Der Autor, Leiter des Archivs der Universität der
Künste Berlin, will in diesem Buch „den Blick auf die Grundlagen der
Archivarbeit ... richten und den Versuch ... unternehmen, das historische
Archiv gedanklich zu fassen.“ (S. 9). Weshalb? „Noch vor wenigen Jahrzehnten
galt die Einheit von Archiv und Geschichte als Selbstverständlichkeit und wurde
kaum reflektiert. Archivare verstanden sich als Historiker und verkörperten in
ihrem Wirken eine als sinnvoll erscheinende Verbindung historischen Wissens und
archivarischer Befähigung.“ (S. 13). Neue Ansätze haben jedoch die Archivistik
von der Geschichtswissenschaft zu lösen versucht und sie lieber den
Informationswissenschaften zuordnen wollen. Ihnen
wirkungsvoll entgegen zu treten, dürfte zumindest mit ein Motiv zur Abfassung
dieses Buches gewesen sein. Der Verfasser nennt konkrete Beispiele von
Absolventen eines in Berlin angebotenen integrierten Studiums der Bibliotheks-
und Informationswissenschaft, die sich um eine Anstellung in seinem Archiv
bewarben, aber bei näherer Befragung keinerlei Ahnung von Paläographie oder
sonstigen historischen Hilfswissenschaften hatten. Ausgehend von diesen
konkreten, persönlichen Erfahrungen geht Schenk zurück auf die Grundlagen
seines Berufes. Er holt dabei sehr weit aus in die Archiv- und
Geschichtstheorie, nennt Foucault und Droysen, spricht von „individuellem“ und
„kollektivem“ Gedächtnis und erläutert Grundbegriffe wie Registratur und
Überreste. Daran anschließend, berichtet der Verfasser ausführlich über seinen
Beruf und dessen Geschichte. Es folgen die „Normen der Archivierung“: der
Provenienzgedanke als Ordnungsprinzip, die Schwierigkeiten der Bewertung des
historischen Materials auf seine Archivwürdigkeit hin und schließlich „Ein
Bericht aus der Werkstatt“, in dem er über die Entstehung des von ihm
geleiteten Archivs berichtet. Im letzten Kapitel, „Vom Nutzen des Archivs“,
zieht er die Summe aus seinen Überlegungen: Die „Informationsgesellschaft“ und
die „digitale Revolution“ haben das Archivwesen vor eine Reihe neuer
Herausforderungen gestellt: Diese reichen von der Forderung nach Veröffentlichung
von Findbehelfen und Beständen im WWW bis zu den Problemen der Archivierung von
elektronischen Quellen. Dennoch sieht Schenk die Zukunft des Archivs
optimistisch: „Gerade heute verbreitet es sich immer mehr, dass Studien
jedweder Art anhand originaler Quellen betrieben werden; Schüler, Studenten,
Journalisten, Publizisten, Privatforscher, auch ältere Menschen, die sich die
erforderliche Zeit für aufwendige Recherchen nehmen können, kommen in die
Archive. Diese sind immer enger in ein weites Netz alltäglicher, medialer und
wissenschaftlicher Kommunikation eingebunden, während der Kanon des
historischen Wissens an Verbindlichkeit einbüßt“ (S. 105).
Zurück bleibt die Frage, für welches Publikum das
Buch geschrieben ist: Bei Fachkolleginnen und Fachkollegen wird er mit seiner –
sich durch die ganze Arbeit wie ein roter Faden durchziehenden – Forderung,
dass die Archivkunde von der Geschichtswissenschaft nicht zu trennen ist, nur
offene Türen einrennen, ihnen aber nur wenig Neues berichten. Und dass er jene,
die er ob ihrer Ignoranz kritisiert (wie etwa jenen Benutzer, der ihm offen
sagte, „er treibe lieber Sport und mache gymnastische Übungen“, als dass er
selbst archivalische Forschungen betreibe, vgl. S. 101), mit seiner theoretisch
anspruchsvollen Schrift erreicht, ist zu bezweifeln. Dennoch: Es tut gut, im
Arbeitsalltag auch dann und wann innezuhalten und versuchen zu erfassen, worin
das Wesen dieser Arbeit eigentlich besteht und die Antwort auf die Frage zu
finden, wo der Platz des Archivars in unserer modernen Gesellschaft zu suchen
ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, kann man in diesem Buch erfahren.
Wien Thomas Olechowski