Wiese, Marion, Leibeigene Bauern und römisches Recht im 17. Jahrhundert. Ein
Gutachten des David Mevius (= Schriften zur europäischen Rechts- und
Verfassungsgeschichte 52). Duncker & Humblot, Berlin 2006. 389 S.
Besprochen von Bernd Schildt.
Anliegen
der Münsteraner Dissertation der Autorin ist es, die Rechtsstellung leibeigener
Bauern im 17. Jahrhundert zu analysieren. Ausgangspunkt ist das 1645 verfasste
und 1656 im Druck erschienene Gutachten des ehemaligen Stadtsyndikus von
Stralsund und ersten Vizepräsidenten des als letztinstanzlichem Gericht für die
schwedischen Reichslehen zuständigen Wismarer Obertribunals David Mevius zu seinerzeit
aktuellen Problemen der Leibeigenschaft im Ostseeraum. Wie schon der Titel
deutlich macht, geht die Verfasserin der Frage nach, inwieweit die
Rechtsstellung der Leibeigenen im ostelbischen Raum im Rahmen der so genannten
zweiten Leibeigenschaft durch römisch-rechtliche Strukturen geprägt war. Die
Arbeit ist also der Rechtsanwendungsproblematik im Zeitalter des Usus modernus
bezogen auf die Rechtsstellung der ländlichen Bevölkerung verpflichtet. Im Kern
geht es um die für diese Zeit grundlegende Frage nach dem Verhältnis zwischen
römischem Recht und deutschem Gewohnheitsrecht in der gerichtlichen Praxis.
Die
Verfasserin beschränkt sich allerdings nicht auf das Gutachten von David Mevius
„Ein kurtzes Bedencken über die Fragen so von dem Zustand, Abfoderung und
verwiederter Abfolge der Bawrsleute zu welchen iemand Zuspruch zu haben
vermeynet, bey jetzigen Zeiten entstehen und vorkommen“, sondern bezieht die
von ihm zitierten Autoren auf umfassende Weise in ihre Überlegungen mit ein.
Die wichtigsten von ihnen werden im Rahmen eines eigenen Kapitels – C. Mevius
und die Jurisprudenz seiner Zeit (S. 92-125) – in Form von Kurzbiographien
insbesondere mit Blick auf das Thema vorgestellt. In diesem Zusammenhang ist
immerhin bemerkenswert, dass Mevius die im Jahre 1643 erschienene Schrift
Hermann Conrings De Origine Juris
Germanici offenbar nicht rezipiert hat, obwohl diese für das Verhältnis von
römischem Recht zum einheimischen Statutarrecht hätte fruchtbar gemacht werden
können. Zwar betont die Autorin die Bedeutung der Arbeit Hermann Conrings (im
Quellenverzeichnis irrtümlicherweise als Helmut Conring bezeichnet, S. 367)
ausdrücklich und behandelt sie auch ausführlich; der Umstand, dass Conring von
Mevius offenbar ignoriert worden ist, wird indes nicht thematisiert.
Einleitend
skizziert die Verfasserin die politische, soziale und wirtschaftliche Situation
in Norddeutschland am Ende des 30-jährigen Krieges sowie das Leben des David
Mevius. Ferner wird dessen Gutachten in seinen vier Teilen zusammenfassend vorgestellt.
Das ermöglicht dem an einem raschen Überblick interessierten Leser einen
äußerst instruktiven Einblick in die sperrige Sprache des Gutachtens selbst,
das dankenswerterweise am Schluss der Darstellung in seinem vollständigen
Wortlaut wiedergegeben wird (S. 271-358).
Anschließend
legt die Verfasserin plausibel dar (S. 51-91), dass die statusrechtliche
Stellung der deutschen Bauern grundsätzlich mit dem spätantiken Kolonat vergleichbar
gewesen ist und insoweit die Anwendung der römisch-rechtlichen Regelungen zu
den Kolonen grundsätzlich näher lag als der Rückgriff auf das römische
Sklavenrecht. Überzeugend setzt sie sich in diesem Zusammenhang mit dem
unheilvollen Einfluss des Johannes Friedrich Husanus auseinander. Anders als nach
ihm Mevius ging Husanus davon aus, dass die Leibeigenschaft als Normalzustand
für die bürgerliche Bevölkerung östlich der Elbe anzusehen sei. Er sah in den
Leibeigenen Norddeutschlands die Nachkommen der von den Sachsen unterworfenen
slawischen Obodriten. Wiese macht deutlich, dass sich diese historisch
unhaltbare Herleitung der sklavengleichen Rechtsstellung der Leibeigenen im
norddeutschen Raum, obwohl mit völlig aus der Luft gegriffenen Argumenten begründet,
in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sowohl in der territorialstaatlichen
Gesetzgebung als auch in der gerichtlichen Praxis Norddeutschlands weithin
durchsetzte und insoweit die Auffassung des Husanus fatale Wirkungen zeitigte.
Im
Hauptteil ihrer Arbeit – D. Einzelfragen der Frühneuzeitlichen Leibeigenschaft
(S. 126-264) – bietet die Verfasserin eine gründliche rechtssystematische
Darstellung der ostelbischen Leibeigenschaft in der frühen Neuzeit. Die
Rechtsstellung der leibeigenen Bauernschaft im 17. Jahrhundert war umstritten.
Im Kern ging es um die Frage, ob auf die Leibeigenen römisches Sklavenrecht
anzuwenden war (so Husanus und Oldendorp) oder aber, ob – wie Mevius u. a.
vertraten – eine Anwendung des römischen Sklavenrechts unter Hinweis darauf, dass
die Leibeigenen über vielfältige persönliche Rechte verfügten (neben Mevius, Stamm
und Zasius) abzulehnen sei.
Aus der Anknüpfung
an das römische Kolonenrecht ergab sich nach Mevius ohne weiteres die
Schollengebundenheit leibeigener Bauern. Diese durch die Schollenbindung ausgeschlossene
Mobilität der leibeigenen bäuerlichen Bevölkerung hatte indes eine zweite Seite:
inwieweit war es den Gutsherren möglich, Leibeigene getrennt vom Grund und
Boden zu verkaufen. Mevius wendet sich entschieden gegen diese Praxis, kann
sich allerdings mit dieser auf römisches Kolonenrecht gestützten
Rechtsauffassung nicht durchsetzen. Da es Mevius angesichts der erheblichen
Bevölkerungsverluste infolge des dreißigjährigen Krieges insbesondere darauf
ankam, mittels der Leibeigenschaft die Mobilität der bäuerlichen Bevölkerung einzuschränken,
wird unter der Überschrift III. Familienstand (S. 176-196) die Frage nach der
Wirksamkeit und den Folgen der Ehe von Leibeigenen thematisiert. Im Folgenden
werden umfassend und rechtsdogmatisch präzise Fragen der Entstehung der
Leibeigenschaft – sei es durch Geburt (S. 196-206) oder durch Vertrag (S.
206-219) und deren Beendigung wegen unmenschlicher Behandlung (saevicia) durch die Herrschaft (S.
219-238) oder durch Verjährung (S. 238-264) anhand des Gutachtens von David
Mevius und unter Berücksichtigung sonstiger zeitgenössischer Literatur
behandelt.
Schließlich
zieht die Verfasserin ein Fazit zur tatsächlichen Rolle des römischen Rechts
bei Mevius (S. 265-270). Obwohl Mevius von einer grundsätzlichen
Vergleichbarkeit des spätantiken römischen Kolonats und der Leibeigenschaft
seiner Zeit ausgeht, und insoweit die Rechtsstellung von Kolonen gemäß dem corpus iuris civilis der
zeitgenössischer leibeigener Bauern am ähnlichsten war, lehnte er die generelle
Anwendung des Kolonenrechts entschieden ab. Für ihn reduzierte sich die
Unfreiheit leibeigener Bauern weithin auf deren Schollengebundenheit und
insoweit war auch das Kolonenrecht anwendbar. Demgegenüber wollte Mevius
Leibeigene dem Recht freier Personen unterstellen, soweit es um deren
persönliche Rechte ging, selbst dann, wenn das im Einzelfall negative Folgen für
die Betroffenen haben sollte. Mit dem Argument, dass die nach seiner Meinung
(abgesehen von der Schollengebundenheit) freien leibeigenen Bauern nicht
schlechter behandelt werden durften als unfreie Sklaven, verwirft er andererseits
die Anwendung des Sklavenrechts gegenüber dem Kolonenrecht immer dann, wenn
letzteres sich insoweit nachteilig auswirkte (vgl. S. 269).
Mevius
hatte mit seinem Gutachten zur Frage der Leibeigenschaft andere Intentionen als
beispielsweise Husanus oder Stamm mit ihren eher theoretisch auf das Thema
zugreifenden Traktaten. Ihm ging es vor dem Hintergrund zahlreicher Prozesse um
die Rückgabe geflohener leibeigener Bauern vor allem darum, ein praktisches
Handbuch zur Lösung gerichtlicher Streitigkeiten zu verfassen. Sein Gutachten ist
strukturiert wie eine moderne Vindikationsklage. Eingeteilt in vier Hauptfragen
wird zunächst die Rechtsnatur der Leibeigenschaft ganz allgemein behandelt und
anschließend als erste Voraussetzung der Vindikation das Eigentum des Anspruchsstellers
(zweite Hauptfrage) und als zweite Voraussetzung der Besitz des Anspruchsgegners
(dritte Hauptfrage) thematisiert. In der vierten Hauptfrage wendet Mevius sich
schließlich prozessualen Fragestellungen zu.
Da die seinerzeitige
Leibeigenschaft in vielem andersartig sei als der mehr als tausend Jahre
zurückliegende Kolonat, forderte Mevius eine vorrangige Anwendung geschriebenen
und ungeschriebenen deutschen Statutar- oder Gewohnheitsrechts, weil dies wegen
der größeren zeitlichen und sachlichen Nähe zu den Verhältnissen seiner Zeit
angemessen gewesen sei. Römisches Recht sollte allerdings dann nicht von
deutschem Recht verdrängt werden können, wenn es sich in Übereinstimmung mit
naturrechtlichen und christlichen Erwägungen befand. Da in der Praxis
geschriebenes Statutarrecht und ungeschriebenes Gewohnheitsrecht nur in begrenztem
Umfang zur Verfügung standen, kam es tatsächlich nur innerhalb enger Grenzen zu
einer Verdrängung des römischen Rechts.
Der
Verfasserin gelingt es überzeugend nachzuweisen, dass David Mevius als Kind seiner
Zeit nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus von der Notwendigkeit
der Leibeigenschaft zutiefst überzeugt gewesen ist, aber gleichwohl –
insbesondere im Verhältnis zu Husanus – durchaus eine mäßigende Wirkung auf den
Rechtsstatus der leibeigenen Bauernschaft ausübte. Er gehörte zu jenen Juristen
seiner Zeit, die im Rahmen der aus wirtschaftlichen Gründen als notwendig
angesehenen Leibeigenschaft der bäuerlichen Bevölkerung ein Höchstmaß an
Freiheit zugestand. Im Ergebnis bleibt seine Wirkung gleichwohl ambivalent.
Einerseits hat sein Wirken die Leibeigenschaft als Ganzes sicher zementiert,
andererseits war er stets darum bemüht, diese so milde wie möglich
auszugestalten.
Bochum Bernd
Schildt