Die Anfänge des öffentlichen Rechts. Gli inizi del diritto pubblico. Gesetzgebung im Zeitalter Friedrich Barbarossas und das gelehrte Recht. L’età di Federico Barbarossa - legislazione e scienza del dirittto, hg. v. Dilcher, Gerhard/Quaglioni, Diego (= Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient/Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento 19). Duncker & Humblot, Berlin 2007. 353 S. Besprochen von Arno Buschmann.
Mit dem vorliegenden Sammelband
werden die Ergebnisse einer Tagung veröffentlicht, die das Italienisch-Deutsche
Historische Institut in Trient im Juni 2006 zur Erörterung der Frage nach den
Ansätzen einer neuen Auffassung von Herrschaft und Gesetzgebung im
Hochmittelalter in der Zeit Friedrich Barbarossas veranstaltet hat. Der
besseren Verbreitung wegen haben sich die Herausgeber Gerhard Dilcher und Diego
Quaglioni entschlossen, die Beiträge in einer zweisprachigen Publikation herauszubringen,
wobei der Inhalt am Schluss eines jeden Beitrages in der jeweils anderen
Sprache resümiert wird. Anlass für Tagung und Thema war die Beobachtung, dass
seit der Entdeckung lange verschollener Bestandteile der roncalischen
Gesetzgebung von 1158 und der Aufhellung ihrer Textgeschichte eine eingehende wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser Gesetzgebung für die
mittelalterliche Rechts- und Herrschaftstheorie noch nicht stattgefunden hat, eine
solche jedoch für das Verständnis der Herrschaft Friedrich Barbarossas wie
überhaupt der ihr zugrunde liegenden Rechts- und Herrschaftsauffassung unerlässlich
ist. Diesem Mangel soll nach den Vorstellungen der Herausgeber durch Thematik
und Fragestellungen der einzelnen Beiträge abgeholfen werden. Die Beiträge
selbst gruppieren sich um insgesamt drei Themenkomplexe und sind
dementsprechend auf drei Abschnitte verteilt, zunächst geht es um die
staufische Herrschaftskonzeption und das Aufkommen der Vorstellung eines
öffentlichen Rechts im Ganzen, sodann im Einzelnen um die Frage nach dem
Verhältnis der roncalischen Gesetzgebung zum Gelehrten Recht und schließlich um
deren politische Voraussetzungen im 12. Jahrhundert und die Wirkungen, die von
ihr ausgingen.
Der erste Abschnitt beginnt mit einem
Beitrag Gerhard Dilchers über das der roncalischen Gesetzgebung von 1158 und dem
Konstanzer Frieden von 1183 zugrundeliegende Herrschaftskonzept Friedrich
Barbarossas. Dilcher erkennt in diesen Quellen sowohl signifikante
Berührungspunkte wie deutliche Unterschiede. Für die roncalische Gesetzgebung registriert
er in Stil und Prinzipien eine Doppelheit von traditioneller Königsherrschaft
und spätantikem Kaisertum, für den Konstanzer Frieden im konventionellen Rahmen
eines Notariatsinstruments den Ausdruck einer neuen Form der hoheitlichen
Gewalt des Kaisers, bei der die Herrschaftsauffassung der römischen Juristen und
die mittelalterliche Herrschaftswirklichkeit partiell miteinander verzahnt sind.
Diego Quaglioni befasst sich in seinem Beitrag mit der Weiterwirkung der Lex Omnis
iurisdictio der roncalischen Gesetzgebung und kommt zu dem Ergebnis, dass
anders als in der bisherigen Forschung angenommen die Überlieferung dieser bedeutenden
Quelle nicht mit dem Consilium des Baldus endet, sondern durch Nicolaus
de Tudeschis bis ins 15. Jahrhunderts weitertradiert und in dieser Form noch
von Jean Bodin als Argument für die Begründung seiner Souveränitätsidee verwendet
wurde.
Der zweite Abschnitt wird eingeleitet
mit einer Untersuchung Tilmann Struves über die Rolle des Römischen Rechts in
der roncalischen Gesetzgebung und insbesondere für die Begründung des
staufischen Herrschaftskonzepts und der staufischen Staatsgewalt. Als zentrale
Quelle sieht Struve hierbei die Lex Omnis iurisdictio an, die den
Anspruch der Staufer programmatisch zum Ausdruck gebracht habe. Alle kaiserlichen
Amtsträger seien nach dieser Lex gehalten gewesen, Gericht und Bann beim Kaiser
einzuholen. Den Zugang zu diesem der spätantiken kaiserlichen Vorstellungswelt entnommenen
Anspruch hätten die Bologneser Doktoren eröffnet und damit eine, wie er meint,
Institutionalisierung der Beziehungen zwischen Herrscher und Reichsangehörigen
eingeleitet. Mit einem anderen Aspekt der Tagungsthematik befasst sich Barbara
Frenz, indem sie die Spiegelung der auf dem Hoftag von Roncaglia formulierten staufischen
Herrschaftsvorstellungen in der zeitgenössischen Historiographie betrachtet.
Wichtigstes Resultat ihrer Untersuchung ist die Feststellung, dass die
Darstellung der staufischen Herrschaftsvorstellungen, die auf dem Hoftag
entwickelt und verkündet wurden - die Verfasserin bezeichnet diese
Vorstellungen als „Verfassungskonzept“ - nicht selten römischrechtliche Züge
erkennen lasse, wobei sie meint, dass bei der Abfassung der Darstellungen
gelehrte Juristen involviert waren, weil dies entweder namentlich erwähnt
werden oder dezidiert auf deren Mitwirkung bei den auf dem Hoftag gefassten
Beschlüsse eingegangen wird. Mit einem anderen Teil der roncalischen
Gesetzgebung, nämlich der Authentica Habita, und deren Auslegung durch
die mittelalterliche gelehrte Jurisprudenz beschäftigt sich Lucia Bianchin in
ihrem Beitrag. Fazit ihrer Untersuchung ist die Beobachtung, dass für die
Authentica Habita deren materiellrechtliche wie prozessuale
Anwendungsbereiche und namentlich die Rechtsbeziehungen zu den kommunalen
Einrichtungen des Mittelalters erst durch die mittelalterliche gelehrte
Jurisprudenz präzisiert wurden. Der Lex Regalia, ihrer Vorgeschichte und
dem mittelalterlichen Regalienbegriff ist Bernd Kannowskis Untersuchung
gewidmet. Er kommt zu dem Ergebnis, dass mit der Lex Regalia der Regalienbegriff,
der im Investiturstreit ein Kampfbegriff im Streit zwischen Kaiser und Papst
gewesen sei, den Charakter einer Bezeichnung für nutzbare, vom Grundeigentum
abgelöste königliche Rechte erlangt habe und damit zum Gegenstand eines
säkularen ius publicum geworden sei. Thema der nachfolgend abgedruckten
Arbeit Giovanni Minnuccis ist die Textgeschichte der „Summula ad Legem Juliam
maiestatis“, die nach seiner Ansicht erst nach 1158 verfasst wurde und bei
der außerdem zu vermuten steht, dass sich ihre Verfasser einer bisher nicht
bekannten Handschrift des Codex Justinianus bedient haben. Die kaiserlichen
„Lehnsgesetzgebung“ für Italien bis zum Hoftag von Roncaglia analysiert Andreas
Karg in seinem Aufsatz. Für ihn präsentiert sich der Kaiser in den
Lehnsurkunden von Lothar III. bis zu
Friedrich Barbarossa zwar einerseits in der traditionellen Rolle als
Rechtsprecher, andererseits aber, und dies namentlich bei Friedrich Barbarossa,
als Gesetzgeber im Sinne der römischrechtlichen Auffassung von der Funktion des
kaiserlichen Herrschers, die ein neues Herrschaftsverständnis des Staufers
erkennen lasse. Christian Zendri beleuchtet den Einfluss des Kanonischen Rechts
auf die Compilatio Antiqua der Libri feudorum, bei der dem
Kanonischen Recht mit seinen Lehren, Prinzipien und Normen eine weitaus größere
Bedeutung beigemessen werden müsse, als dies bisher geschehen sei. Vor allem
habe das Recht der Libri feudorum als Ausdruck einer Konsolidierung des
Feudalrechts durch diesen Einfluss, anders als bisher angenommen, den Charakter
eines gelehrten Rechts erhalten.
An der Spitze des dritten Abschnittes
steht der Beitrag Hans-Jürgen Beckers, in dem nach der Vorbildfunktion der kirchlichen
Organisation und des Kanonischen Rechts im 11. und 12. Jahrhundert für die
Ausbildung der Institutionen in den säkularen Gemeinwesen gefragt wird. Becker
meint, dass die Auseinandersetzungen zwischen Friedrich Barbarossa und
Alexander III. entscheidend dazu beigetragen hätten, die Stellung des Papstes und
die Organisation der Kurie, insbesondere das päpstliche Gesetzgebungsrecht, zu
stärken und damit der päpstlichen Regierung Kirche jene „staatliche“ Struktur
zu geben, von der nachfolgend ein entscheidender Einfluss auf die säkularen
Gemeinwesen und deren Organisationsentwicklung ausgegangen sei. In dem
nachfolgend abgedruckten Beitrag erörtert Cecilia Natalini die Vorstellung von
der Beziehung zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Imperium in
dem Werk eines anonymen Autors aus dem 13. Jahrhundert, das unter dem Namen
Novellino bekannt ist und in dem der Versuch gemacht wird, die Prädominanz des ius
ecclesiasticum gegenüber dem kaiserlichen Recht zu begründen. Mit Fragen
zum Kontext der roncalischen Gesetzgebung befasst sich anschließend Knut Görich
und resümiert, dass als wesentliches Merkmal der roncalischen Gesetzgebung angesehen
werden müsse, dass Friedrich Barbarossa auf dem Hoftag in Roncaglia mit der
Erwartung konfrontiert worden sei, seine Herrschaftsansprüche juristisch
präzise zu legitimieren und dies der Grund für die dort verabschiedete
Gesetzgebung gewesen sei, auch wenn die dort formulierten Ansprüche oftmals an
der Realität scheiterten. Zum Schluss behandelt Christoph Dartmann noch die
Frage nach der Legitimation der Amtsgewalt in den oberitalienischen Städten im
12. Jahrhundert. Sein Fazit läuft auf die Feststellung hinaus, dass
entscheidend für die tatsächliche Regierungs- und Verwaltungspraxis nicht die kaiserlichen
Bevollmächtigungen, sondern die kommunalen Machtverhältnisse, die
komplementären Eide von Amtsträgern und Bürgern und vor allem die befristeten
Übertragungen von Amtsbefugnissen waren.
Versucht man ein Resümee der in dem
vorliegenden Band versammelten vielfältigen Beiträge im Sinne der
Ausgangsfragestellung nach den Anfängen des öffentlichen Rechts in der
Gesetzgebung Friedrich Barbarossas zu ziehen, dann wird man um die Feststellung
wohl doch nicht herumkommen, daß von Anfängen eines ius publicum als
juristischer Kategorie noch nicht die Rede sein kann. Abgesehen von einer
Formulierung im „Lehensgesetz“ der roncalischen Gesetzgebung, die Anklänge an
die Ulpianische Unterscheidung von ius publicum und ius privatum
erkennen lässt, geht es in dieser Gesetzgebung wie in den Friedensschlüssen des
12. Jahrhunderts nicht um Formulierung und Begründung eines ius publicum
als eines institutionalisierten Rechts des öffentlichen Gemeinwesens, sondern vor
allem, wenn nicht gar ausschließlich, um die schriftliche Fixierung von königlichen
und kaiserlichen Herrschaftsrechten. Die zweifellos vorhandenen Ansätze eines
neuen Rechtsdenkens über Herrschaft und Gesetzgebung, die hierbei erkennbar
werden, resultierten nicht in erster Linie aus dem Bestreben, die Herrschaft
des Königs und Kaisers mit den Mitteln des römischen Kaiserrechts zu
kategorisieren, sondern vor allem daraus, sie mit den Formen des Römischen
Rechts zu begründen, zu präzisieren und zu legitimieren. Ein spezifisches ius
publicum als eine eigene rechtliche Kategorie ist darin, so scheint es,
noch nicht erkennbar, bestenfalls eine Vorstufe. Indessen vermögen diese
Einwände den Wert der gehaltvollen ideen- und materialreichen Beiträge wie
überhaupt der Dokumentation der Tagungsergebnisse nicht wesentlich zu
schmälern. Was bleibt, ist das Verdienst, ein differenzierendes Bild von den
Herrschaftsvorstellungen und Herrschaftsverhältnissen in einem Zeitraum
entworfen zu haben, in dem entscheidende Weichen für die nachfolgende
Entwicklung von Herrschaft und Recht im Heiligen Römischen Reich, namentlich in
Bezug auf die sog. Rezeption der Gelehrten Rechte, gestellt wurden.
Salzburg Arno
Buschmann