Troßbach, Werner/Zimmermann, Clemens, Die Geschichte des Dorfes. Von den Anfängen im Frankenreich zur bundesdeutschen Gegenwart (= UTB 8324). Ulmer, Stuttgart 2006. 336 S., 43 Abb. Besprochen von Bernd Schildt.

 

Wer es unternimmt, auf rund 280 Seiten Text die Geschichte des Dorfes „erstmals in ihrer Gesamtheit und als Jahrhunderte überspannende Längsschnittanalyse darzustellen“ (S. 17), muss zwangsläufig in Kauf nehmen, nicht allen spezifischen Interessen an der Erforschung der Geschichte des Dorfes in gleicher Weise gerecht werden zu können. Die Autoren der vorliegenden Monographie fragen vornehmlich nach den grundlegenden und prinzipiell epochenübergreifenden Kriterien dörflicher Lebenswelten. Dabei geht es um die Dichotomie von Genossenschaft und Herrschaft im Dorf ebenso wie um die innerdörflichen Sozialstrukturen, um die Ursachen von Konflikten und Solidaritäten und vor allem um Probleme des Ressourcentransfers innerhalb und außerhalb der dörflichen Gemeinschaft.

Thematische Schwerpunktsetzung und Stoffgliederung folgen unverkennbar sozialgeschichtlichen Denkstrukturen, wodurch zwangsläufig traditionelle Themen – und insbesondere die hier interessierenden Fragen der Verfassungs- und Rechtsgeschichte – zurücktreten. Zwar ist von den fünf Sachkapiteln immerhin eines – IV. Dorfgemeinden und Staatsformierung: Kontinuität und Wandel dörflicher Institutionen 1350-1800 (S. 78-103) – vornehmlich verfassungsgeschichtlichen Fragenstellungen gewidmet, gleichwohl ist auch hier ein eher sozialgeschichtlicher Ansatz nicht zu übersehen.

 

Mit Blick auf das ansonsten sehr umfangreiche Literaturverzeichnis wird schnell deutlich, dass rechtshistorische Forschungsergebnisse nur in sehr begrenztem Umfang rezipiert worden sind. Die Hinweise beschränken sich weithin auf einige grundlegende monographische Arbeiten; selbst hier fehlt mit der Arbeit von Karl Siegfried Bader und Gerhard Dilcher: „Deutsche Rechtsgeschichte. Land und Stadt – Bürger und Bauer im alten Europa“ die Verarbeitung einer grundlegenden Monographie. Im Wesentlichen stützen sich die Autoren auf eine allerdings sehr intensive Analyse zweier Publikationen: die nach wie vor grundlegende, aus der Perspektive des deutschen Südwestens geschriebene Arbeit von Karl Siegfried Bader zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes in drei Bänden und die Habilitationsschrift des Rezensenten zu Verfassung und Recht der Landgemeinde Thüringens in der frühen Neuzeit. Mit Gewinn hätten zur Frage der dörflichen Gerichtsbarkeit beispielsweise die einschlägigen Arbeiten Karl Kroeschells und Götz Landwehrs ebenso einbezogen werden können, wie mit Blick auf das Verhältnis von dörflicher Gemeinde und frühneuzeitlicher Territorialstaatlichkeit die zahlreichen Publikationen dazu von Dietmar Willoweit. Immerhin bemerkenswert ist auch der Umstand, dass sich im Literaturverzeichnis weder ein Hinweis auf das Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte noch auf das Lexikon des Mittelalters findet, von anderen Nachschlagewerken (Ersch/Gruber, Zedler, Reallexikon der germanischen Altertumskunde) ganz zu schweigen.

 

Dass die Rechtsgeschichte aus der vorliegenden Publikation nur in beschränktem Umfang Gewinn ziehen wird, lässt sich auch anhand sachbezogener Kriterien verifizieren. So mutet es für einen Rechtshistoriker immerhin erstaunlich an, dass im Sachregister der Begriff „Recht“ nur einmal und der Begriff „Frieden“ überhaupt nicht auftaucht. Zwar behandeln die Verfasser im Zusammenhang mit der Gemeindeversammlung auch die Gemeindezeche (S. 86), gehen dabei aber nicht auf die friedenswahrende Funktion des gemeinsamen Umtrunks der Dorfgenossen ein. Ein anderes Beispiel: Das Phänomen der frühneuzeitlichen Hexenprozesse reduziert der betreffende Verfasser weithin auf gestörte Sozialbeziehungen als Folge der Verknappung wirtschaftlicher Ressourcen – was zweifellos ein wesentlicher Teil des Problems gewesen ist –, fragt aber nicht nach den inneren rechtlichen Mechanismen (Besagungen), die das massenhafte Vorkommen derartiger Prozesse in bestimmten Regionen und Orten zu bestimmten Zeiten erklären würden. Hier hätten beispielsweise die Arbeiten Wolfgang Schilds und Peter Oestmanns mit großem Gewinn eingebracht werden können. Ebenfalls nicht wahrgenommen werden einschlägige rechtshistorische Dissertationen zu speziellen Fragestellungen wie beispielsweise die von Sema Simon zum Recht der Tagelöhner im 18. Jahrhundert und die von Anne Strunz-Happe zur Bauernbefreiung im Hochstift Paderborn im 19. Jahrhundert.

 

Ungeachtet dieses aus fachspezifischer Sicht eher ernüchternden Befundes ist gleichwohl zu betonen, dass Werner Troßbach und Clemens Zimmermann mit ihrer Geschichte des Dorfes (in Deutschland) für den nicht in erster Linie an rechtshistorischen Fragestellungen interessierten Leser eine durchaus bemerkenswerte Gesamtdarstellung insbesondere unter sozialgeschichtlichem Aspekt vorgelegt haben. Die aufgezeigten Defizite im Bereich der Rechts- und Verfassungsgeschichte spiegeln möglicherweise ein allgemeines und wohl auch grundsätzliches Kommunikationsproblem zwischen der sozialgeschichtlichen und der rechts- und verfassungsgeschichtlichen Forschung wider.

Bochum                                                                                             Bernd Schildt