Dams, Carsten/Stolle, Michael, Die Gestapo - Herrschaft und Terror im Dritten Reich, 2. Aufl. (= Beck’sche Reihe 1856). Beck, München 2008. 249 S. 2 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.
Arbeiten, die wie die vorliegende im Titel zum bestimmten Artikel die Bezeichnung einer Institution, einer Volksgruppe oder ähnliches stellen und all das durch einen möglichst plakativen Untertitel spannungsfördernd erweitern, versprechen dem versierten Leser gerade eines nicht: Spezialstudien mit provokanten neuen Thesen und Fragestellungen. Was sie in der Regel anbieten, sind komprimierte, gut lesbare Zusammenfassungen, die einem breiteren Interessentenkreis erste Informationen und solides Grundwissen zu einem Thema vermitteln.
Genau in diese Kerbe schlagen Carsten Dams, Experte für Polizeiwissenschaft in Duisburg, und der Karlsruher Historiker Michael Stolle mit ihrem Buch zur Geheimen Staatspolizei des Dritten Reiches, kurz Gestapo. Die Autoren erkennen selbst, dass es nicht möglich sein kann, auf etwa 190 Textseiten – Endnotenapparat, Auswahlbibliographie, Abkürzungsverzeichnis und Personenregister ausgenommen – eine „umfassende Gesamtdarstellung vor(zu)legen, die alle Facetten beleuchtet“. In einer „Synthese“ ihrer bisherigen eigenen Forschungsarbeiten und der umfangreichen neueren Literatur wollen sie als ausgewiesene Kenner der Materie daher in erster Linie Veraltetes ersetzen, Aktuelles zusammenfassen und damit „eine Lücke in der Geschichtsschreibung (jedoch nicht in der Geschichtsforschung, W. A.) … schließen“ (S. 10/11).
Diese klare Zielsetzung determiniert auch die Gliederung des Bandes. Für Detailstudien im Rahmen großer Themenfelder, wie sie die Sammelbände der sogenannten „Gestapo-Trilogie“ (1995-2009) Klaus-Michael Mallmanns und seiner Mitarbeiter enthalten, fehlt Dams und Stolle schlichtweg der Raum. Sie folgen daher dem bewährten, traditionell-chronologischen Aufbaumuster, in dessen Rahmen sie ihren Blick sowohl nach innen - in die Institution - wie auch nach außen - auf den jeweiligen Wirkungsbereich der Gestapo - richten. Unterstützt wird der Text von zwei Abbildungen, genauer: von zwei Organigrammen: eines zum Aufbau des Amtes IV des Reichssicherheitshauptamtes 1942 (S.33), das andere zur Struktur der Sicherheitspolizei nach 1939 (S. 38).
Ihre Studie haben die Autoren in insgesamt sieben Kapitel eingeteilt. Ein „Gründung und Frühphase“ überschriebener Abschnitt zeigt zunächst den Weg vom Staatsschutz der Weimarer Republik bis zu den Anfängen der Gestapo des Dritten Reiches.
Das zweite Kapitel mit dem Titel „Die organisatorische Entwicklung“ beschäftigt sich mit der sogenannten „Verreichlichung“ der zunächst den Ländern zugeordneten Politischen Polizeien, mit der wechselseitigen Durchdringung von Polizei und SS sowie mit der Ideologie und dem Selbstverständnis der Institution.
Danach stehen „Die Mitarbeiter der Gestapo“ im Fokus des Interesses, die personelle Entwicklung sowohl beim Führungspersonal als auch beim „Fußvolk“. Besondere Bedeutung erlangte der Stand der Juristen, der offenbar die idealen Voraussetzungen für eine effiziente Verwaltung und Realisierung des Terrors einbringen konnte. In der Machtzentrale, dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA), bildeten die „jüngeren Verwaltungsjuristen“ neben „altgedienten Kriminalbeamten“ und „übernommenen SD-Mitarbeitern“ eine der drei konkurrierenden Kerngruppen. Vor allem aber in der Provinz waren die Stapostellenleiter „überwiegend junge Juristen“; für das Jahr 1938 gilt: „87 % hatten … Jura studiert und die Hälfte war promoviert“, was laut Dams und Stolle auch der Personalpolitik Werner Bests zuzuschreiben ist, der als „Personalchef der Gestapo“ – anders als Himmler, Heydrich oder Müller – „ebenfalls promovierter Jurist“ war (S. 59). Die gleiche Personalstruktur fand sich in logischer Konsequenz dann später bei den Führern der Einsatzgruppen und Einsatzkommandos sowie bei den Inspekteuren, Befehlshabern und Kommandeuren der Sicherheitspolizei: „Will man das Führungspersonal der Sicherheitspolizei idealtypisch charakterisieren, so sehen wir einen karriereorientierten, weltanschaulich im Nationalsozialismus verankerten jungen Juristen.“ (S. 61)
Das wichtige vierte Kapitel berichtet über die „Arbeitsweise“ und damit über die Rahmenbedingungen und die praktischen Methoden des Gestapo-Handelns, über die Vertrauensleute („V-Leute“) – „zivile Maulwürfe, die durch ihre Tätigkeit die Repressionsmaßnahmen der Gestapo unmittelbar vorbereiteten“ (S. 78) - und Denunzianten und über die Zusammenarbeit der Gestapo mit diversen Einrichtungen des Staates und der Partei. Hierbei kommen die Autoren insgesamt zu einem ernüchternden Urteil über die „Grundhaltung der meisten deutschen Volksgenossen“: Das „Schicksal der Anderen interessierte die Mehrheit nicht“, richteten sich die Repressionen des Verfolgungsapparates zunächst doch ohnehin mit Masse „gegen die machtlosen und von vielen ungeliebten Teile der deutschen Gesellschaft“. Denn „für die meisten Deutschen war der nationalsozialistische Terror lange Zeit keine reale Bedrohung“, die „Mehrheit blieb nahezu unbehelligt und machte völlig andere Erfahrungen als die erklärten Feinde des Regimes“. (S. 102/103)
Die bevorzugten Zielgruppen des polizeilichen Eingreifens werden anschließend unter dem Rubrum der „Verfolgungspraxis im Reich“ vorgestellt: Kommunisten, Sozialdemokraten, Religionsgemeinschaften, Juden, Homosexuelle, „Arbeitsscheue“, „Asoziale“ und „Fremdvölkische“, die jeweils phasenweise in unterschiedlicher Intensität der Verfolgung ausgesetzt waren.
Vom „Auswärtigen Einsatz“ handelt das folgende sechste Kapitel mit der Überschrift „Die Gestapo in Europa“. Zu verstehen ist unter diesem Terminus das Wirksamwerden der Polizeikräfte im Rahmen des weltanschaulichen Vernichtungskrieges in den von Hitlerdeutschland eroberten und besetzten Gebieten, darunter – im Widerspruch zur Kapitelüberschrift – auch Afrika. Die dabei gewonnenen entgrenzten Gewalterfahrungen sollten in der Endphase des Krieges das radikale Vorgehen der Gestapo gegenüber der eigenen Bevölkerung im Reich prägen.
Welche Wege die ehemaligen Beamten und Zuträger nach dem Sturz der nationalsozialistischen Herrschaft einschlugen und in welcher Weise ihre Handlungen zum Gegenstand der justiziellen Ahndung durch alliierte und deutsche Gerichte wurden, erörtert der „Die Gestapo nach 1945“ betitelte letzte Abschnitt. Fazit: Nur wenige wurden zur Rechenschaft gezogen. „Die Mehrzahl der Gestapomitarbeiter konnte sich im Nachkriegsdeutschland recht gemütlich einrichten und mancher machte eine beachtliche Karriere“ (S. 189). Dass der dritte Band Mallmanns, der sich ebenfalls mit dem „Nachleben“ der Gestapo auseinandersetzt, hier – da erst 2009 publiziert - nicht mehr in die Darstellung einfließen konnte, stellt kein besonderes Manko dar.
Eine Schlussbetrachtung zur Frage „Was bleibt von der Gestapo?“ rundet den Text inhaltlich ab. Dams und Stolle fassen zusammen, welche Komponenten den bis in die jüngste Vergangenheit dominierenden, aber faktisch unrichtigen Mythos einer „allmächtigen“ Gestapo geboren und am Leben erhalten haben. Darüber hinaus wagen die Autoren hier den kühnen Schritt von der geschichtlichen Rückschau hin zur staatsrechtlichen Spekulation. Sie befürworten die seit Kriegsende als Lehre aus der Erfahrung mit der Gestapo heraus erfolgte zwingende Kompetenztrennung zwischen der Polizei und den Nachrichtendiensten und sehen diese Errungenschaft durch den Kampf gegen den globalen Terror und die damit verbundenen Aufweichungstendenzen im Bereich der Grund- und Freiheitsrechte in Gefahr. Diese Überlegungen sind nicht neu, zum großen Teil bereits communis opinio und sicher richtig. Ob aber ein „Militäreinsatz im Innern“ generell als ein „Merkmal staatlicher Schwäche“ zu deuten ist, wie Dams und Stolle behaupten (S. 197), bleibt zu diskutieren. So mag der mit der Öffnung des Eisernen Vorhanges Anfang der 1990er Jahre initiierte und bis heute praktizierte sicherheitspolizeiliche Assistenzeinsatz des Österreichischen Bundesheeres zur Überwachung der Staatsgrenze im Osten wohl eher vernünftigen ökonomischen Erwägungen zuzurechnen denn als Einfallstor für autoritäre Tendenzen zu interpretieren sein. Eine Verbindung zur historischen Gestapo ist hier jedenfalls nicht wirklich zu sehen.
Wer nun kleinlich nach dem berühmten Härchen in der Suppe fischt, wird dieses – wie überall – auch bei Dams und Stolle ausmachen können und etwa Lektoratsfehler monieren, die Kasus („mit Rücksichtslosigkeit und enormen (sic) Fleiß“, S. 52) und Kongruenz („waren auch die Sowjets bemüht …, sofern sie entsprechende Hinweise … bekam (sic)“, S. 175) betreffen. Auch wirkt es peinlich, wenn recht bekannte Namen unrichtig wiedergegeben werden, wenn etwa der Leiter des Auslandsnachrichtendienstes im RSHA Walter Schellenberg zum „Schellenberger“ mutiert (S. 55) und dann im Personenverzeichnis überhaupt nicht mehr aufscheint.
Lässt man das außer Acht, so wird man bei fairer Betrachtung den Autoren im Wesentlichen ohne Einschränkung zubilligen, dass sie mit Sachverstand ihr Ziel erreicht und eine komprimierte Geschichte der Gestapo auf dem Stand der Forschung vorgelegt haben, die überfällig war und Laien wie Fachhistorikern gleichermaßen gute Dienste leisten wird.
Kapfenberg Werner Augustinovic