Stercken, Martina, Städte der Herrschaft. Kleinstadtgenese im habsburgischen Herrschaftsraum des 13. und 14. Jahrhunderts (= Städteforschungen Reihe A, Darstellungen 68). Böhlau, Köln 2006. VIII, 259 S. Besprochen von Arno Buschmann.

 

Jahrzehntelang hat sich die Städteforschung auf die Erforschung der großen Städte konzentriert und die Erforschung der kleinen Städte und deren Bedeutung - man möchte fast sagen: sträflich - vernachlässigt. Erst in jüngster Zeit hat sich das Bild gewandelt und die Städteforschung sich auch der Erforschung der kleinen Städte zugewandt und hierbei ein Fülle von neuen Erkenntnissen, namentlich in Bezug auf das Verhältnis dieser Kleinstädte zu ihren Stadtherren zu Tage gefördert. In diesem Kontext ist auch die vorliegende Studie Martina Sterckens, eine von der Zürcher philosophischen Fakultät approbierte Habilitationsschrift, zu sehen, die sich in einer besonders gründlichen Weise der Erforschung der Kleinstädte des habsburgischen Herrschaftsraumes im 13. und 14. Jahrhundert angenommen hat. Unter habsburgischem Herrschaftsraum versteht die Verfasserin den Herrschaftsraum der habsburgischen Grafen und der österreichischen Herzöge zwischen Hochrhein und Alpen, also im wesentlichen den Raum der heutigen Nordostschweiz mit Ausläufern in das süddeutsche Bodenseegebiet.

 

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht stehen für sie Fragen nach der Genese der Kleinstädte, nach ihrem Verhältnis zu den Habsburgern als Stadtherrn, insbesondere im Hinblick auf die Errichtung einer habsburgischen Territorialherrschaft und vor allem im Hinblick auf die Rolle der Bürgerschaft dieser Städte bei der Ausübung der habsburgischen Herrschaft. Martina Stercken knüpft hierbei an die Ergebnisse der bisherigen landes- und stadtgeschichtlichen Forschung zur Kleinstadtgenese und zu den herrschaftlichen Funktionen der Kleinstädte bei der Errichtung und Organisation der Landesherrschaft an, bei der auch deren landständische Formierung ins Blickfeld der Forschung getreten ist. Was freilich bei dieser Forschungsrichtung bisher nicht oder nur unzulänglich beachtet wurde, ist die Frage nach dem tatsächlichen Verhältnis der Kleinstädte zu den territorialpolitischen Bestrebungen der Stadtherrn und die Wahrung der eigenen städtischen Interessen im Rahmen der herrschaftlichen Intentionen. Diesen Fragen geht Stercken für den habsburgischen Raum in der heutigen Schweiz nach, wobei sie sich nicht nur auf die Auswertung der schriftlichen Zeugnisse stützt, sondern auch Sachquellen wie etwa die bauliche Anlage der Städte heranzieht, aus denen vielfach wichtige Rückschlüsse für die Stellung der Kleinstädte gezogen werden können. Die Beschäftigung mit der baulichen Anlage der Städte war, wie sie selbst betont, überhaupt der Ausgangspunkt für ihre Untersuchungen, die zu der Erkenntnis führte, dass für die Entwicklung einer Stadt - jedenfalls in der Nordostschweiz - nicht nur die Lage an geostrategischen Verkehrswegen oder in prosperierenden Wirtschaftsräumen maßgebend war, sondern auch das Verhältnis zur Stadtherrschaft.

 

Stercken beginnt ihre Untersuchungen mit einer Schilderung der verschiedenen Entstehungsformen der habsburgischen Stadtherrschaft in den Kleinstädten, etwa durch käuflichen Erwerb von bereits bestehenden Kleinstädten verarmter Verwandter oder sonstiger Stadtherren, durch Pfandnahme, aber auch - vor allem im 14. Jahrhundert - durch Neugründung von Städten. Charakteristisch für die Finanzierung der Käufe ist für sie die Verpfändung der finanziell nutzbaren Rechten in den erworbenen Städten an zahlungskräftige Bürger anderer Städte, aber auch und gerade an solche der erworbenen Städte – Letzteres ein Verfahren, das dem Beobachter gegenwärtigen Wirtschaftslebens in mancher Hinsicht durchaus bekannt vorkommt: Man kauft und finanziert den Kauf durch den Kaufgegenstand. Anschaulich werden von der Verfasserin auch die Verluste von Städten durch Zerstörung, durch Niederlegung oder durch Preisgabe im Zusammenhang mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der eidgenossischen Städte und Landschaften wie das endgültige Scheitern der Errichtung einer habsburgischen Landesherrschaft behandelt. Zu Recht weist Stercken in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Übernahme der Stadtherrschaft durch den König keineswegs automatisch die Erhebung zu Freien Reichsstädten bedeutete, sondern zunächst nur die Herauslösung aus der bis dahin bestehenden Stadtherrschaft.

 

Breiten Raum nehmen die Ausführungen über die Rolle der Kleinstädte bei der territorialen Herrschaftsausübung und die herrschaftliche Praxis bei der Privilegierung der Kleinstädte ein. Bei der territorialen Herrschaftsausübung dienten die Kleinstädte zunächst als Verwaltungszentren mit allerdings zum Teil unklaren räumlichen Zuständigkeitsabgrenzungen, nahmen wie die Reichs- und Bischofsstädte im Reich eine residenzielle Funktion für den Stadtherren ein und wurden in der Folge als Landsässige in zunehmendem Maße Faktoren der Herrschaftsintegration. Bei der Privilegierung stellt Stercken – m. E. zu Recht – fest, dass hier anders als bei vielen Städten im Reich die Erteilung von Privilegien konstitutiv für die Stadtgenese war. Zutreffend wird auch die territorialpolitische Bedeutung der Privilegienerteilung hervorgehoben, deren Funktion als politisches Instrument der Begründung eines gesicherten rechtlichen Status nicht hoch genug eingeschätzt werden kann – übrigens nicht nur im hier behandelten regionalen und territorialen Raum, sondern überhaupt im Heiligen Römischen Reich, was in der verfassungsgeschichtlichen Forschung nicht immer in wünschenswertem Umfang berücksichtigt wird. Interessant ist die Feststellung Sterckens, dass die Bürger der Kleinstädte ein steigendes Bedürfnis nach Legitimierung ihrer Rechte durch stadtherrschaftliche Privilegierung verspürten, sei es durch Privilegien für die gesamte Stadt oder sei es als Individualprivilegien für einzelne städtische Bürger. Von einer territorialpolitisch bedingten Beschränkung der städtischen Autonomie durch die Habsburger könne jedenfalls, anders als dies in der älteren Forschung behauptet worden sei, nach Auswertung der schriftlichen wie der sachlichen Quellen keine Rede sein, meint Stercken. Zu Recht resümiert sie, dass den Privilegien keineswegs nur symbolische Bedeutung beigemessen wurde, sondern diesen eine höchst konstitutive Funktion bei der Durchsetzung von städtischen Rechten oder den Rechten städtischer Bürger im Streitfall zukam. Dem kann nur zugestimmt werden. Privilegien waren stets Beurkundungen von konkreten Rechten, aus denen bei rechtlichen Auseinandersetzungen Ansprüche hergeleitet wurden und auf die man gerade wegen dieser Funktion größten Wert legte. Symbolische Akte waren die Privilegien nie.

 

Als Fazit von Martina Sterckens detailreicher Untersuchung ist festzuhalten, dass die habsburgische Territorialpolitik im Raum der heutigen Nordostschweiz für das 13. und 14. Jahrhundert wesentlich auf den Erwerb und die Integration von kleinstädtischen Formen ausgerichtet war und diese eine bedeutende, wenn nicht gar entscheidende Rolle beim Versuch der Errichtung einer habsburgischen Territorialherrschaft spielten. Als bemerkenswert verdient auch hervorgehoben zu werden, dass der Ausbau nicht einseitig von der Herrschaft betrieben wurde, sondern die Städte und ihre Bürger aktiv an ihm beteiligt waren, die Städte sogar in der Folge ein ausgesprochen landständisches Bewusstsein entwickelten und Ansätze einer selbständigen Politik erkennen ließen. Dass die Errichtung einer habsburgischen Landesherrschaft in diesem Raum im Ergebnis nicht gelang, ist als Indiz für die Tatsache (die übrigens auch für andere Regionen des Heiligen Römischen Reiches gilt) zu werten, dass der Prozess der Territorialisierung keineswegs immer in Richtung auf die Entstehung einer Territorialherrschaft zusteuerte, sondern durchaus als eine Entwicklung mit offenem Ende angesehen werden muss. Dies für den Raum der Nordostschweiz überzeugend nachgewiesen zu haben, ist ein weiteres Verdienst von Sterckens Studie, von der hoffen steht, dass sie als Muster und Vorbild für Untersuchungen zu anderen Regionen des Heiligen Römischen Reiches herangezogen werden wird.

 

Salzburg                                                                                 Arno Buschmann