Urban, Nikolaus, Die
Diätenfrage. Zum Abgeordnetenbild in Staatsrechtslehre und Politik 1900-1933 (=
Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 38). Mohr (Siebeck),
Tübingen 2003. XI, 222 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von Michael Stolleis betreute, im Sommersemester 2002 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt am Main angenommene Dissertation des zunächst als studentische Hilfskraft und dann von 1996 an für zwei Jahre bei seinem Betreuer als Assistent tätigen Verfassers. Sie behandelt eine bedeutende verfassungsgeschichtliche Fragestellung. Klar und einleuchtend gliedert sie sich chronologisch in drei Kapitel.
Der Verfasser beginnt mit der Diätenfrage im ausgehenden Kaiserreich zwischen 1900 und 1918. Dabei untersucht er sowohl die Politik wie die Staatsrechtslehre (Laband, Meyer, Hubrich, Schleicher, Ebel, Anschütz, Jellinek). Im Mittelpunkt steht die Änderung des Artikels 32 der Reichsverfassung in den Jahren 1905/1906 mit der Entschädigung der Anwesenheit bei Verbot der Besoldung, in deren Zusammenhang er auch die Frage erörtert, ob die Gewährung der Anwesenheitsgelder einen Kuhhandel mit der gleichzeitigen Reichsfinanzreform darstellen.
Als erste bewertende Stimmen dieser Verfassungsänderung verwendet er Stellungnahmen Gerlachs, Crons und Labands. Besonders vertieft er die Folgen der Diätengewährung für sozialdemokratische Parteifunktionäre. Die Problematik Aufwandsentschädigung oder Alimentationsanspruch behandelt er an Hand der Staatsrechtslehre der letzten Jahre des Kaiserreichs (Dambitsch, Laband, Danco, Pitamic, Hatschek, Anschütz, Friedländer).
Das zweite Kapitel widmet er der Übergangsphase von 1918/1919. Besonderes Gewicht kommt dabei der Diätenfrage in der Nationalversammlung von Weimar zu. Art. 40 der Reichsverfassung und das Gesetz über die Entschädigung der Mitglieder des Reichstags (1920) schaffen dann eine neue Rechtslage, die umgehend von vielen Seiten diskutiert wird (Anschütz, Arndt, Bornhak, Giese, Poetzsch, Dankwort, Ernst, Kelsen, Hubrich).
Das dritte Kapitel betrifft die Diätenfrage in der Weimarer Republik. Eine zusätzliche Problematik ergibt sich hier aus Währungsverfall und Wirtschaftskrise. Der Verfasser begleitet sorgfältig die politische Diskussion, die gesetzlichen Maßnahmen und deren Bewertung in der Staatsrechtslehre.
Am Ende fasst er seine Ergebnisse für den Weg vom Ehrenamt zur Alimentation überzeugend zusammen. Er schließt seine gelungene Untersuchung mit einem charakteristischen Zitat Richard Lewinsohns in dem Werk Das Geld in der Politik von 1930. Danach soll der Abgeordnete im Parlament „nicht das Ebenbild, sondern die Idealfigur des Wählers sein“, zu der es auch „gehört, dass sie kein Geld kostet“ - nur ist auch hier das Sein stärker als das Sollen.
Innsbruck Gerhard
Köbler