Dodd, Gwilym,
Justice and Grace. Private Petitioning and
the English Parliament in the Late Middle Ages. Oxford University Press,
Oxford 2007. XII, 374 S. Besprochen von Susanne Jenks.
Während
das englische Parlament in der Vergangenheit vornehmlich unter verfassungs-
oder verwaltungsgeschichtlichem Aspekt untersucht wurde, liegt das Augenmerk Gwilym
Dodds auf seiner Funktion als oberster, die Common-Law-Gerichte ergänzender
Gerichtshof mit exponierter Stellung im Rechtssystem. Im Mittelpunkt der
Untersuchung stehen vornehmlich private Bittschriften und Beschwerden, die das
Parlament vom 13. bis zum 15. Jahrhundert erreichten, doch wird auch auf von
den Commons eingereichte Petitionen eingegangen, da diese im Spätmittelalter
oftmals auf privaten Beschwerden basierten. Die Bittschriften und Beschwerden werden
eingehend analysiert und in einen größeren Kontext gestellt: Welchen
Stellenwert nahmen sie in der Arbeit des mittelalterlichen englischen Parlaments
ein? Wie veränderte sich das Parlament dadurch? Welche Einfluss hatten die parlamentarischen
Petitionen somit auf den mittelalterlichen Herrschaftsstil (governance) des
Königreiches im allgemeinen und die königliche
Jurisprudenz im besonderen?
Das
Buch ist in zwei annähernd gleich umfangreiche Abschnitte gegliedert. Der erste
Teil (Kapitel 2-6) beantwortet zentrale Fragen nach dem wann, warum und wie. Private
Petitionen an das Parlament tauchten vereinzelt 1275, seit 1278 dann in großer
Zahl auf, erlebten zwischen 1290 und 1330 ihre Blütezeit (wenn auch mit
erheblichen Schwankungen innerhalb dieser Phase) und im 14. Jahrhundert einen
deutlichen Rückgang, von dem sie sich dann aber im 15. Jahrhundert wieder einigermaßen
erholten, wobei seit den 1370er Jahren einige private Petitionen als Common
Petitionen deklariert wurden. Der Erfolg von privaten Petitionen hing selbstverständlich
vom Willen des Königs ab, und so war denn auch eine königliche Initiative (der
Wille, Fehlverhalten seiner Amtsträger zu bestrafen) Anlass für die ersten privaten
parlamentarischen Beschwerden. Das Feedback aus dem Königreich, das sich schon
bald auf alle möglichen Bereiche erstreckte, ermöglichte es dem König, seinen
Einfluss in den Grafschaften deutlicher zum Ausdruck zu bringen und den durch
die aristokratische Reformbewegung (1258-1260) eingetretenen Autoritätsverlust
wettzumachen. Allerdings standen nicht alle Könige den privaten Beschwerden und
Bittschriften gleich wohl gesinnt gegenüber, und gelegentlich verhinderten
politische Krisen die Beschäftigung mit den Petitionen im Parlament. Die im 14.
Jahrhundert zu beobachtenden Veränderungen im Rechtssystem (justices of the
peace, Ausweitung des Common Law, justices of assize; Kanzlei als
Billigkeitsgericht) boten den Bittstellern zudem eine Alternative.
Obwohl
die Befassung mit privaten Petitionen nicht zu den wichtigsten Aufgaben des
Parlaments zählte, bewirkte der Zustrom dieser Bittschriften und Beschwerden
eine Veränderung innerhalb des parlamentarischen Verwaltungsapparats. Die
ersten Bittschriften wurden bei einer zentralen Anlaufstelle (receiver)
vorsortiert und dann an zentrale Regierungsstellen weitergeleitet. Nur ein kleiner
Teil wurde König und Kronrat persönlich vorgelegt. Gegen Ende des 13.
Jahrhunderts wurden Gremien der triers oder auditors eingerichtet, die
(spätestens seit 1305) alle Petitionen beantworteten, bei denen keine
Rücksprache mit dem König gehalten werden musste. Ihre Hauptaufgabe war es, die
Petitionen auszusortieren, die von anderen Regierungsstellen außerhalb des
Parlaments entschieden werden konnten. Mitglieder des Klerus und des Adels
sowie Richter gehörten den Gremien an, zunächst zu gleichen Teilen. Seit etwa
der Mitte des 14. Jahrhunderts überwogen dann Kleriker und Adlige (darunter auch
Hochadelige). Im 15. Jahrhundert verloren diese Gremien an Bedeutung. Viele
Petitionen wurden nun direkt bei den Commons eingereicht, ein Trend, der sich
auch in der Formulierung der Bittschriften widerspiegelt.
Im
zweiten Teil (Kapitel 7-9) stehen die (englischen) Petitionen im Mittelpunkt:
Wer waren die privaten Bittsteller und Beschwerdeführer? Worum ging es in den
Petitionen? Wer verfasste sie? Obwohl die Mehrheit der Petitionen von
Individuen von Landbesitzern, Klerikern oder Kaufleuten eingereicht wurden,
beschränkt sich Dodd in seiner Analyse auf Bauern, Frauen und Mitglieder
der Aristokratie, weil er die Rolle des Parlaments als Forum für Petitionen aus
verschiedenen Bevölkerungsschichten abschätzen möchte. Bei den von Gruppen
eingereichten Petitionen konzentriert sich der Verfasser dann allerdings auf
die wichtigsten Gemeinschaften (religiöse, ländliche und städtische). Die
Petitionen, die im 14. Jahrhundert an Ausführlichkeit zunahmen und seit Mitte
des 15. Jahrhunderts überwiegend in englischer Sprache abgefasst wurden, lassen
sich in zwei Hauptgruppen gliedern: diejenigen, die ein vermeintliches Recht
einforderten, und diejenigen, die um einen Gefallen baten. Aufgrund zweier
Fallstudien (1324 beziehungsweise 1430-1435) differenziert Dodd diese Kategorien
genauer und zeigt auf, dass es im 15. Jahrhundert zu einer Spezialisierung kam,
weil jetzt Rechtsstreitigkeiten im Vordergrund standen.
Der erste
Teil des Buches ist chronologisch aufgebaut. Nicht alle Kapitel setzen die
gleichen Schwerpunkte, was allerdings auf die Quellenlage zurückzuführen ist,
die erheblich variiert. Die Erkenntnisse beruhen teilweise auf Fallstudien,
doch wird nicht immer deutlich, warum ein bestimmtes Parlament ausgewählt wurde.
So wird zum Beispiel die Frage nach der Effektivität der privaten Petitionen aufgrund
der im Parlament vom Februar 1324 eingereichten Bittschriften analysiert, wobei
offen bleibt, wie repräsentativ diese Versammlung für die gesamte Blütezeit
(1290-1330) war. Dennoch ist dieser Abschnitt des Buches sehr informativ: die
Wege, die Petitionen im Parlament nahmen, sind deutlich herausgearbeitet und
nachvollziehbar geschildert.
Der
zweite Teil löst sich von der Chronologie und bietet eine analytische Untersuchung
von Petitionen, die von Individuen beziehungsweise von Gemeinschaften
eingereicht wurden. Allerdings wird die Grenze hier nicht klar gezogen. So wird
die Petition, die von zwei Frauen zusammen mit Rittern, den Städten York und
Hull sowie der Grafschaft Yorkshire eingereicht wurde, im Kapitel „Individual
Petitioners“ abgehandelt, während andererseits private Bittschriften von
Klerikern bei den „Petitions from Communities“ besprochen werden.
Es ist
das Verdienst des Autors, die Bedeutung der Petitionen für das Parlament und
für die Rolle des Parlaments im Herrschaftssystem eindrucksvoll belegt zu
haben. Profitiert wurde dabei eindeutig von der Mitarbeit am Projekt Medieval
Petitions: A Catalogue of the „Ancient Petitions“
[http://www.nationalarchives.gov.uk/documentsonline/petitions.asp].
Einen Kritikpunkt
gibt es allerdings: Keine der fünf in Anhang 2 edierten Petitionen ist
fehlerfrei. So muss es zum Beispiel in Example 5 soit baille statt soit
bailis und oratrice Isabelle statt oratur Isabelle heißen.
Die Fehler erstaunen umso mehr, als der Verfasser explizit einem der hauptverantwortlichen
Mitarbeiter des Projekts für die Überprüfung der Edition dankt.
Dies
schmälert letztlich allerdings nicht den Wert des Buches, das wichtige
Einblicke in einen bislang vernachlässigten Aufgabenbereich des englischen
Parlaments gewährt.
Fürth Susanne
Jenks