Bilous, Natalija, Kyjiv naprykinci XV - u peršij
polovyni XVII stolittja (Kiev vom Ende des 15. bis zur 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts).
Mis’ka vlada i samovrjaduvannja (Rat und Selbstverwaltung). Kyjiv 2008. 358 S.,
Ill. Besprochen von Inge Bily.
Erneut wendet sich eine Untersuchung
der Rezeption des sächsisch-magdeburgischen Rechts in Kiew zu.[1] Natalija
Bilous,[2]
die immer wieder durch Studien zu diesem interessanten Thema auf sich aufmerksam macht,
beschäftigt sich in vorliegender Monographie mit dem Rat und der städtischen
Selbstverwaltung nach Magdeburger Recht am Beispiel der Stadt Kiew. Dabei hat
die Autorin den Zeitraum vom Ende des 15. bis zur ersten Hälfte des 17.
Jahrhunderts im Blick, beginnend mit 1498, dem Jahr der Bewidmung Kiews mit
Magdeburger Recht durch den Großfürsten Litauens Aleksandr bis zur Mitte des
17. Jahrhunderts, dem Beginn der Aufstände unter Bohdan Chmel’nyc’kyj.
Bilous gliedert ihre Ausführungen in
fünf Kapitel. Auf Abkürzungsverzeichnis (S. 4), Einleitung (S. 5-6) und Vorwort
(S. 7-10) folgt als erstes Kapitel (S. 11-34) ein historischer Abriss zur
Entwicklung der Stadt Kiew, einschließlich einer Charakterisierung der
wichtigsten Quellen und der Beschreibung des Standes der Forschung. Die Autorin
macht deutlich, dass die Bearbeitung des Themas wegen fehlender Originalquellen
schwierig ist. Die Forschung vermisst besonders Stadtbücher. Der Grund für die
schlechte Quellenlage sind die wiederholten Zerstörungen des Archivs der Stadt
Kiew durch Brände, und zwar in den Jahren 1651, 1718 und 1811. Der
fragmentarische Charakter der noch erhaltenen Quellen und die Tatsache, dass
die wenigen verfügbaren Schriften auf Archive der Ukraine, Polens,
Weißrusslands und Russlands verstreut sind, bilden großess Hindernisse für
effektive Forschungen. Die schlechte Quellenlage ist auch der Grund, dass sich
viele Arbeiten auf die Auswertung sekundärer Quellen stützen (müssen). Trotz
dieser widrigen Umstände ist
es Natalija Bilous
gelungen, rund 100 Originalexzerpte aus Kiewer Stadtbüchern sowie Gerichtsbücher
Kiewer und wolhynischer Provenienz aufzuspüren. Die Autorin konnte sich bei
ihrer Recherche auf handschriftliche Quellen aus Privatbesitz wie auch aus
Archiven in Warschau, Krakau, Lublin, Minsk und Moskau stützen, außerdem auf
einige edierte Quellen.
Das umfangreiche zweite Kapitel (S.
35-90) beschäftigt sich mit der Organisation der Stadtverwaltung Kiews nach Magdeburger Recht. Dabei wird zunächst das
Thema „Magdeburger Recht in Ostmitteleuropa“ vor dem Hintergrund der
mittelalterlichen Siedlungsbewegungen in den heute ukrainischen Gebieten
beleuchtet (2.1).
Die Bewidmung mit Magdeburger Recht
und die erneute Bestätigung der Bewidmung verschaffte und sicherte den
Einwohnern Kiews eine Reihe wichtiger Privilegien (2.2), so das Monopol des
Schankrechts für die Mitglieder des Rates, das Recht auf Landbesitz innerhalb
der Stadt, weiterhin das Recht, jährlich zwei Messen sowie Wochenmärkte
abhalten zu dürfen und außerdem das Recht auf freien Handel innerhalb des
Großfürstentums Litauen. Ausführlich wendet sich Bilous der städtischen
Selbstverwaltung nach Magdeburger Recht zu und untersucht ihr Funktionieren
auch in anderen administrativen Einheiten der Stadt Kiew (2.3).
Anschließend beschäftigt sich das
dritte Kapitel (S. 91-164) mit den Besonderheiten der Institutionen Vogt und
Schöffenbank. Dabei wird das Amt des Vogtes vergleichend zu anderen Städten der
Polnisch-Litauischen Union betrachtet. Erläutert werden außerdem die Aufgaben
des Schöffenkollegiums. Kiew hatte das Modell eines Rates, der für die Städte
des Magdeburger Rechts typisch war (3.2). Die Mitglieder des Rates hatten ihr
Amt ein Jahr lang inne. Neue Mitglieder wurden jeweils am Ende des Monats März
gewählt. Nacheinander wendet sich Bilous weiteren wichtigen Ämtern und
Funktionen innerhalb der Leitung einer Stadt nach Magdeburger Recht zu (3.3).
Dabei werden die Funktionen der Personen bzw. Kollegien beschrieben und auch
die Bedeutung des jeweiligen Rechtsterminus erklärt, z. B. Stadtschreiber,
Gerichtsdiener, Nachtwächter, Baumeister und Henker. Zu den Einkünften (3.4)
und der sozialen Stellung (3.5) städtischer Amtsträger äußert sich die Autorin
ebenfalls.
Im Mittelpunkt des vierten Kapitels
(S. 165-200) steht die städtische Gerichtsbarkeit. Dabei wird auch der Frage
nachgegangen, wer von dieser Gerichtsbarkeit ausgeschlossen war, nämlich der
Adel, der Klerus, die Armen und die Kosaken.
Kapitel 5 (S. 201-272) beschreibt die
Kontakte der Stadtgemeinde nach außen, so zum Königsgericht, zu den Herrschern
und ihren Vertretern (5.1) und zu den Klöstern (5.2). In die Betrachtung
einbezogen ist hier ebenfalls der Einfluss der Kosaken auf das städtische Leben
(5.3). Ein Nachwort (S. 273-277) fasst die Ergebnisse dieser gründlichen und
detailreichen Untersuchung zusammen.
Besondere Beachtung verdienen die 3
Tabellen im Anhang (S. 278-285): 1. Die Wojewoden von Kiew mit ihren
Lebensdaten sowie mit Literaturangaben; 2. Die Stellvertreter der Kiewer
Wojewoden; 3. Die Kiewer Vögte (16. Jh.-Mitte 17. Jh.) mit ihren Lebensdaten,
Angaben zu ihrer sozialen Stellung sowie auch einem Hinweis auf die Quellen der
Informationen. Diese Tabellen, die neben dem Personen- und Ortsregister als
wertvolle Orientierungshilfe im Text dienen, sind das Ergebnis umfangreicher
Recherchen. Die Angaben zu den einzelnen Personen beeindrucken durch ein hohes
Maß an Vollständigkeit.
Auf die Anhänge folgen das Quellen-
und Literaturverzeichnis (S. 286-312), das Personenregister (S. 313-330) und das
Ortsregister (S. 331-339) sowie das Verzeichnis der 53 Abbildungen (S. 344-343).
Den Zugang zu den Ergebnissen dieser Arbeit erleichtern eine abschließende
polnische (S. 344-354) und englische Zusammenfassung (S. 355-358).
Natalija Bilous bietet eine fundierte
Zusammenfassung des Standes der Forschung zur Rezeption des Magdeburger Rechts
in Kiew. Dabei hat die Autorin stets den Weg der Rezeption, auch anhand der
Siedlungsgeschichte im Blick. Erkenntnisse aus Geschichte und Rechtsgeschichte
werden in vorbildlicher Weise verbunden. So ist eine gelungene Synthese von
Quellentexten sowie ihrer Beschreibung und Interpretation entstanden, jeweils
aufgelockert durch passende Abbildungen und versehen mit Angaben weiterführender
Literatur in den zahlreichen und z. T. sehr ausführlichen Anmerkungen. Immer
wieder sind an entsprechender Stelle Quellenzitate in den Text eingefügt. Nach
der Auswertung einer beachtlichen Zahl handschriftlicher und gedruckter Quellen
(S. 288-292) wird nicht nur die Situation in Kiew betrachtet, sondern immer
auch ein Vergleich zu den Verhältnissen im Großfürstentum Litauen durchgeführt.
Hinsichtlich der Literatur hat sich
die Autorin weit umgetan. Neben der einheimischen wurde auch die internationale
Literatur zum behandelten Thema gründlich ausgewertet, allen voran die
Ergebnisse der besonders umfangreichen polnischen Forschung. Das
Literaturverzeichnis ist nach kyrillischen und lateinischen Titeln getrennt.
Die in den Anmerkungen genannte Literatur wurde allerdings leider nur z. T. in
das Literaturverzeichnis aufgenommen.
Schade, dass die zahlreichen
Rechtstermini, die Bilous im Text in Klammern gewöhnlich deutsch und z. T. auch
in Latein oder Französisch erschließt, nicht in einem terminologischen Verzeichnis
zusammengefasst wurden. Dies wäre u. a. den in der ukrainischen
Rechtsterminologie nicht so bewanderten Interessenten eine große Hilfe.
Zur Hervorhebung dienen Fettdruck und
Kursivdruck. Zitate sind übersichtlich eingerückt. Der Band ist ansprechend
gestaltet. So zeigen der vordere und hintere Inneneinband Ausschnitte eines
historischen Stadtplans von Kiew. Der hintere Außeneinband bildet zudem das
imposante Denkmal des Magdeburger Rechts in Kiew ab.[3]
Passend zum jeweiligen Thema
illustrieren zahlreiche Abbildungen die Ausführungen in willkommener Weise.
Dies sind u. a. Kopien von Titelseiten wichtiger Rechtsdokumente (z. B. von
Stadtbüchern), Kopien von Urkunden, Porträts von Herrschern, Ansichten
wichtiger Gebäude (Klöster, Kirchen) und auch Karten zur Ausdehnung von Ländern
bzw. Herrschaftsgebieten zu unterschiedlichen Zeiten, so eine Karte der
Rzeczpospolita um 1570 (S. 96).
Leipzig Inge
Bily
1 Vgl. u. a. Lück, Heiner, Magdeburger Recht in der Ukraine. In: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 12, 3/4 (1990), 113–126; Mykola Kobylec’kyj, Das magdeburgische Recht als Quelle des Kodex von 1743. In: Ernst Eichler, Heiner Lück (Hrsg.), Rechts und Sprachtransfer in Mittel- und Osteuropa. Sachsenspiegel und Magdeburger Recht. Internationale und interdisziplinäre Konferenz in Leipzig vom 31. Oktober bis 2. November 2003. (Ivs Saxonico-maideburgense in oriente. Das sächsisch-magdeburgische Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas 1). Berlin 2008, S. 141-155.
[2] Bilous, Natalija Vidnosyny kyjivs’koji mis’koji vlady z voėvodamy v 1559–1648 rr. Sproby obmežennja avtonomiji mis’koji hromady [Die Beziehungen des Kiewer städtischen Rates zu den Wojewoden in der Zeit von 1559-1648. Versuche der Einschränkung der Autonomie des städtischen Rates]. In: SOCIUM. Al’manach social’noji istoriji [Almanach der Sozialgeschichte] 7 (2007), S. 67–81.
[3] 3 Lück, Heiner, Das Denkmal des Magdeburger Rechts in Kiew. In: Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 12 (1990), S. 109–119.