Akten
der Reichskanzlei: Regierung Hitler 1933-1945, Die Regierung Hitler, Band 5
1938, bearb. v. Hartmannsgruber, Friedrich. Oldenbourg, München 2008.
LXXIIII, 1168 S. Besprochen von Karsten Ruppert.
Zur
Taktik der „Machtergreifung“ hatte es gehört, das Kabinett Hitler als eine
rechtskonservative Regierung in der Tradition ihrer Vorgängerinnen erscheinen zu lassen.
Folglich wurde Politik zunächst auch noch in den Formen herkömmlicher
Regierungstätigkeit gestaltet. Je mehr sich aber das Regime festigte und dabei
auch seinen Charakter veränderte, um so mehr verlor diese Form des Regierens an
Bedeutung. Der Abschluss der Entwicklung wird in diesem Band dokumentiert: am 5.
Februar 1938 kamen die Minister zum letzten Mal mit dem Reichskanzler zu einer
Besprechung zusammen, während die letzte Arbeitssitzung des Kabinetts schon am
9. Dezember 1937 über die Bühne gegangen war. Die Ressorts stimmten sich
seitdem wie meist auch schon zuvor untereinander ab, die Gesetzesvorlagen kamen
im Umlaufverfahren zustande und sie traten durch die Unterschrift des „Führers“
in Kraft, um die sie sich jedes Ressort selbst über die Reichskanzlei bemühen
musste. Den daher naheliegenden Schluss, dass dadurch die Akten der
Reichskanzlei bedeutungslos geworden wären, widerlegt der zu besprechende Band.
Die Führerdiktatur hat sich zwar zur Durchsetzung ihrer Ziele zahlreiche andere
Instrumente geschaffen, doch zugleich großen Wert darauf gelegt, auf der
Grundlage des Ermächtigungsgesetzes weiterhin rechtsförmig zu agieren, Recht
wie Unrecht in die Form von Gesetze zu gießen.
Die
aufgezeigte Transformation der Herrschaftstechniken im Dritten Reich haben den
Bearbeiter je weiter die Edition fortschritt vor zunehmende editorische Probleme
gestellt, deren Lösung spätestens mit dem vorliegenden Band gefordert war. Denn
die Protokolle der Ministerbesprechungen und Kabinettssitzungen wurden immer
ungeeigneter als zentrale Quelle, um die herum dann Ergänzungen zu gruppieren
waren. Mit dem Wegfall einer zentralen Dokumentenart stellte sich also nachdringlich
das Problem der Auswahl. Mit der Entscheidung, alle Dokumente heranzuziehen,
die „zur Aufhellung der Entscheidungsprozesse im Vorfeld der Gesetzgebung
beizutragen“ vermögen, ist, wie dieser Band beweist, ein überzeugendes
Kriterium gefunden worden. Zumal unter dem Begriff der „Gesetzgebung“ auch
Gesetzesvorhaben, die wegen Ressortdifferenzen oder der politischen Lage nicht
verabschiedet wurden, und die geheimen Anordnungen wie Erlasse des „Führers“,
soweit sie Staat und Verwaltung betreffen, gezählt werden. Ein Unternehmen, das in dieser
Form erst durch den glücklichen Zufall möglich wurde, dass seit dem Mauerfall
die Akten der nationalsozialistischen Ministerien uneingeschränkt zugänglich
sind.
In
der Geschichte des nationalsozialistischen Reiches ist das Jahr
1938 mit dem „Anschluss“ Österreichs
und des Sudetenlands das der Aufsehen erregenden außenpolitischen
Erfolge. Da diese in den Akten zur deutschen auswärtigen Politik dokumentiert
werden, finden hier vor allem die Fragen der rechtlichen Anpassung beider Gebiete
an das Reich ihren Niederschlag. Ebenfalls peripher bleiben die nicht weniger
spektakuläre Ersetzung des konservativen Außenminister von Neurath durch den Nationalsozialisten
von Ribbentrop und die weitreichende Überführung des Kriegsministeriums in das
Oberkommando der Wehrmacht, über die Hitler nun selbst den Oberbefehl übernahm.
Beide Aktionen waren Ausdruck der Festigung des Regimes. Diese wurde nochmals
dadurch unterstrichen, dass nun verstärkt auf nationalsozialistische Gesinnung
von Beamten und Richter bestanden wurde, die Zuständigkeit der Sondergerichte
auf ausdrücklichen Wunsch Hitlers erweitert wurde und die systematische
Ausschaltung der Juden aus öffentlichem Leben und Gesellschaft eingeleitet
wurde. Schwankend war die Kirchenpolitik: obwohl Hitler mit Blick auf den
kommenden Krieg eine Beruhigung wollte, ließ er untergeordneten Instanzen bei
ihren antikirchlichen Aktionen durchaus freien Lauf. Ein beträchtlicher Teil
der Dokumente spiegelt die wirtschaftliche und finanzielle Vorbereitung des
Krieges. Die massiven Finanzprobleme der Aufrüstung, die Rohstoffknappheit und
die Maßnahmen zur Wirtschaftslenkung im Rahmen des Vierjahresplans. Eine schon 1937
anvisierte Reform des Strafgesetzbuches kam wieder nicht zustande und auch
Pläne zu einem Neuaufbau der Verwaltung blieben Papier; dafür wucherte sie
immer mehr durch die Bestellung von stets neuen Kommissaren und
Bevollmächtigten.
Das Hin und Her zwischen
den obersten Dienststellen des Reichs, das all diese Maßnahmen begleitet hat,
wird manchmal doch in all zu großer Breite dokumentiert. Ob man nun auch noch
das Ringen um die Benennung der Deutschen im Ausland und den Streit darum, ob
die Bezeichnung von Angehörigen der Fürstenhäuser nun als Namen oder Titel zu
behandeln seien, auch noch wissen muss, ist fraglich. Wenn schon, dann wären
hier Kurzregesten, die überhaupt zu wenig verwendet werden, angebracht gewesen.
Es muss nicht immer der gesamte bürokratische Betrieb abgebildet werden. Wäre
der Bearbeiter hier aber allzu rigoros gewesen, hätte man nie erfahren, dass
Hitler seit 1938 sich nur noch als „Führer“ tituliert wissen wollte. Dazwischen
finden sich aber auch immer wieder Eingaben, Denkschriften und Gutachten von
beträchtlicher Dichte und Substanz, die ein idealer Einstieg in die Probleme
sind.
Darüber hinaus gewährt
die Edition auch einen guten Einblick in die Art des Regierens in der Diktatur
Hitlers: die Verfolgung der unterschiedlichen Interessen, die Differenzen
zwischen den Ressorts, die Machtkämpfe der Ministerien und Minister.
Koordiniert wurde die Regierungsarbeit vom Chef der Reichskanzlei Hans-Heinrich
Lammers. Er spürte wohl am unmittelbarsten, wie wenig diese Art von Regierungspolitik
noch für den „Führer“ bedeutete; denn es wurde für ihn immer schwieriger, mit
diesem zusammenzukommen. Um so verdienstvoller ist die Liste der
Vortragstermine des Chefs der Reichskanzlei beim „Führer“, die aus verstreuten
Hinweisen in den Akten rekonstruiert werden musste. Aus ihnen gehen nicht nur
die Entscheidungen Hitlers hervor, sondern auch mit welch banalen Fragen er sich
neben der routinemäßigen Unterzeichnung von Gesetzen immer wieder befassen
musste.
Die Kommentare zur Sache
wie die Nachweise und Querverweise in den Anmerkungen sind ebenso hilfreich wie
das umfängliche und differenzierte Register. Eine nüchterne Einleitung
resümiert die wichtigsten Fragen, die im Jahr 1938 die Bürokratie des Reiches
beschäftigt haben. All dies hilft eine zentrale Quelle des „Dritten Reiches“
gezielt zu nutzen in einem Editionsband, der schon drei Jahre nach seinem
Vorgänger vorlag.
Eichstätt Karsten
Ruppert