ihre Ansichten und ließen sich vom Staat und seinen uniformierten Kräften nicht mehr ohne Weiteres einschüchtern, obwohl er mit Strafen drohte und tatsächlich Strafverfahren anhängig machte.
Die sich mit diesen Vorgängen befassende Arbeit ist die von Rainer Schröder betreute, im Sommersemester 2004 von der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin angenommene Dissertation der nach dem Studium in Paris, Heidelberg und Berlin von 1998 bis 1999 als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätigen Verfasserin. Sie gliedert sich in sechs Abschnitte. Hauptquellen für die Untersuchung sind zehn große juristische Fachzeitschriften mit den Jahrgängen von 1967 bis 1970 und die einschlägigen Kommentare.
Die Verfasserin beginnt ihre interessante Studie mit der historischen Ausgangslage, aus der sie Vereins- und Versammlungsrecht sowie das Verhältnis zwischen Versammlungsfreiheit und Strafrecht (Auflauf, Aufruhr, Landfriedensbruch) aufgreift. Danach betrachtet sie die Versammlungsfreieit in der Bundesrepublik Deutschland. Im Ergebnis stellt sie einleuchtend fest, dass vor 1968 eine intensive Auseinandersetzung mit dem Versammlungsrecht nicht stattfand.
Auf dieser Grundlage wendet sie sich den Demonstrationen des Jahres 1968 zu. Detailliert schildert sie den Verlauf der in Berlin beginnenden Veränderungen. Da trotz der radikalen Ziele nach ihrer Ansicht die Demonstrationen nicht aus dem Rahmen des damals üblichen Demonstrationsgeschehens fielen, findet sie die teils rigiden staatlichen Reaktionen recht erstaunlich.
Den Schwerpunkt legt die Verfasserin überzeugend auf die Versammlungsfreiheit in den Demonstrationsprozessen. Dabei geht sie auf die Grundsatzdiskussion ebenso ein wie auf das Verhältnis der Versammlungsfreiheit zu Verwaltungsrecht, Strafrecht und Zivilrecht. Im Ergebnis stellt sie fest, dass die Obergerichte mit der engen dogmatischen Handhabung des Verfassungsrechts wie des Strafrechts der Versammlungsfreiheit als aktivem politischem Teilhaberecht eine deutliche Absage erteilten.
Am Ende ihrer Darstellung geht die Verfasserin noch kurz auf die Strafrechtsreform und die Amnestie ein. Insgesamt ermittelt sie, dass die Juristen in der Auseinandersetzung mit der Versammlungsfreiheit von der Überbetonung des Staates abkamen, allerdings die Demonstrationsblockade nicht als legitimes politische Handlungsmittel anerkannten, einige aber auch einer Gesinnungsjurisprudenz im Sinne der Studenten zuneigten. Trotz kleinerer formaler Schwächen insgesamt eine ansprechende Untersuchung.
Innsbruck Gerhard Köbler