Wegner, Bernd, Hitlers politische Soldaten - Die Waffen-SS 1933-1945. Leitbild, Struktur und Funktion einer nationalsozialistischen Elite, 8. Auflage. Schöningh, Paderborn 2008. 400 S. Besprochen von Karsten Ruppert.

 

Diese 1982 zuerst erschienene Spezialstudie ist in der Tat zum Standardwerk (so der Autor in seinem Vorwort zur 5. Auflage) geworden; das belegt nichts anschaulicher, als dass sie jetzt schon zum achten Mal aufgelegt wird. Der Text ist unverändert, der Forschungsstand in Form von zwei Literaturberichten bis 1996 nachgetragen. Das Buch korrigiert ebenso die allzu vielen Verzerrungen, mit denen sich meist die zeitgeschichtlich interessierte Öffentlichkeit und vor allem die Medien dem Gegenstand nähern, wie es jegliche so nahe liegende moralische Empörung meidet. Es gibt sich im positiven Sinne wissenschaftlich nüchtern. Wegner, von der Militärgeschichte kommend, interessiert besonders, worin sich die Waffen-SS von der Wehrmacht unterschied und welche Rolle sie neben und gegenüber ihr im nationalsozialistischen System gespielt hat. Da der Kampfeinsatz dieser Weltanschauungstruppe im Krieg hinreichend erforscht ist, bleibt diese Dimension ausgeblendet, womit sich der zeitliche Schwerpunkt zwangsläufig auf die Jahre vor 1939 verschiebt.

 

Nach wie vor überrascht und beeindruckt, wie fruchtbar für diesen Gegenstand der geistesgeschichtliche Ansatz ist. Denn als Teil der SS war die Verfügungstruppe in deren ideologischen Kosmos eingebunden. Dieser zeichnete sich aus durch die Verneinung aller zeitgenössischen und traditionellen Wertvorstellungen: die Ersetzung der Nation durch die Rasse, des christlichen Ethos durch Verachtung des Schwachen, des bürgerliches Verständnisses von Treue durch hündische Hingabe an den Führer und schließlich durch Missachtung von Staat und Recht. Deutlich wird aber auch, dass sich diese ideologischen Zielvorstellungen, die vielleicht doch etwas zu einseitig als die Ideen Himmlers gedeutet werden, nicht geradlinig umsetzen ließen. Wohl dem Geist der Entstehungszeit der Studie ist die doch etwas platte Verortung der Wurzeln dieser Ideologie im Konservativismus zuzuschreiben; selbst nach dem Ersten Weltkrieg teilten „weite Kreise des Bürgertums“ solche Vorstellungen nicht.

 

Weil die Ideologie das war, worin die SS alle anderen nationalsozialistischen Organistationen übertraf, und auch das, was diese Krieger des Weltanschauungskampfs der Wehrmacht voraushatten, wurde weltanschaulicher Schulung und Indoktrination ein hoher Stellenwert eingeräumt. Freilich gerieten sie bei der Waffen-SS immer mehr gegenüber der miltärischen Ausbildung in den Hintergrund. Ursache dafür war ihr forcierter Ausbau neben und gegen die Wehrmacht, der nur gelingen konnte, wenn die Waffen-SS ihre militärische Gleichwertigkeit oder gar Überlegenheit nachwies und  auch im Krieg unter Beweis stellen konnte. Es ist einer von mehreren Erkenntnisgewinnen dieses Buchs, dass die Bedeutung verdeutlicht wird, welche diese Entwicklung hatte. Zum einen bestand nämlich die Gefahr, dass die Waffen-SS so ihre unverzichtbare ideologische Verbindung zur Gesamt-SS verlor, zum anderen musste verhindert werden, dass sich ihre Verbände von denen der Wehrmacht nur noch durch Uniform und Fanatismus unterschieden. Überzeugend weist Wegner darauf hin, dass der strikt durchgesetzte Verhaltenskodex nur ein schwacher Ersatz für den Rückgang der Ideologie sein konnte.

 

Wenig geschickt ist zwischen diese Ausführungen zur Weltanschauung ein Kapitel über die Organisation geschoben. In ihm wird aber, die Forschung erkennbar fortführend, das Wesen der SS überhaupt herausgearbeitet als einer Organisation, die sich durch das Aufspüren, Verfolgen und Vernichten eines immer und überall gewitterten Feindes konstituierte. Daher monopolisierte sie das Betreiben der Konzentrationslager und trat in Konkurrenz zu allen staatlichen Gewaltorganisationen: Polizei, Grenzschutz, Abwehr und eben auch Militär. Dagegen regten sich Widerstände, die aber im Krieg, je länger er dauerte, schwächer wurden. Dass diese umfassende Expansion wie auch die funktionale Aufsplitterung, vergleichbar dem Verlust der ideologischen Substanz, von Himmler durchaus erkannte und befürchtete Bedrohungen des inneren Zusammenhalts der SS waren, ist ebenfalls eine wichtige Erkenntnis.

 

Nicht weniger aufschlussreich sind die Einsichten dazu, welche Disproportionalitäten durch die Personalentwicklung in die Waffen-SS gekommen sind. Vor der Machtergreifung noch eine Bewegung der Unterprivilegierten, nähern sich die traditionellen Eliten der SS je mehr sie das nationalsozialistische System durchdrang. Das führte dazu, dass die höheren Ränge der Waffen-SS zunächst von protestantischen Männern der oberen Mittelschicht mit militärischer Ausbildung besetzt werden. Diese weden zunehmend durch konfessionslose Männer der unteren Mittelschicht verdrängt, die durch die politisch-militärische Schulung der SS gegangen sind und nach den Maßstäben der Wehrmacht meist nicht als „offiziersfähig“ galten. Ihr dennoch ausgeprägtes Selbstbewusstsein bezogen sie aus der Nähe zum Führer und der fanatischen Identifikation mit dem Nationalsozialismus. Diese Spannung innerhalb der Führungsschicht wurde nochmals dadurch verstärkt, dass die Ausweitung der Truppe im Krieg es erneut erforderlich machte, die höheren Positionen verstärkt mit Offizieren aus Polizei und Wehrmacht zu besetzen.

 

Noch mehr aber hat die Aufblähung im Krieg unter Aufgabe des Prinzips der Freiwilligkeit die ideologische Ordensgemeinschaft zerstört und die bisherige Legitimation in Frage gestellt. Immer noch ging es nicht darum, die Wehrmacht zu ersetzen, doch immer mehr deren politischen Einfluss zu untergraben. Eine neue Aufgabe und Legitimation sollte der Ausbau der Gewaltorganisation zu einer übernationalen Gemeinschaft der „germanischen Rasse“ werden. Ein Konzept, das sowohl an den Widersprüchen zwischen ideologischem Anspruch und Realität wie an der totalen Niederlage gescheitert ist.

 

Eine immer noch bedeutende und anregende Studie also, der zu wünschen ist, dass ihr Verfasser bei der nächsten Auflage Zeit und Kraft für eine umfassende Überarbeitung findet. In ihr könnten sicherlich die Hauptaussagen unverändert bleiben; doch sind inzwischen so viele Einzelstudien zu Aspekten des Themas erschienen, dass sich doch in mancherlei Hinsicht ein anderes Bild ergeben würde.

 

Eichstätt                                                                                                         Karsten Ruppert