Die Reichsstadt Frankfurt als
Rechts- und Gerichtslandschaft im römisch-deutschen Reich, hg. v. Amend,
Anja/Baumann, Anette/Wendehorst Stephan/Wunderlich, Steffen (= Bibliothek
altes Reich 3). Oldenbourg, München 2008. 303 S., Ill., graph. Darst., Kart. Besprochen von Reinhard Schartl.
Der zu besprechende Band enthält die 13
Beiträge der fünften Tagung des Netzwerks Reichsgerichtsbarkeit, die im
Dezember 2005 im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main stattfand. In
einer Einleitung erläutern die Herausgeber den Begriff Rechts- und
Gerichtslandschaft, der einen adäquateren Zugang zur juristischen Ebene der
spezifischen Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen des Alten Reichs ermöglichen
soll, als dies an Einheit, Widerspruchsfreiheit und Symmetrie orientierte
Forschungs- und Ordnungskonzepte vermögen. Der aus dem Fehlen klarer
hierarchischer Zuordnungen und Zwängen zu Verhandlung und Vergleich
resultierenden Vielschichtigkeit als einer für Recht und Gericht in der frühen
Neuzeit charakteristischen Eigenschaft habe die rechtshistorische Forschung
bislang verhältnismäßig wenig Rechnung getragen. Als Gegenstand der Betrachtung
sei die Reichsstadt Frankfurt vor allem deshalb ausgewählt worden, weil in ihr
viele Überlappungen, Spannungen und Wechselbeziehungen bestanden, die die
vielfältige Struktur und Dynamik der Rechts- und Gerichtslandschaft des Alten
Reiches gleichsam als Mikrokosmos abbildeten. Drei Beiträge befassen sich mit
der städtischen Rechtspflege. Dabei behandelt Michael Rothmann unter dem
Titel „Schulden vor Gericht: Die Frankfurter Messegerichtsbarkeit und der
Messeprozess in Mittelalter und beginnender Früher Neuzeit“ (S. 285-303) die
Besonderheiten des Prozesses in Messestreitigkeiten. Er stellt fest, dass es
zwar kein eigenes Messegericht gab, dass jedoch Messesachen von Schöffengericht
und Schöffenrat bevorzugt behandelt wurden. 1465 erlangte die Stadt das
kaiserliche Privileg, dass Messebesucher vor den städtischen Gerichten klagen
dürfen, was auch Klagen gegen auswärtige Messebesucher einschloss. Ferner fasst
Rothmann das Prozessrecht des 15. und 16. Jahrhunderts sowie nach der erneuerten
Reformation von 1611 zusammen und weist auf ein vereinfachtes Urkundsverfahren
vor dem Älteren oder dem Jüngeren Bürgermeister hin. Mit diesem vereinfachten
Verfahren befasst sich Gabriela Schlick-Bamberger in dem Beitrag “Die
Audienzen des Jüngeren Bürgermeisters in der Reichsstadt Frankfurt am Main. Ein
Untergericht als Spiegel des reichsstädtischen Alltagslebens im 18.
Jahrhundert“ (S. 15-38). Dazu liegen für die Zeit von 1726 bis 1806 fast 2000
Protokoll- und Beilagenbücher sowie mehrere tausend Anlagenblätter vor, die
bislang nicht ausgewertet worden sind. Ziel des Audienzverfahrens war eine
schnelle gütliche Einigung, doch hatte die Audienz in dem abgehandelten
Zeitraum, wie die Verfasserin vermutet, auch schon zuvor in Wechsel- und
Schuldangelegenheiten Gerichtsfunktion. Genauer untersucht hat sie das Jahr
1739, in dem 1156 Sachen vor den Jüngere Bürgermeister gebracht wurden. Sie
schildert dazu beispielhaft in den Kategorien Lohneinforderung,
Mietangelegenheiten, Schuld- und Wechselsachen sowie
Gewährleistungsangelegenheiten jeweils ein oder zwei typische, allerdings wenig
spektakuläre Streitfälle. Anja Amend untersucht unter der Überschrift
„Die Inanspruchnahme von Juristenfakultäten in der Frankfurter Rechtsprechung.
Zur Rolle der Spruchkollegien auf territorialer Ebene und ihre Bedeutung für
das Reich“ (S. 77-96) die Frage, ob die Spruchtätigkeit der herangezogenen
Kollegien als Teil der eigenen Rechts- und Gerichtsordnung oder als Eingriff in
eine quasi souveräne Frankfurter Staatlichkeit gesehen wurde. Sie wertete dazu 195
Verfahren beim Reichskammergericht aus dem Frankfurter Aktenbestand aus und
fand eine Aktenversendung an unterschiedliche Fakultäten in 17 (möglicherweise
nur 16) Fällen vor, was sie zunächst als Zeichen „einiger Beliebtheit“ der
Aktenversendung deutet. Eine Auswahl der Fakultäten wegen besonderer Spezialisierung
auf einem Rechtsgebiet (Frankfurt an der Oder für Wechselrecht) zeigte sich
dabei nicht. Die schließlich doch als restriktiv bezeichnete Einbindung
auswärtiger Juristenfakultäten in nur 9 % aller untersuchten Fälle deutet nach Auffassung der Autorin darauf hin,
dass die Aktenversendung als Einschränkung der obersten Gerichtsherrschaft
angesehen worden sei, wofür auch spreche, dass die Urteile der Spruchkollegien
in Frankfurt stets als eigene Entscheidung verkündet worden seien. Die geringe
Zahl lässt sich aber auch ebenso durch die von der Autorin gleichfalls erwähnte
zeitgenössische Kritik an der Aktenversendung wegen der entstehenden
Verfahrensverzögerung und der hohen Kosten erklären. Als Auswertung und
Fortführung seiner bisherigen Forschungsbeiträge geht der Judaist Andreas
Gotzmann unter dem Titel „Im Spannungsfeld externer und interner
Machtfaktoren. Jüdische Gerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Frankfurt am Main“
(S. 185-216) auf das Verhältnis zwischen der städtischen profanen
Gerichtsgewalt und den Autonomiebestrebungen der jüdischen Gemeinde auf dem
Gebiet der Rechtspflege ein. Das für religiöse Angelegenheiten einschließlich
des Familienrechts und des Erbrechts zuständige jüdische Gericht war allerdings
lediglich ein Schiedsgericht, dessen Sprüche nur durch ein Gelöbnis der
Parteien verbindlich wurden. Innerhalb der jüdischen Gemeinde oblag die Wahrung
der Ordnung dem Vorstand und dem Rabbinatsgericht, wobei die Rabbiner von der
Gemeinde durch befristete Verträge angestellt wurden, in denen auch die
Strafbefugnisse des Rabbiners geregelt waren. Gotzmann weist ferner auf die
interessante Tatsache hin, dass die jüdische Gemeinde ein Messegericht
unterhielt, in dem auch auswärtige Rabbiner saßen, was den Verdacht der
Parteilichkeit vermeiden sollte. Der Autor schildert die Versuche der jüdischen
Gerichte, die Gemeindemitglieder von der Anrufung der nach wie vor auch in
Streitigkeiten unter Juden zuständigen städtischen Gerichte abzuhalten, und die
der Gerichtsgewalt der städtischen Gerichte widersprechende Praxis, Strafen und
Zwangsmittel (bis zur Verweisung aus der Gemeinde) zu verhängen. Diese
Kompetenzanmaßung bewertet er einerseits als von der Stadt hingenommene und
daher „reguläre Subversivität“, andererseits als Erfüllung der Bedürfnisse der jüdischen
Bevölkerung. Mit kircheninterner Rechtspflege setzt sich auch der Aufsatz „
‚Zur Ehre Gottes, zum ewigen Heil und zur Ordnung in unseren Kirchen…’. Alltag und Grenzen reformierter Selbstverwaltung in
Frankfurt um 1650“ von Gudrun Petasch (S. 217–246) auseinander. Sie
behandelt die Kirchenzucht in der französisch-reformierten Kirche, deren
Gemeinde aus den spanischen Niederlanden kommend sich 1554 im lutherischen
Frankfurt niedergelassen hatte. Nachdem die Stadt 1561 den öffentlichen und
später auch den Privatgottesdienst der reformierten Gemeinde verboten hatte,
gründete ein Großteil der Gemeindemitglieder in der Hanauer Neustadt eine neue
Gemeinde. Die Kirchenzuchtthematik greift die Verfasserin anhand der Affäre des
Lehrers Jean Hurlepelle dit L’Isle auf. Das Konsistorium hatte 1645 einem
anderen gemeindeangehörigen Kirchenlehrer erlaubt, Kinder als private
Kostgänger auszunehmen. L’Isle beschwerte sich darüber, dass durch den
Beschluss ihm und den anderen Schulen Kinder zugunsten des Kirchenlehrers
entzogen würden. Dadurch geriet er in einen Konflikt mit dem Konsistorium,
folgte dessen Vorladungen nicht, äußerte sich über dieses herabsetzend und
blieb dem Abendmahl fern. L’Isle, der sich den Anordnungen des Konsistoriums
anschließend nur zum Teil und vorübergehend fügte, zog 1655 mit seiner Familie
nach Hanau und verfasste ein Jahr später eine Schmähschrift gegen das
Frankfurter Konsistorium. Erst durch den – weltlichen – Hanauer Magistrat
konnte er dazu veranlasst werden, Genugtuungen für die Konsistorien von
Frankfurt, Hanau und den Hanauer Grafen zu leisten. In einer ausführlichen
Würdigung der langjährigen Auseinandersetzungen deutet die Autorin diese als
Beleg für eine aus wirtschaftlichen Motiven zunehmende Säkularisierung der
Gemeindeangehörigen bei gleichzeitigem Kontrollverlust der
Religionsgemeinschaften über ihre Mitglieder. Ebenfalls um die Rechtsprechung
innerhalb von Verbänden geht es in dem Beitrag Robert Brandts „Die
Grenzen des Sagbaren und des Machbaren. Anmerkungen zur Rechtsgeschichte des
Frankfurter ,Zunfthandwerks’ während der frühen Neuzeit (S. 247-264). Brandt legt
unter anderem dar, dass die Zünfte, obwohl eine Reihe von ihnen in der dritten
Ratsbank repräsentiert war, seit 1377 gegenüber dem städtischen Rat in einer
abhängigen Position standen und in allen Angelegenheit auf dessen Zustimmung
angewiesen waren. Bis zur Niederschlagung des Fettmilchaufstandes 1616 bestand
zumindest noch eine partielle handwerksinterne Zunftgerichtsbarkeit, über die
jedoch kaum Quellen existieren. Das Handwerk versuchte – wenn auch letztlich
erfolglos – , seine wirtschaftlichen Interessen mit
rechtlicher Argumentation vor den Reichsgerichten durchzusetzen, worin der
Verfasser die Umsetzung einer gesamteuropäischen Tendenz zur Verrechtlichung
innerstädtischer Konflikte erkennt. Ein zweiter Schwerpunkt des Beitrags stellt
anhand einer Analyse der Schriftstücke zur Handwerksgeschichte heraus, dass der
Konflikt zwischen Handwerk und Rat bzw. Stadtadel die Überlieferung der
Geschichte des Handwerks beeinflusst habe. Dabei erweist sich, dass die
Überlieferung vornehmlich in obrigkeitlichen Aufzeichnungen besteht, so dass
sich Zweifel daran ergeben, ob diese der Realität entsprachen. Drei Beiträge
befassen sich mit der Rolle Frankfurts vor den Reichsgerichten. Eva Ortlieb
fasst unter dem Titel „Frankfurt vor dem Reichshofrat“ (S. 57-76) Erkenntnisse
über die Rolle sowohl der Reichsstadt als auch der Frankfurter Bürger,
Einwohner und Institutionen vor dem Reichshofrat zusammen. Nach einer kurzen
Darstellung der Quellenlage erfährt der Leser, dass das Reichshofratsarchiv
mehr als 1.500 Frankfurt betreffende Verfahren aufweist, von denen ca. 90 % in die
Zeit ab 1705, dem Beginn des bis 1732 andauernden innerstädtischen
Verfassungskonfliktes, fallen. Der größte Teil der Verfahren betraf allerdings
nicht die Reichsstadt selbst, sondern Frankfurter Bürger und Einwohner, wobei
ca. 92 % der Verfahren erst nach 1704 angestrengt wurden. Bei den häufigsten Verfahrensgegenständen
unterscheidet die Autorin im Anschluss an eine von Filipo Rainieri eingeführte
Klassifikation zwischen den Bereichen „Geldwirtschaft“ (rund 40 %), worunter
sie schuldrechtliche Ansprüche versteht, sowie „Handel und Gewerbe“ (ca. 20 %),
wo sie berufrechtliche, aber auch Streitigkeiten um (?) Handelsgesellschaften
und die Sicherung von Handelsforderungen anführt, die aber
eher in die Kategorie „Geldwirtschaft“ gehören. Verfahren der oder gegen die
Reichsstadt fanden nur zu etwa einem Drittel vor 1705 statt, wobei diese
sechsmal häufiger Beklagte als Klägerin war. Gegenstand der Verfahren waren
wiederum Schuldforderungen, hoheitliche Rechte, Rechtsverweigerung oder
Arreste. Als wichtigsten Grund für die Konzentration Frankfurter Verfahren vor
dem Reichshofrat im 18. Jahrhundert nennt die Autorin das Aufbrechen
innerstädtischer Auseinandersetzungen. Robert Riemer fasst in dem
Aufsatz „Hamburg und Frankfurt vor dem Reichskammergericht. Ein Vergleich unter
besonderer Berücksichtigung der Handels- und Handwerksprozesse“ (S. 265-283) Ergebnisse
seiner ebenso betitelten Dissertation zusammen. Er wertete 3.000 Verfahren vor
dem Reichskammergericht aus, von denen 1369 Verfahren die Hansestadt und 1634
Verfahren das kleinere Frankfurt betreffen. Dabei konnte Reimer belegen, dass
die Prozesse vor dem höchsten Reichsgericht nicht generell langsam abliefen, da
mehr als die Hälfte innerhalb von drei Jahren beendet wurde, allerdings zog
sich die am längsten dauernde Frankfurter Sache immerhin 112 Jahre hin. Bei den
Prozessgegenständen standen sowohl für Hamburg als auch für Frankfurt –
allerdings mit deutlichen Abweichungen zwischen den beiden Städten –die
Bereiche Geldwirtschaft, Handel und Handwerk sowie Familienverband an der
Spitze. Der Autor wertet sodann die Quellen eingehend statistisch aus, wobei
sich unter anderem zeigt, dass als Kläger oder Appellanten überwiegend Personen
der privilegierten sozialen Schichten (Kaufleute, Bürger, städtische
Amtsträger) auftraten. Um das Spannungsfeld zwischen königlichen Privilegien,
städtischer Straf- und Ordnungsgewalt sowie vertraglichen Regelungen geht es in
dem Beitrag Jörg Seilers „Die Reichshofratsprozesse des Deutschen Ordens
gegen die Stadt Frankfurt“ (S. 139-163). Die am südlichen Mainufer ansässige
Kommende stand im Genuss einer Reihe päpstlicher und königlicher Privilegien.
Mit der Stadt Frankfurt schloss sie 1610, 1668 und 1775 drei Verträge zur
Abgrenzung der gegenseitigen Befugnisse. Zur Durchsetzung ihrer Rechte strengte
die Deutschordensgemeinschaft neben acht Prozessen vor dem Reichkammergericht
vier größere Verfahren vor dem Reichshofrat an, die der Verfasser im Einzelnen
referiert. Zwei davon aus den Jahren 1593-1603 und 1699-1703 betrafen das
Asylvorrecht des Ordens. In beiden Fällen waren Mordverdächtige auf das Gebiet
der Kommende geflüchtet, welche die Stadt gewaltsam herausholen wollte, daran
durch den Orden jedoch gehindert wurde. Die rechtliche Auseinandersetzung führte
die Stadt in erster Linie mit dem Argument, dass das Asylprivileg nicht für
Mordverdächtige gelte. Während im ersten Fall der Ausgang des Rechtsstreits
unklar ist, urteilte der Reichshofrat im zweiten Fall lediglich allgemein, dass
die Stadt einem kaiserlichen Mandat von 1699 Folge leisten müsse, wonach sie
Eingriffe in das Asylrecht des Ordens zu unterlassen habe. Im dritten Fall, in
dem gleichfalls kein Urteil überliefert ist, ging es um die Steuerfreiheit
eines Deutschordenshofmannes. Der vierten Sache lag zugrunde, dass der
Hochmeister einem Frankfurter Bürger 1756 gestattet hatte, im Deutschordenshaus
eine Lotterie durchzuführen. Die Stadt hielt dies unter Berufung auf eine
Polizeiordnung von 1747 für unzulässig, während sich der Orden auf den Vertrag
mit der Stadt aus dem Jahre 1610 berief, durch den dem Orden die Ausrichtung
von „Glückshäfen“ zugestanden worden war. Die Stadt argumentierte, dass die
Lotterie nicht unter den Begriff „Glückshafen“ falle. Der Reichshofrat
verneinte schließlich eine Beeinträchtigung der Ordensprivilegien. Thomas
Lau beleuchtet in seinem Beitrag „Diplomatie und Recht – die Rolle des
kaiserlichen Residenten bei innerstädtischen Konflikten in den Reichsstädten
der frühen Neuzeit“ (S. 97-106) die Funktion des ständigen kaiserlichen
Gesandten als Vermittler zwischen politischen und juristischen Ebenen des
Konfliktaustrages. Dazu stellt er das Wirken und die Ambitionen der Gesandten
dar, wobei er sich in erster Linie auf norddeutsche Städte (Hamburg, Bremen)
und Frankfurt am Main konzentriert. Hauptaufgabe der nur in niederem
diplomatischem Rang stehenden Residenten war es, Informationen über politisch
bedeutsame Zusammenhänge zu sammeln und dem Kaiser Missstände anzuzeigen.
Dadurch gerieten die Gesandten in Konflikt zur städtischen Führungsschicht. Die
Verfasser weist dazu darauf hin, dass sich der Frankfurter Resident in den
Bürgerprotesten 1705 auf der Seite der Bürgeropposition engagierte. Als weitere
Aufgabe begleitete der kaiserliche Gesandte diplomatische Großveranstaltungen
wie die Tagungen des oberrheinischen und des kurrheinischen Kreistages in der
Reichsstadt. Nicht ganz deutlich wird in dem Beitrag allerdings, welchen
Einfluss die Gesandten letztlich auf das Recht hatten. Die Einbindung
Frankfurts in die herrschaftsübergreifende Rechtsordnung der Reichskreise
behandelt Michael Müller in dem Beitrag „Die Reichsstadt Frankfurt am
Main als Kur- und Oberrheinische ‚Kreishauptstadt’ im 17./18. Jahrhundert“ (S.
107-137). Frankfurt war Reichsstand im Oberrheinischen Reichskreis und seit der
Mitte des 17. Jahrhunderts Tagungsort dieses überwiegend protestantischen
Reichskreises. Daneben tagte aber auch der benachbarte, überwiegend katholische
Kurrheinische Reichskreis in der Reichsstadt. Müller gibt zunächst einen
Überblick über die noch vorhandenen Quellen und die Literatur zu den
Reichskreisen. Anschließend fasst er die Forschungsergebnisse zur Verfassung
und zu den Organen der beiden Reichskreise zusammen und zeigt, dass das
Direktorium und das Ausschreibeamt im Oberrheinischen Kreis vom Wormser Fürstbischof,
im Kurrheinischen Kreis vom Mainzer Erzbischof gehalten wurden. Das für die
Reichsexekution zuständige Kreisobristenamt besetzten
im Oberrheinischen Kreis unterschiedliche Häuser, im Kurrheinischen Kreis der
Pfälzer Kurfürst. Von den weiteren Behörden hatte die
gemeinsame Kur- und Oberrheinischen Kreiskasse ihren Sitz in Frankfurt unter
der Leitung eines Frankfurter Bankiers oder Kaufmanns. Wie Müller weiter
ausführt, stellte die Reichsstadt einen erheblichen Teil (11-16 %) des
oberrheinischen Kreiskontingents für das Reichsheer und leistete mit Abstand
die höchsten Kreis- und Finanzumlagen aller oberrheinischen Reichsstädte. Gabriele
Marcussen-Gwizda beleuchtet „Die Liquidation der Juwelenhandlung des Daniel
de Briers in Frankfurt am Main. Ein Beitrag zu konsensualen
Konfliktlösungsstrategien bei Handelsstreitigkeiten im nordwesteuropäischen
Kontext“ (S. 165-183). Es geht dabei um die 1633 angestrebte Auflösung einer
zwischen zwei Juwelenhändlern bestehenden Gesellschaft, wobei die
Gesellschafter drei Frankfurter Kaufleute als „Compromissarien“ einschalteten, welche
die Auflösung außergerichtlich regeln sollten. Die Verfasserin stellt die
Funktion solcher Kompromissarien dar, die in ganz Europa zur Beilegung von
Handelsdisputen herangezogen wurden. Ob sie die Befugnisse eines die hoheitliche
Gerichtsbarkeit verdrängenden echten Schiedsgerichts hatten oder lediglich
einen Vergleichsvorschlag abgeben sollten, dürfte im Einzelfall von den
Vereinbarungen der Streitparteien abhängig gewesen sein. Im Falle der
Juwelenhandlung de Briers gelobten die Gesellschafter eidlich und mit
Strafversprechen, den Beschluss der „guthen
Männer“ und „Hn. Schiedsfreundte“
einzuhalten und nicht vor Gericht zu prozessieren, „bevor der Ausspruch der guten Männer vollkommenlich vollbracht und deme
ein genügen geschehen“. Dadurch war der Weg zum städtischen Gericht
zumindest einstweilen abbedungen. Ein noch 1633 geäußerter Schiedsvorschlag der
Kompromissarien wurde nach Auffassung der Autorin durch den Tod des
Gesellschafters de Briers im Oktober desselben Jahres hinfällig. Einen zweiten
Kompromissvorschlag nahm der überlebende Gesellschafter nicht an, weil der
Vorschlag auf den nicht ordnungsgemäß geführten Geschäftsbüchern beruhte. Es
schloss sich ein jahrzehntelanger gerichtlicher Streit bis zum Reichshofrat an,
dessen Ausgang der Beitrag nicht mitteilt.
Bad
Nauheim Reinhard Schartl