Toppe, Andreas, Militär und Kriegsvölkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899-1940, hg. i. V. m. d. Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Oldenbourg, München 2008. 467 S. Besprochen von Martin Moll.

 

Gleich am Anfang findet sich eine der wenigen Aussagen dieser nunmehr gedruckten Augsburger Dissertation, der man uneingeschränkt zustimmen kann: Seit langem stehen deutsche Kriegsverbrechen, vor allem jene des Zweiten Weltkriegs, im Mittelpunkt der Forschung; über sie werde nach moralischen Kategorien der Nachgeborenen geurteilt, nicht jedoch nach den damals geltenden Maßstäben des internationalen Kriegs- und Völkerrechts, mit denen sich die Forschung kaum auseinander gesetzt habe (S. 9). Diese Lücke will Toppe schließen, wobei drei zentrale Fragenkomplexe im Zentrum stehen: Das um 1938/39 geltende internationale Kriegs- und Völkerrecht, die hiermit befassten Institutionen der Wissenschaft und der militärischen Rechtsabteilungen sowie schließlich Rezeption und Anwendung dieser Normen durch die Streitkräfte. Zu diesem Zweck soll die deutsche Völkerrechtswissenschaft mit ihren ausländischen Pendants verglichen und gefragt werden, ob sich die Positionen der ersteren nach 1933 änderten. Diese löblichen Vorhaben gelingen dem Verfasser leider nur zum kleinen Teil.

 

Bedauerlich ist zunächst, dass der See- und Luftkrieg nicht berücksichtigt wird, auch über die 1940 zahlreichen Neutralitätsverletzungen erfährt man nichts. Des weiteren fragt man sich, wie Toppe zu seiner – in der Einleitung mit keinem Wort erläuterten – zeitlichen Abgrenzung kommt. 1899 als das Jahr der 1. Haager Konferenz erscheint noch verständlich, nicht jedoch, warum die Darstellung mit 1940 abbricht. Hörte der vom Verfasser vielbeschworene Diskurs der Rechtsgelehrten und -anwender in diesem Jahr auf? Viel eher ist anzunehmen, dass der ab 1941 eskalierende Landkrieg den Diskurs intensivierte. Da Toppe sich überwiegend mit dem Kombattantenstatus, dem Geiselinstitut und dem Widerstand(srecht) der Bevölkerung okkupierter Gebiete befasst, begibt er sich mit dieser zeitlichen Begrenzung der Möglichkeit einer intensiveren Durchdringend der Materie anhand der Erfahrungen der Wehrmacht auf dem Balkan und in der Sowjetunion ab 1941. Nebenbei bemerkt kann der Verfasser die selbstgewählte Grenze ohnehin nicht strikt einhalten, sie wird wiederholt, dann aber unsystematisch und episodenhaft durchbrochen (z.B. S. 168ff. mit Ausführungen über den Prozess gegen die Südostgenerale oder S. 368ff.).

 

Explizit zu loben ist die breite Quellenbasis: Toppe hat das gesamte zeitgenössische Schrifttum sowie eine Fülle von Akten der Wehrmachts- sowie der Heeresrechtsabteilungen ausgewertet; viele davon werden zum ersten Mal in eine wissenschaftliche Studie einbezogen. Etwas nachlässig ist das nicht immer auf dem neuesten Stand befindliche Literaturverzeichnis. So ist Toppe die deutsche Ausgabe von Horne/Kramer „German Atrocities 1914“ entgangen und die mehrfach zitierte Quellenedition des Rezensenten (etwa S. 347, Anm. 240) fehlt in der Bibliographie gänzlich.

 

Was diese Arbeit zu einem echten Ärgernis macht ist die sprachlich und formal schlampige Umsetzung, die wieder einmal unter Beweis stellt, dass sich Lektorate eben nicht folgenlos einsparen lassen. Falsche Silbentrennungen und ein fehlerhafter Gebrauch des Genetivs finden sich praktisch auf jeder Seite. Hinzu kommt eine permanent unrichtige Verwendung von Präpositionen wie: auf, von, über usw. Die Rede ist vom „Anspruch der Treue von den besetzten Völkern“ (S. 406; als ob Völker und nicht bloß Gebiete besetzt werden könnten) oder von Heydrichs „Unbill auf die Wehrmachtjustiz“ (S. 343). Sätze wie der folgende sind kein Einzelfall: „Die Tat kann demnach nur aus einem entsprechend ideologisch geprägtes soziales Umfeld entsprungen sein“ (S. 366). Toppes Gebrauch juristischer Fachausdrücke kann nur als dilettantisch bezeichnet werden: Es finden sich zu Hauf Wortschöpfungen wie „Vergeiselung“, „Kriegsbeschuldigtenlüge“ statt Kriegsschuldlüge, „Geiselschaft“, „Strafbestandszuordnung“ oder „straftätlich“ (S. 112 und passim, 128, 168, 366).

 

Zahlreiche der meist apodiktisch formulierten Urteile Toppes sind entweder schlicht unverständlich, in sich widersprüchlich oder unrichtig: So heißt es mit Blick auf 1914, das deutsche Parlament habe seine „gesetzgeberischen Befugnisse preisgegeben“, während vier Zeilen darunter festgestellt wird: „Parallel fungierten als Gesetzgeber der Reichstag, ...“ (S. 104). Das Ermächtigungsgesetz vom März 1933 beendete keineswegs die Bindung der Richter an Recht und Gesetz (S. 248), weil es diese Materie gar nicht regelte. Eine Anwendung der Haager Landkriegsordnung auf die sogenannte „Tschechenkrise“ vom Herbst 1938 musste schon daran scheitern, dass diese Krise nie in einen Kriegszustand umschlug (S. 267). Wie der „Preußenschlag“ vom Juli 1932 den späteren Besatzungsformen im Zweiten Weltkrieg als Vorbild gedient haben soll, bleibt das Geheimnis des Autors (S. 283). Toppe missversteht auch das NS-Ideologem der „Rassenschande“, wenn er anscheinend meint, dieses habe sich zu Gunsten wegen Vergewaltigung angeklagter Soldaten ausgewirkt (S. 365). Das Gegenteil trifft zu. Fallweise belegen die Quellen das exakte Gegenteil von dem, was Toppe aus ihnen herausliest (besonders krass S. 367).

 

Ist die Lektüre durch diese Umstände bereits, gelinde gesagt, anstrengend, so wird sie durch die verworrene Gliederung zu einer Qual. Zwischenüberschriften sind so spärlich gesetzt, dass sich einzelne Kapitel über Dutzende Seiten erstrecken. Ein roter Faden fehlt weitgehend, der Stoff ist auch nicht etwa chronologisch geordnet, wie man vermuten möchte. Vielmehr springt Toppe zwischen einzelnen Perioden und Themen hin und her. So kehrt er beispielsweise immer wieder auf die in Polen 1939 und 1940 verübten Tötungsverbrechen zurück, nachdem er sich zwischenzeitig seitenlang über ganz andere Themen ausgelassen hat. Auch die Durchmischung von Fallbeispielen und grundsätzlichen Erörterungen trägt zur Verwirrung bei. Mit seiner Neigung, Fußnoten endlos aufzublähen und manche davon über mehrere Seiten laufen zu lassen, folgt Toppe leider einer verbreiteten Unsitte. Nicht anders verhält es sich mit der Detailverliebtheit des Autors (etwa S. 286ff. mit seitenlangen Schilderungen der militärischen Ereignisse des Polenfeldzuges oder S. 46 über den Rechtsstatus von Nomadenstämmen).

 

Dort, wo Toppe seine Resultate zusammenzufassen versucht, geschieht dies häufig in einer ausgesprochen konfusen Art (etwa S. 283). Man wird den Eindruck nicht los, dass der Verfasser sich in seinen eigenen Satzungetümen und seinem Schwall von Fachausdrücken nicht mehr zurecht findet. So bleibt als wesentlicher Befund kaum mehr als die bekannte These, wonach die deutsche Armee seit dem Kaiserreich im Konflikt zwischen Kriegs- und Völkerrecht einerseits, den sogenannten Kriegsnotwendigkeiten andererseits letzteren den Vorzug gab. Es soll nicht bezweifelt werden, dass insgesamt eine nur „bruchstückhafte Verarbeitung kriegsrechtlicher Bestimmungen in den Dienstvorschriften und Lehrmaterialien der Wehrmacht“ (S. 271) zu konstatieren ist; warum jedoch ein Vergleich mit anderen Armeen „nicht statthaft“ sein soll (S. 284) ist nicht einzusehen und widerspricht obendrein dem einleitend postulierten vergleichenden Prozedere. Dass die Wehrmachtführung bestrebt war, ihr Vorgehen bei der Partisanenbekämpfung oder in der Geiselfrage juristisch zu legitimieren, versteht sich von selbst und bereichert unseren Kenntnisstand nicht sonderlich, auch wenn diese Argumentation nunmehr quellenmäßig besser abgesichert ist als bisher. Es scheint, als ob die Täter an die Rechtmäßigkeit ihres Tuns geglaubt hätten.

 

Zusammenfassend muss man mit Bedauern das Scheitern einer durch eine interessante Fragestellung gekennzeichneten, auf breitester Quellenbasis beruhenden Erstlingsarbeit feststellen, der es nicht gelingt, ihr Material dem Leser halbwegs zumutbar und anschaulich zu präsentieren. Dafür sind Verlag und akademische Betreuer mitverantwortlich, die Toppe bei der praktischen Umsetzung seines Vorhabens allem Anschein nach weitgehend allein gelassen haben. Deren Unterstützung wäre freilich umso nötiger gewesen, als die gleichzeitige Anwendung rechts- und geschichtswissenschaftlicher Methoden an einen Dissertanten hohe, vielleicht zu hohe Anforderungen stellt.

 

Wichita/Kansas, Graz                                                                                       Martin Moll